Sind Sie ein Mensch?
Wie unterscheidet sich menschliche Intelligenz von künstlicher und wie widerstehen wir der Digitalisierung unserer Seele? Die Samstagskolumne.
Neulich musste ich auf einer Internetplattform eine etwas kompliziertere Bestellung tätigen. Es klappte nicht, wie ich wollte, ich wusste nicht weiter, war der Verzweiflung nahe – und sagte schliesslich Ja, als ein buntes Gesicht mich aufforderte, mit ihm zu chatten.
«Wie kann ich helfen?» stand da, darunter war ein freies Feld, ein Cursor blinkte, und ich tippte ohne grosse Hoffnung meine Frage ein.
Nicht, dass ich das zum ersten Mal tat. Meine bisherige Erfahrung war allerdings schrecklich: Wer auch immer da am anderen Ende der Glasfaserleitung sass, verwendete stets Textbausteine des Grauens. Nie passten sie zu dem, was ich fragte. Immer rieten sie mir stur etwas, das ich schon ausprobiert hatte – und immer hörte ich diese Arroganz heraus, mit der jegliches Servicepersonal mit uns digitalen Laien umgeht.
Doch – oh Wunder – er/sie/* konnte mir diesmal tatsächlich helfen – war kompetent, hörte zu, verstand das Problem und gab mir sofort die entscheidenden Hinweise. Mein Gegenüber war dabei freundlich, sachlich, sogar etwas witzig.
Sind Sie eigentlich ein Mensch oder eine KI?
Als wir fertig waren, folgte ich einem menschlichen Impuls und tippte ins Eingabefeld: «Sind Sie eigentlich ein Mensch oder eine KI?»
Ohne Zögern antwortete mein Gegenüber: «Bei uns arbeiten tatsächlich noch Menschen, mit Armen, Beinen und Fehlern.» Zufrieden bedankte ich mich, wünschte ein schönes Wochenende, schloss das Eingabefenster … und dachte noch mal nach.
So direkt hat er/sie/* ja gar nicht geantwortet, oder?
«Bei uns arbeiten noch Menschen...» – das kann alles heissen. Zum Beispiel: «Bei uns – der KI, den eigentlichen Herren der Welt – arbeiten noch diese fehlerhaften Wesen, die glauben, uns erschaffen zu haben und denen wir – noch! – eine Daseinsberechtigung geben, indem wir sie niedere Arbeiten für uns verrichten lassen...»
Wie finde ich heraus, ob mein Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine ist?
Wie finde ich heraus, ob mein Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine ist? Was unterscheidet uns von einem selbstlernenden Roboter oder Chat-Programm – ausser unserer Fehlerhaftigkeit? Wäre mein Chatpartner unfreundlich, schlecht gelaunt, arrogant oder schlecht informiert gewesen, wäre ich gar nicht darauf gekommen, dass er eine Maschine sein könnte.
Es ist doch so: Wer sich mit Menschen einlässt, muss sich auf viel Unangenehmes gefasst machen – auf unerklärliche Gefühlswallungen, auf Unfreundlichkeiten, Geschwätz, auf Mundgeruch oder ansteckende Krankheiten. Jeder weiss das und zieht seine Konsequenzen. So setzt man sich in einem Zug so weit wie möglich entfernt von anderen weg. Man bezahlt am liebsten «kontaktlos». Man fragt kaum noch jemandem nach dem Weg – dafür hat man das Mobiltelefon.
In dieser Welt versuchen junge Leistungsträger unserer Gesellschaft, immer reibungsloser zu funktionieren. Es ist, als würden sie bereits mit dem zukünftigen KI-Kollegen konkurrieren: lächeln, egal wie es ihnen geht; Körpersignale und Gefühle unterdrücken; weiterarbeiten, obwohl es ihnen gegen den Strich geht; nicht zuhören, sondern schon wissen, was der andere sagen will; Berührung und Begegnung vermeiden – und ihr Geschlecht jedes Jahr am Standesamt neu definieren. Das ist nicht KI, sondern höchstens KD: künstlich, aber dumm.
Die linke Gehirnhälfte hat ein Narzissmusproblem.
Vielleicht haben die Maschinen ja schon die Macht übernommen?
So wie in der The-Matrix-Tetralogie: Da hat eine global organisierte KI die Menschen unterjocht, hält sie nur noch als organische Batterien und räumt jegliche Eigenständigkeit gnadenlos und effizient weg.
Oder wie in der Komödie «Ich bin dein Mensch», wo die Wissenschaftlerin Alma in dem charmanten «Tom» den perfekten Liebespartner findet: Er ist auf die Erfüllung all ihrer Wünsche programmiert. Alma (= die Seele) folgt ihm aus Verzauberung, obwohl sie erkennt, dass er kein Gegenüber ist, sondern nur ein Echo ihrer eigenen Sehnsucht.
Die Postmoderne – und damit meine ich Einrichtungen wie das World Economic Forum und die Fantasien eines Great Reset – hat gelinde gesagt kein Vertrauen in Menschen. Der Mensch mit seiner Freiheit, seinem Egoismus, seiner Unberechenbarkeit – mit Ängsten, Aggressionen und überhaupt Gefühlen – wird als Schädling betrachtet. Er müsse digital ausgebremst werden, damit er den Planeten nicht zerstört. Genau das passiert bereits durch vorauseilende Selbstoptimierung.
Die Seele ist der Sand im digitalen Getriebe. Und Seele wächst durch Begegnung.
Ist die KI also eine Projektion unseres angeblich besseren, also nachhaltigeren, vernünftigeren Selbst? Der Psychiater Iian McGilchrist, der über die menschlichen Gehirnhälften forscht, hält KI-Systeme für ein Spiegelkabinett der linken Hirnhemisphäre: «Der linken Gehirnhälfte ist ihre eigene Repräsentation, ihre eigene Theorie über die Dinge wichtiger als jeder Beweis, der von den Sinnen oder von der Erfahrung kommt.» Mit anderen Worten: Die linke Gehirnhälfte hat ein Narzissmusproblem.
Und der Fortschritt will immer noch – wie seit vielen tausend Jahren – das wegkriegen, was uns so unheimlich ist: Intuition, Gefühle, Kreativität, Körperwissen, Empathie. Eben das, was man gemeinhin der rechten Hirnhälfte zuschreibt. Ich nenne es am liebsten Seele. Die Seele ist der Sand im digitalen Getriebe. Und Seele wächst durch Begegnung.
Deshalb ist mein persönlicher Widerstand gegen die menschliche Digitalisierung das Einlassen auf Begegnung. So viel, so pur, so unberechenbar wie möglich.
«Alles Leben ist Begegnung», schrieb Martin Buber. Und der Gehirnforscher Gerald Hüther sagt: «Das Gehirn wächst durch eine fortwährende Intensivierung der Beziehungen zwischen den Nervenzellen, also durch Verstärkung seiner Konnektivität. Dieses Wachstumsmodell übertragen auf menschliche Gemeinschaften oder Kommunen heisst: mehr Begegnung, mehr Austausch, mehr Vernetzung, mehr Gemeinsinn, mehr Kreativität und mehr Innovationsgeist.»
Übrigens siegen in der letzten Folge von «The Matrix» die Menschen. Und zwar weil sie lieben: Die Emotion zwischen Trinity und Neo ist so stark und erzeugt so viel Energie, dass die KI ohne sie ihre Herrschaft nicht aufbauen kann. Die beiden entscheiden sich für das Leben, weisen das Programm der KI in die Schranken – und fliegen davon.
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