Starke Frauen töten nicht
Ein neuer Frauentyp ist im Entstehen – auf der Leinwand ebenso wie im wirklichen Leben: Frauen, die bereit sind, zu töten. Oder töten zu lassen. Die Kolumne aus dem Podcast «Fünf Minuten».
Wer sich, wie ich, am späten Abend mit Netflix belohnt, wird mir bestätigen, dass es wenig Serien im Angebot gibt, die nicht hauptsächlich eines sind: gewalttätig. Und ebenso auffallend ist, dass die dargestellte Gewalt schon seit etlichen Jahren immer mehr von Frauen ausgeübt wird.
Die bekannteste Gewalttäterin, die vor Jahrzehnten bereits in Videospielen auf ihren Killertrip ging, ist immer noch Lara Croft. Die «mutige Abenteurerin», wie sie von Wikipedia fast zärtlich beschrieben wird, brachte im Kinofilm «Tomb Raider» total 21 Feinde zur Strecke. Bei den Feinden, nur nebenbei, handelte es sich um Menschen.
Eine neue Filmfigur war geboren: der weibliche Killer. Die Killerin. Hollywood entdeckte ein neues weibliches Potential und setzte von Jahr zu Jahr mehr auf Frauen, die töten. Einige Beispiele aus den zwei letzten Jahrzehnten: Beatrix «The Bride» Kiddo tötet im Tarantino-Film «Kill Bill» auf ihrem blutigen Rachefeldzug 59 Menschen, während die junge Hanna, die von ihrem Vater im Töten geübt wird, in «Hanna» immerhin 10 Menschen umlegt.
Evelin Salt, eine CIA-Agentin, schafft es in «Salt» auf ein Dutzend Getötete. Lorraine, eine M16-Agentin liquidiert in «Atomic Blonde» 16 Menschen, während Cataleya, die als Kind Zeugin der Ermordung ihrer Eltern wird, den Blutzoll in «Colombiana» wieder auf 22 Tote erhöht.
Interessant ist auch, dass die Frauen in den genannten Filmen von Schauspielerinnen dargestellt werden, die nicht nur Meisterinnen in ihrem Fach sind, sondern auch Kinder zur Welt gebracht haben. Natürlich sind ihre Opfer im Film allesamt Männer, die als Banditen, Mörder und Vergewaltiger kein besseres Schicksal verdienen. Doch selbst diese Männer sind Menschen, die einmal Kinder waren. Das hindert Stars wie Angelina Jolie, Uma Thurman oder auch Charlize Theron aber keineswegs daran, unwertes männliches Leben vor laufender Kamera zu erstechen oder erschiessen. Sie spielen das Töten mit Leidenschaft. Und schämen sich nicht im geringsten dafür.
Die meisten Frauen, die in Kinofilmen und Netflix-Serien töten, werden als Opfer geschildert, die selber Gewalt und Misshandlung erfahren haben. Das Motiv ihres blutigen Handelns ist Selbstverteidigung oder Rache für den Tod ihrer Liebsten. Deshalb sind sie moralisch nicht angreifbar. Wir haben Verständnis für sie.
Immer mehr weibliche Helden jedoch belassen es nicht beim Handeln aus Notwehr oder Vergeltung. Sie kommen gewissermassen auf den Geschmack. Die Rache für den erlebten Schmerz wird zum Rachefeldzug gegen die Männer. Die Scham vor dem Töten schwindet, die Frauen mutieren zu Killerinnen.
Gleichzeitig werden immer mehr weibliche Filmfiguren erschaffen, die von vornherein auf das Töten trainiert sind. In der von Netflix übernommenen britischen Fernsehserie «Killing Eve» beispielsweise wird eine Auftragsmörderin während vier Staffeln quer durch Europa von einer Spezialagentin verfolgt. Während die Agentin nur zur Selbstverteidigung tötet, hinterlässt die Killerin eine blutige Spur von nahezu 40 Ermordeten. Manchmal liquidiert sie auf Auftrag, manchmal aus Rache, hin und wieder aus blosser Laune.
Die von Frauenrollen dominierte Serie, die in ihrer Blutrünstigkeit nicht allein steht, vermittelt uns eine neue Botschaft: Frauen müssen nicht mehr zwangsläufig Opfer sein, um Täterinnen zu werden. Sie haben – ebenso wie bisher die Männer – das Recht und die Freiheit, Töten zu einem Teil ihres Jobs zu machen. Ihre weibliche Unschuld haben sie damit natürlich verloren. Aber das ist der Kern der Botschaft: Frauen müssen nicht unschuldig sein. Sie müssen nicht «gut» sein. Sie dürfen auch töten. Sie dürfen Leben vernichten, obwohl sie als Mütter Leben zu schenken vermögen.
Deswegen sind sie nicht «schlechte» Frauen. Selbst die Auftragskillerin wird mit ihren Schwächen und Zweifeln geschildert. Sie hatte vielleicht eine schwere Kindheit. Sie erhielt keine Liebe von ihren Eltern. Sie wurde missbraucht. Ihre Bereitschaft, Männer zu töten, ist nachvollziehbar. Unschuldig ist sie gewiss nicht. Aber stark.
Das ist das Wort. Eine Frau, die die Kraft und den Willen hat, ihre sogenannte weibliche Schwäche zu überwinden und zur Waffe zu greifen, ist eine starke Frau. Was auch immer ihre Motive sind – sie ist stark, weil sie töten kann. Mitleidlos. Ohne Schuldgefühl. Ohne Reue. Genau wie ein Mann.
