Etwas Neues und Wesentliches darf sich auch heute, unter uns, in uns, ereignen. Gedanken vom Warten und Bleiben

Bahnhof
«Ich möchte an einer Haltestelle wieder einmal Gras wachsen sehen – und unsere Liebe auch.» Foto: Malte Lok

Wir haben auch in diesem fast vergangenen Jahr 2023 einiges erlebt, erliebt, durchgestanden, geteilt, gehofft und gebangt, haben uns gefreut, gelacht und geweint. Wir sind uns begegnet, haben uns verzaubern lassen, vielleicht aber auch gelangweilt. Wir sind den Geschehnissen in der Welt mit Fassungslosigkeit und Staunen begegnet, mit träumenden Visionen und zynischem Realismus. Wir haben verengte Meinungskorridore, Polarisierungen und Abgründe erlebt, aber auch viel Miteinander und menschliche Nähe. Wir sind vielleicht durch das Leben gesaust im Multitasking-Modus, aber haben hin und wieder auch still gewartet und einfach durchgeatmet. Wir durften Vergänglichkeit von Ideen, Idolen und oberflächlichen Vergnügungen erleben, aber auch das Bleibende von etwas Wesentlichem. 

Vom Warten...

Eine Kindheitserinnerung: Am Heiligabend musste ich einen Mittagsschlaf machen, um am Abend für «Heidi und der Geissenpeter» wachbleiben zu dürfen. Aber ich wollte und konnte nicht einschlafen vor Aufregung, und die Zeit zog sich quälend lange dahin. Ich hatte ja schon 4 Wochen ungeduldig auf diesen Abend gewartet – und auf den Film.

Vor kurzem, Anfang November in irgendeinem Starbucks: Weihnachtsmusik schallt aus den Boxen und freundliches Personal hinter der Theke mit Weihnachtsmützen fragt mich nach meinem Wunsch. Draussen hatte es milde 15 Grad. Immerhin müssen die Osterhasen warten, bis Weihnachten vorbei ist, dachte ich. «Warten lernen wir gewöhnlich dann, wenn wir nichts mehr zu erwarten haben», meinte M. L. von Ebner-Eschenbach vor über 100 Jahren.

«Allen, die die Tage zählen, bis…» widmet Kathy Zarnegin ihr kleines Buch «Exerzitien des Wartens», in dem sie in kurzen miniaturistischen Texten persönliche Wartezeiten beschreibt – noch vor der global gedrückten Pause-Taste durch den Lockdown 2020.

«Durch Warten wird die Gegenwart aufgewertet. Sie wird zur empfundenen Zeit, zur überschäumenden Zeit», beschreibt die Autorin ein Paradox, das wir alle kennen: Gerade dann, wenn wir uns wünschen, dass die Zeit schnell vorbeigeht, zieht sie sich in die Länge. Mit Ritualen des Wartens versuchen wir, sie zu vertreiben: immer wieder aufs Handy schauen, im Wartezimmer beim Arzt in Zeitschriften blättern, die uns eigentlich gar nicht interessieren. Ja, das Nichtstun (-können oder -dürfen) ist uns zutiefst unangenehm, während wir uns in Stressphasen nach Zeit fürs Dolce far niente sehnen. Dabei tut es gut, immer wieder mal einen Stopp einzulegen, nichts zu tun, einfach den Augenblick wahrnehmen oder den Himmel betrachten…

Himmel
 

Halt auf Verlangen
Wir sind
durch das Leben gesaust
haben Landschaften gestreift
Menschen nur kurz berührt
und Dinge angestossen
um sie dann
ihrem Lauf zu überlassen.

Wir haben
auf der Überholspur
Merkwürdiges vergessen
Liebgewonnenes verloren
und Augenblicke verpasst

Wir wollten
alles erleben
in kurzer Zeit
überschweigen
übertrinken
und überrennen
und uns aneinanderklammern
in der Angst
vor dem Stillstand
zwischen uns

Jetzt ist meine Uhr
tatsächlich
stehengeblieben
verloren
in der Zeit

Ich möchte
an einer Haltestelle
wieder einmal
Gras wachsen sehen
und unsere Liebe
auch.

(W. Weigand, Unentwegt, Königshausen & Neumann, Würzburg 2022)

Flyer

Seit November 23 ist Wolfgang Wiegand mit seinem 5. Soloprogramm unterwegs. «Schwamm drüber» ist wie immer ein musikalisch-philosophisch-absurd-schräger-witziger-politischer Parcoursritt durch den Wahnsinn dieser Tage. 

Die nächsten Auftritte sind:
11.01.2024, 20.00 Uhr, Kellertheater Winterthur,
12.01.2024, 20.00 Uhr, Kellertheater Winterthur (ausverkauft)
02.02.2024, 20.00 Uhr, Theater Palino, Baden
07.02.2024, 19.30 Uhr, Disharmonie Schweinfurt / D (Reservationen via: [email protected])
23.02.2024, 20.00 Uhr, Gemeindesaal Zell (Reservationen via: [email protected])
01.03.2024, 19.30 Uhr, Studiobühne Z, Brütten (Reservationen via: [email protected])
08.03.2024, 19.00 Uhr, Krönung Burgdorf, Casinotheater Burgdorf
09.03.2024, 18.00 Uhr, Krönung Aadorf, Gemeindezentrum Aadorf
Reservationen für den 11.1. und für den 2.2. via: [email protected]


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