Wabi Sabi: die Schönheit des Alten und Einfachen

Unsere Wirtschaft ist süchtig nach Neuem. Das vorzeitige Altern von Produkten befeuert die Wachstumsspirale. Die japanische Ästhetik kann uns helfen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen.

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Wer bei Wabi Sabi an den grünen Meerrettich denkt, den man zu Sushi serviert, liegt rein geografisch gesehen nicht ganz falsch. Wabi-Sabi ist die Grundlage japanischer Ästhetik und tief in seiner Zen-Kultur verwurzelt.
Die Prinzipien dieser Ästhetik sind: mono no aware (das Pathos der Dinge), Wabi (die Schönheit der Armut), Sabi (die Schönheit des Alterns), yugen (geheimnisvolle Tiefe), iki (Verfeinerung) und kire (Beschneiden/Grenze). Sie können uns helfen, unsere Haltung den Dingen gegenüber zu überdenken und zu verstehen.

mono no aware

Mono no aware beschreibt das Gefühl, wenn wir uns der eigenen Vergänglichkeit bewusst werden. Das ist vielleicht kein schönes Gefühl; aber wir können auf unterschiedliche Art damit umgehen. Wir können verzweifeln und das Gefühl haben, alles sei nichtig und wertlos. Wir können den Schmerz der Vergänglichkeit aber auch in Liebe, Respekt und Wertschätzung für alles, was ist, verwandeln. Denn alles, was ist, hat einen Eigenwert und verdient nicht nur unseren Respekt, sondern auch ein wenig Ehrfurcht. Zumal das Rätsel des Seins bis heute nicht gelöst ist: Wir sind und wissen nicht warum.
Traditionelles japanisches Handwerk macht uns diese Haltung einfach. Zarte Pinselstriche auf Papier oder Keramik, wirken wie zufällig, dahingehaucht. Die «unfertigen» Zeichnungen von Meisterhand unterstreichen das Lebendige, das Vergängliche. Viel «Nichts» und Leere lassen sie uns besonders kostbar erscheinen und machen das Flüchtige sichtbar. Raffinierte Glasuren und Brenntechniken sorgen für Neuprodukte, denen man ihre Alter nicht ansieht.

wabi

Die Schönheit der Einfachheit, des Unprätentiösen und Unperfekten ist für uns Westler besonders schwer zu erkennen. Denn auch das Prinzip wabi beruht auf dem Zusammenspiel zwischen dem, was ist, und dem was nicht ist oder nicht mehr ist, bzw. nicht mehr sein wird. Es fordert uns auf, unser Herz nicht an Materielles zu hängen. Die Kirschblüte ist immer vollkommen, auch wenn sie verblüht ist, der Vollmond ist auch schön, wenn wir ihn nur mit dem Herzen sehen können. Wabi fordert uns auf, uns am Sein zu freuen und seine Vergänglichkeit zu feiern. Wabi würdigt das Alltägliche und fordert uns auf, mit einfachen Dingen zufrieden zu sein.

sabi

Sabi berührt die Frage des Alterns. Sabi verlangt nach Materialien und Konstruktionen, die fürs Altern gemacht sind und durch den Gebrauch schöner und kostbarer werden. Gebrauchsspuren, auch sichtbare Reparaturen, werten sie auf. Dies hat nicht nur mit unserer Beziehung zu den Dingen zu tun, sondern auch mit dem Material, wie es verarbeitet wird und wie es altert.

Wenn wir uns mit Dingen umgeben, die mit der Zeit schöner werden, hilft es uns, das eigene Altern als Prozess der Reifung zu akzeptieren.

Leder, Metalle oder Holz altern beispielsweise auf eine Art und Weise, die uns gut tut. Andere Dinge können nicht altern, weil sie nie «neu» ausgesehen haben. Wenn wir uns mit Dingen umgeben, die mit der Zeit schöner werden, hilft es uns, das eigene Altern als Prozess der Reifung zu akzeptieren. Vor allem das Prinzip Sabi gibt uns einen Zugang zum Pathos der Objekte.

yugen

Dies ist Schönheit des Verborgenen, des Unsichtbaren, der impliziten Eigenschaften, die wir nur erahnen können, die transzendente Welt «dahinter». Yugen wird auch mit Begriffen wie dunkel, tief oder mysteriös verbunden. Es sind Erfahrungen und Empfindungen, über die wir nicht sprechen und auch nicht schreiben können.

