Vollgeld war mal Mainstream – und wird es vielleicht wieder
Vor achtzig Jahren – die Weltwirtschaftskrise nach dem Börsencrash von 1929 verschärfte sich dramatisch – setzten sich die besten Ökonomen der USA zusammen und entwarfen eine Lösung: den Chicago Plan. Vater des Plans war der damals führende Nationalökonom Henry Simons von der University of Chicago. Er sah eine Verstaatlichung des (bis heute privaten) Federal Reserve Systems vor, der amerikanischen Zentralbank. Den privaten Banken würde die Schöpfung von Giralgeld durch die Kreditvergabe verunmöglicht und die Konten der Sparer sollten zu 100 Prozent durch Zentralbankgeld gedeckt sein, daher auch die Namen «100%-money» oder Vollreservesystem.
Der Chicago-Plan wurde an rund tausend Nationalökonomen aller amerikanischen Universitäten zur Vernehmlassung geschickt. Von den 320 antwortenden Professoren äusserten sich 73 Prozent zustimmend, 13 Prozent zustimmend mit Vorbehalten und nur 14 Prozent negativ. Der Weg zu einer umfassenden Reform schien geebnet, als Senator Cutting 1933 einen Gesetzesvorschlag einreichte. Aber die Regierung unter Präsident Roosevelt hatte ihren eigene Pläne: das Verbot des Goldbesitzes und der «New Deal» mit einer enormen staatlichen Verschuldung bei den privaten Banken. Zudem brachten Senator Carter Glass und der Kongressabgeordnete Henry B. Steagall, beide Vertreter von Bankeninteressen, ein Gesetz zur Trennung des Einlagen- und Kreditgeschäfts vom Handel mit Wertpapieren ein. Mit dem Tod von Cutting 1935 bei einem Flugzeugabsturz wegen Treibstoffmangels (!) war auch das politische Schicksal des 100%-Geldes besiegelt. Mit Ausnahme von Irving Fisher gelang es den Wissenschaftlern nicht, die Sprache des Volkes zu sprechen, und in der politischen Arena standen ihnen gewichtige Kräfte im Wege.
Von so viel Unterstützung aus akademischen Kreisen kann die heutige Vollgeldreform-Bewegung nur träumen. Im wissenschaftlichen Beirat des «Vereins Monetäre Modernisierung» sitzen sechs Professoren, fünf emiritiert. Eine vom Mainstream abweichende Meinung kann sich offenbar nur leisten, wer kein Amt mehr bekleidet. Aber die Stimmung beginnt sich zu wenden. Gestern veröffentlichte die «Finanz und Wirtschaft» einen Text des Wirtschaftsprofessors Dirk Niepelt von der Uni Bern, Direktor des Studienzentrums Gerzensee der Schweizerischen Nationalbank. Darin greift er auch die Frage auf «dürfen Geschäftsbanken Geld schöpfen?» und meint, «als Antwort … wird nicht genügen, dass Banken ‹schon immer› Geld schöpften».
Unter anderem schreibt er: «Wie die Befürworter einer Vollgeldreform betonen, beschränken sich Banken dabei nicht auf die Abwicklung von Zahlungen oder die Beschaffung von Notenbankgeld, sondern sie schöpfen darüber hinaus Giralgeld. Dieses entspricht nicht dem von der Zentralbank emittierten gesetzlichen Zahlungsmittel, sondern stellt lediglich eine Forderung gegenüber der Bank auf Lieferung solchen Notenbankgeldes dar. Wie die jahrhundertealte Geschichte von Bankenkrisen zeigt, können Forderungen dieser Art nicht immer eingelöst werden. Oder sie können unter Umständen nur dann eingelöst werden, wenn die Notenbank oder der Fiskus sich gezwungen sehen, illiquiden oder insolventen Geschäftsbanken Notenbankgeld oder staatliche Mittel im erforderlichen Umfang zu überlassen. Sollte die Schöpfung von Giralgeld daher verunmöglicht werden?
Ohne derartige Geldschöpfung müsste die Zentralbank zur Befriedigung des gesamtwirtschaftlichen Liquiditätsbedarfs ihre Bilanz erheblich ausweiten. Sie könnte die Geldpolitik unmittelbarer durchsetzen, müsste aber auch häufiger und stärker auf Veränderungen der Geldnachfrage reagieren. Einnahmen aus Geldemission (Seignorage) fielen nur noch bei der Notenbank beziehungsweise dem Staat an und nicht mehr wie bis anhin zu einem grossen Teil bei den Geschäftsbanken.»
Fazit: «Die Finanzstabilität könnte durch eine Vollgeldreform gestärkt werden.»
Das sind ganz neue Töne, und sie stammen von einem Mann im Dienst der Nationalbank, der aber seine operative Unabhängigkeit betont. Was kann das bedeuten? Bei der Nationalbank stellt man sich offenbar darauf ein, dass die politische Diskussion über die private Geldschöpfung unvermeidbar ist – immerhin wartet eine Volksinitiative auf die Lancierung – und man sie auf Dauer nicht mit unverdaulichem und nichtssagendem Jargon abblocken kann, wie dies der Bundesrat vor kurzem in seiner Antwort auf Interpellationen von Müller und Reimann getan hat.
Das sind positive Signale, aber sie entbinden die Initianten nicht von der Verantwortung, mit ihrem Anliegen die breite Bevölkerung zu erreichen und die Funktionsweise des Geldes in allgemein verständlichen Begriffen zu erklären.
