Unter der Kutte

Seit dem letzten September gilt in der katholischen Kirche der Schweiz Anzeigepflicht für sexuellen Missbrauch. Für acht Kantone sind die Zahlen bekannt: Es ist noch keine einzige Anzeige eingegangen. 2017 meldeten sich dagegen 67 Opfer.

(Bild: CC goodfreephotos)

Erfährt ein Kirchenmann von einem sexuellen Übergriff, muss dieser zur Anzeige gebracht werden. Dies hat die Schweiz. Bischofskonferenz im vergangenen September bekannt gegeben. Wie viele Fälle seither angezeigt wurden, weiss das Fachgremium für sexuelle Übergriffe laut Medienstelle der Bischofskonferenz auf Anfrage nicht. Die Fälle werden von den Anlaufstellen in den Diözesen bearbeitet. Eine Statistik wird nur einmal jährlich erstellt, für 2018 liegt sie nicht vor.

Entweder hat sich die Zahl der Fälle tatsächlich auf null reduziert oder die Verschärfung der Anzeigepflicht hat ihre Wirkung verfehlt.

Aus zuverlässiger Quelle weiss der Zeitpunkt allerdings, dass in den Kantonen Zürich, Schwyz, Obwalden, St. Gallen, Appenzell Inner- und Ausserrhoden, Basel-Land, Graubünden und Thurgau keine Fälle den Staatsanwaltschaften übergeben worden sind. Das ist nichts im Vergleich zu den 65 Opfern, die sich 2017 meldeten. Entweder hat sich die Zahl der Fälle tatsächlich auf null reduziert oder die Verschärfung der Anzeigepflicht hat ihre Wirkung verfehlt. Offizialdelikte wie der sexuelle Missbrauch können von den Justizbehörden erst verfolgt werden, wenn sie Kenntnis von ihnen haben. Private, namentlich Rechtsanwälte, Ärzte und Geistliche unterstehen keiner Informationspflicht.

Einen anderen Weg schlägt der Verein «Rechtspermanence» aus Luzern vor: die private aussergerichtliche Strafmediation. Dabei begegnen sich Opfer und Täter aus freiem Willen, arbeiten den Vorfall mithilfe von Mediatoren auf. Es können auch Genugtuungszahlungen vereinbart werden. Gemäss Hubertus Hollenweger vom Verein Rechtspermanence bringt dieses Verfahren den Opfern erhebliche Vorteile: «Die amtliche Strafverfolgung der Tat bringt vielen Missbrauchten im Laufe der Untersuchung ein quälendes Auffrischen der erlittenen Handlungen.» Das Opfer werde in der Strafuntersuchung selbst «zum Beweismittel und, weitab einer Heilung, erneut zum Opfer». In der Strafmediation stehen dem Opfer alle Handlungsmöglichkeiten offen, auch eine Strafanzeige.

Die Mediation eröffne auch dem Täter Positives: «Durch Anerkennung der zugefügten verbotenen Handlung … und durch respektvolle Wiederherstellung der Würde des Opfers kann er Linderung der Schande finden und hieraus eine Verbesserung seiner Situation.»
Die Strafmediation und das offizielle Strafverfahren haben je Vor- und Nachteile. Die Strafmediation funktioniert nur mit dem Willen der beiden Beteiligten, eine belastende Sache aufzulösen. Beim Strafverfahren dagegen ist die Beweisführung schwierig. Zudem sind beide Beteiligten, namentlich das Opfer, den Justizbehörden ausgeliefert. Und der Täter kann immer noch hoffen, mangels Beweise ungeschoren davonzukommen.
Den Vorschlag des Vereins Rechtspermanence, die private aussergerichtliche Strafmediation institutionell und finanziell zu unterstützen, hat die Schweiz. Bischofskonferenz Ende September 2018 mit der Begründung abgelehnt, der Eindruck «einer neutralen, objektiven und weltlichen Anlaufstelle» würde durch den Umstand relativiert, dass diese Dienstleistung ganz oder teilweise von der Kirche finanziert würde.

Ausseramtliche Meldestelle bei sexuellen Übergriffen: www.rechtspermanence.ch

19. Februar 2019
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