Männer, die töten, sind keine starken Männer. Ausser es handelt sich bei ihnen um Polizisten oder Soldaten. Aber dann müssen sie töten, weil es der Einsatz oder der Krieg erfordert. Dann tun sie es aus Pflicht. Alle anderen Männer, die töten, sind Kriminelle. Schweine. Versager. Sie töten aus Schwäche. Während Frauen, die töten, ihren weiblichen Power damit beweisen.
Auch die weiblichen Guerilleros der FARC, der kolumbianischen Terrorarmee, galten als starke Frauen. Obwohl sie Unschuldige auf dem Gewissen hatten. Aber in den Medienberichten über die Frauen der FARC schwang immer Bewunderung mit. Mit derselben Bewunderung rechnen können auch die Soldatinnen Israels. Weil sie nicht nur Verwundete pflegen, sondern auch im Kampfeinsatz stehen. Was Israel durch seine Armee den Palästinensern antut, wird zwar weltweit verurteilt. Aber die Soldatinnen aus derselben Armee haben den Bonus der starken Frauen.
Frauen, die töten können – ob im Film oder im wirklichen Leben –, sind emanzipierte Frauen. Sie haben ihre traditionelle weibliche Rolle abgestreift wie ein Korsett, das die Atmung erschwert, und die letzte Domäne des Mannes erobert, die ihm noch blieb. Das Töten, ob zur Verteidigung, aus Notwendigkeit oder in niedriger Absicht, war immer Männersache. Jetzt ist es auch Frauensache.
Aber ist das nicht richtig so? Brauchte es nicht diesen letzten Schritt auf dem Weg zur Ebenbürtigkeit mit den Männern?
Dieser letzte Schritt geht darüber hinaus. Er lässt die Gleichstellung hinter sich. Wenn Frauen Leben nicht nur gebären, sondern auch töten können, wenn Töten als eine weitere weibliche Fähigkeit anerkannt wird, sind die Frauen den Männern definitiv überlegen. Dann sind sie die besseren Männer.
Ein neuer «postfeministischer» Frauentyp vereinnahmt den Zeitgeist. Die Superfrauen besitzen sowohl weibliche Intuition als auch logisches Denken. Sie können, wenn sie dies wollen, Kindern das Leben schenken – und wenn es sein muss, können sie töten. Aber sie können auch töten lassen. Immer mehr «starke Frauen» haben die Macht, über Leben und Tod, über Krieg und Frieden zu richten. Sie sind Chefredaktorinnen, Ministerinnen und Politikerinnen, Vorsteherinnen des Militärs, und sie treten wie Feldherren auf. Sie fordern mit selbstbewusster weiblicher Stimme das Liefern von Waffen, sie fordern den Krieg, obwohl sie damit das Töten von Menschen billigen.
Aber sie dürfen das. Westliche Superfrauen, die für den Sieg der Ukraine eifern, führen es uns jeden Tag vor. Sie dürfen Kriegstreiberinnen sein. Weil sie als Frauen immer noch dafür garantieren, dass sie nur für das Töten sind, wenn es notwendig ist. Wenn es leider nicht anders geht. Aber sie funktionieren in der Logik der Männer, wo nach dem Angriff der Gegenstoss folgt, wo der Feind der alleinige Schuldige ist. Die Hand zum Frieden erheben sie nicht. Ein Ende des Tötens zu fordern, würde als weibliche Schwäche empfunden. Was man von ihnen erwartet, ist Durchsetzungskraft und Entschlossenheit. Kein Zögern. Männliche Eigenschaften. Aber die Männer sind schwach geworden. Diese Frauen machen es besser. Mit ihnen ist nicht zu spassen. Sie sind gefährlich. Und auch dafür bewundert man sie.
Ich bewundere sie nicht. Mir graut vor ihnen. Denn ihre fehlgeleitete Emanzipation, ihr Bestreben, die besseren, stärkeren, mächtigeren Männer zu sein, ihr Ehrgeiz, das Patriarchat nicht zu überwinden, sondern es zu erobern, es zu beherrschen, führt die Menschheit nicht in ein lebenswerteres Morgen. Ihr Despotentum führt uns im Gegenteil bloss in eine Verhärtung und Versteinerung dessen, was uns die Männerherrschaft seit Jahrtausenden angetan hat.
Doch gefährlich sind diese Superfrauen vor allem deshalb, weil sie nie bei sich selber entwickelt haben, was das Wesen des Weiblichen ausmacht: die göttliche Gabe des Spirituellen. Frauen, die ohne äusserste Not töten, Frauen, die töten lassen, die das Töten rechtfertigen – sie hören nicht auf ihr Innerstes. Sie hören nicht auf ihr Herz. Sie tun, was der Kopf ihnen sagt, weil sie sich nur mit den Männern messen. Die Sprache des Weiblichen kennen sie nicht. Sie liegt verschüttet in ihrem Innern, und wenn sie sich meldet, leise und zaghaft, bringen sie sie zum Schweigen.
Unser Hauptproblem, glaubten wir, sind die Männer. Aber das beginnt sich zu ändern. Die Frauen, die töten können, drängen zur Macht. Nehmen wir uns vor ihnen in Acht. Zeigen wir ihnen, dass wahre Stärke woanders liegt.
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können