wabi-Sabi-Design: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gestaltung

Wabi-Sabi finden wir heute noch in Teilen des Handwerks. Dort, wo die Hand erkennbar Spuren hinterlässt und nicht versucht, die Perfektion der industriellen Produktion zu imitieren. Schon Ruskin beschrieb das Prinzip der Industrie als eine Praxis, die aus Menschen Maschinen macht, und forderte, dass man niemals etwas Perfektes kaufen sollte. Perfektion ist unmenschlich.
Die Suche nach zukunftsfähigen Designwerkzeugen hat Wabi-Sabi auch im industriellen Westen ankommen lassen, zum Beispiel bei Vasiliki Tsaknaki und Ylva Fernaeus, zwei jungen Designerinnen an Schwedens Königlich Technischer Hochschule (KTH). Sie haben sich gefragt, wie elektronische Geräte mit Hilfe von Wabi-Sabi-Prinzipien neu erdacht werden können.
Ihr Vorschlag: Lasst uns gar nicht erst den Versuch unternehmen, Vergänglichkeit technisch zu lösen, sondern zur Grundlage des Entwurfsprozesses machen. Wie das geht, zeigen sie anhand eines elektronischen Notizbuches, einer Spieluhr, eines haptischen Simulators und einem Paar Kopfhörern. Alle Produkte können von ihren Nutzern mitgestaltet werden und sind für Reparaturen und Updates geeignet. Die Materialien sind biologisch abbaubar oder rezyklierbar. Sie haben eine unperfekte Gestalt, einen handwerklichen Charakter oder sind so zerbrechlich, dass sie einen achtsamen Gebrauch erzwingen. Keines sieht «neu» aus, und alles altert schön oder ist einfach auszutauschen.

Wie können wir wabi-Sabi leben?

wabi Sabi hört sich abstrakt an. Doch es ganz einfach und sehr kostengünstig, so zu leben. Was brauchen wir dafür? Unaufdringliche Dinge, aus Materialien, die fürs den Gebrauch gemacht sind und nicht aus der Mode kommen. Statt in Luxus-Einrichtungshäuser oder bei IKEA einzukaufen, besuchen wir Second-Hand-Kaufhäuser, Flohmärkte, Gebraucht-Güter Plattformen oder teilen und tauschen. Empfehlenswert ist auch ein Kurs bei Kintsugi Meistern. Sie fügen Zerbrochenes mit vergoldetem oder versilbertem Lack so kunstvoll zusammen, dass sie noch schöner sind, als zuvor.

Mehr Infos unter: www.humanitycrew.org

 

Psychologische und ökonomische Obsoleszenz

Wenn der Mixer nicht repariert wird, weil ein Ersatzteil fehlt, oder der müde Akku unseres Smartphones nicht getauscht werden kann, weil sich das Gehäuse nicht öffnen lässt, ist sofort von geplanter Obsoleszenz die Rede. Untersuchungen belegen: Es gibt Produkte, deren Lebensdauer absichtlich verkürzt wird.
Das ist sehr ärgerlich und in Frankreich sogar verboten. Viel schlimmer, weil folgen-reicher, sind die Auswirkungen psychologischer und ökonomischer Obsoleszenz.

Von ökonomischer Obsoleszenz spricht man zum Beispiel, wenn wir eine Reparatur – verglichen mit Neupreisen – «zu teuer» finden. Die «Schmerzgrenze» liegt bei den meisten Menschen bei 50 Prozent des Neupreises. Der «Runde Tisch Reparatur» (www.runder-tisch-reparatur.de) wirft den Herstellern vor, Ersatzteilpreise zu verteuern, um den Absatz ihrer Neugeräte zu fördern. Er fordert ein Recht auf Reparatur und den Zugang zu Ersatzteilen, Reparaturinformationen und Reparatursoftwares für alle.
Die zweite grosse «Obsoleszenz-Falle» ist der Glanz, den alles Neue für uns hat. Nur weil wir Dinge kaufen, die wir schon haben oder nicht brauchen, wächst die Wirtschaft immer weiter. Das ist ein grosses Problem.
Denn lernen wir nicht, dem, was schon da ist, mehr Wertschätzung entgegenbringen, werden wir die Klima- und Ressourcenschutzziele verfehlen. Neben umweltfreundlichem Design braucht die Welt daher auch Wabi-Sabi. Ganz viel Wabi-Sabi.