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Das massgebende Buch zum Thema:
Verein Monetäre Modernsierung (Hrsg.): Die Vollgeld-Reform – wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können. Mit Beiträgen von Hans Christoph Binswanger, Joseph Huber und Philippe Mastronardi. Edition Zeitpunkt, 2012. 80 S. Fr.12.50 / Euro 9.50. ISBN: 978-3-9523955-0-9
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Der Chicago-Plan wurde an rund tausend Nationalökonomen aller amerikanischen Universitäten zur Vernehmlassung geschickt. Von den 320 antwortenden Professoren äusserten sich 73 Prozent zustimmend, 13 Prozent zustimmend mit Vorbehalten und nur 14 Prozent negativ. Der Weg zu einer umfassenden Reform schien geebnet, als Senator Cutting 1933 einen Gesetzesvorschlag einreichte. Aber die Regierung unter Präsident Roosevelt hatte ihren eigene Pläne: das Verbot des Goldbesitzes und der «New Deal» mit einer enormen staatlichen Verschuldung bei den privaten Banken. Zudem brachten Senator Carter Glass und der Kongressabgeordnete Henry B. Steagall, beide Vertreter von Bankeninteressen, ein Gesetz zur Trennung des Einlagen- und Kreditgeschäfts vom Handel mit Wertpapieren ein. Mit dem Tod von Cutting 1935 bei einem Flugzeugabsturz wegen Treibstoffmangels (!) war auch das politische Schicksal des 100%-Geldes besiegelt. Mit Ausnahme von Irving Fisher gelang es den Wissenschaftlern nicht, die Sprache des Volkes zu sprechen, und in der politischen Arena standen ihnen gewichtige Kräfte im Wege.
Von so viel Unterstützung aus akademischen Kreisen kann die heutige Vollgeldreform-Bewegung nur träumen. Im wissenschaftlichen Beirat des «Vereins Monetäre Modernisierung» sitzen sechs Professoren, fünf emiritiert. Eine vom Mainstream abweichende Meinung kann sich offenbar nur leisten, wer kein Amt mehr bekleidet. Aber die Stimmung beginnt sich zu wenden. Gestern veröffentlichte die «Finanz und Wirtschaft» einen Text des Wirtschaftsprofessors Dirk Niepelt von der Uni Bern, Direktor des Studienzentrums Gerzensee der Schweizerischen Nationalbank. Darin greift er auch die Frage auf «dürfen Geschäftsbanken Geld schöpfen?» und meint, «als Antwort … wird nicht genügen, dass Banken ‹schon immer› Geld schöpften».
Unter anderem schreibt er: «Wie die Befürworter einer Vollgeldreform betonen, beschränken sich Banken dabei nicht auf die Abwicklung von Zahlungen oder die Beschaffung von Notenbankgeld, sondern sie schöpfen darüber hinaus Giralgeld. Dieses entspricht nicht dem von der Zentralbank emittierten gesetzlichen Zahlungsmittel, sondern stellt lediglich eine Forderung gegenüber der Bank auf Lieferung solchen Notenbankgeldes dar. Wie die jahrhundertealte Geschichte von Bankenkrisen zeigt, können Forderungen dieser Art nicht immer eingelöst werden. Oder sie können unter Umständen nur dann eingelöst werden, wenn die Notenbank oder der Fiskus sich gezwungen sehen, illiquiden oder insolventen Geschäftsbanken Notenbankgeld oder staatliche Mittel im erforderlichen Umfang zu überlassen. Sollte die Schöpfung von Giralgeld daher verunmöglicht werden?
Ohne derartige Geldschöpfung müsste die Zentralbank zur Befriedigung des gesamtwirtschaftlichen Liquiditätsbedarfs ihre Bilanz erheblich ausweiten. Sie könnte die Geldpolitik unmittelbarer durchsetzen, müsste aber auch häufiger und stärker auf Veränderungen der Geldnachfrage reagieren. Einnahmen aus Geldemission (Seignorage) fielen nur noch bei der Notenbank beziehungsweise dem Staat an und nicht mehr wie bis anhin zu einem grossen Teil bei den Geschäftsbanken.»
Fazit: «Die Finanzstabilität könnte durch eine Vollgeldreform gestärkt werden.»
Das sind ganz neue Töne, und sie stammen von einem Mann im Dienst der Nationalbank, der aber seine operative Unabhängigkeit betont. Was kann das bedeuten? Bei der Nationalbank stellt man sich offenbar darauf ein, dass die politische Diskussion über die private Geldschöpfung unvermeidbar ist – immerhin wartet eine Volksinitiative auf die Lancierung – und man sie auf Dauer nicht mit unverdaulichem und nichtssagendem Jargon abblocken kann, wie dies der Bundesrat vor kurzem in seiner Antwort auf Interpellationen von Müller und Reimann getan hat.
Das sind positive Signale, aber sie entbinden die Initianten nicht von der Verantwortung, mit ihrem Anliegen die breite Bevölkerung zu erreichen und die Funktionsweise des Geldes in allgemein verständlichen Begriffen zu erklären.
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Das massgebende Buch zum Thema:
Verein Monetäre Modernsierung (Hrsg.): Die Vollgeld-Reform – wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können. Mit Beiträgen von Hans Christoph Binswanger, Joseph Huber und Philippe Mastronardi. Edition Zeitpunkt, 2012. 80 S. Fr.12.50 / Euro 9.50. ISBN: 978-3-9523955-0-9
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20. Juni 2012
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