Was die Währungshüter wirklich hüten: ein Tabu

Liebe Leserinnen und Leser
Es freut mich, wieder ohne Einschränkung für den Zeitpunkt schreiben zu können, wobei das «ohne Einschränkung» tatsächlich so gemeint ist. Ich darf nicht nur die Bushs und Berlusconis dieser Welt nach Belieben durch den Kakao ziehen, sondern auch den Zeitpunkt aufs Korn nehmen. Das ist leider bereits jetzt nötig. Die letzte Ausgabe über das Geld zum Beispiel hatte erhebliche Mängel. Es ist ja ganz in Ordnung, das wackelige internationale Finanzsystem vorgeführt zu bekommen, besonders wenn dies Leute mit einem gewissen missionarischen Eifer tun. Man vertraut ja ihren guten Absichten … aber auch ihren Fakten?  Zu gerne hätten wir erfahren, was das Establishment von den bedrohlichen Szenarien denkt.


Das möchte ich nun nachholen und rufe zu diesem Zweck Dieter Leutwyler an, den Sprecher des Eidg. Finanzdepartements. Ich konfrontiere ihn mit der Möglichkeit eines Dollar Crashs. Aus der Luft gegriffen ist dieses Szenario keineswegs. Autoritäten wie Paul Volcker, der frühere Präsident der amerikanischen Notenbank, oder Robert Rubin, Banker und Finanzminister unter Clinton, schätzen die Wahrscheinlichkeit eines Dollar-Sturzes auf über 50 Prozent. Ich frage also Dieter Leutwyler, was die Landesregierung in einem solchen Fall vorsehe? «Wir bewegen uns im Bereich der Spekulation», zudem sei die Sicherstellung der Währungsstabilität Sache der Nationalbank. Ich insistiere: Ein Dollar-Crash könnte Zustände auslösen, die mit den normalen währungspolitischen Instrumenten der Nationalbank nicht zu beheben seien. Tumulte, vielleicht sogar ein Chaos. (Wer bleibt schon ruhig, wenn er sein Geld verliert?) Da könnten sonderrechtliche Massnahmen nötig sein, zu denen die Nationalbank gar nicht befugt sei. Leutwyler bleibt dabei: Das Management einer Dollar-Krise gehöre in die Hände der Nationalbank. Ich kanns kaum glauben und resigniere. Noch eine letzte Frage: «Die Regierung hat auch keine vorsorglichen Pläne für den Fall eines Falles?» «Nein, hat sie nicht, das ist Sache der Nationalbank.» Ende des Gesprächs. Entweder ist er verdammt schlecht informiert, die Regierung blauäugig bis zur Blindheit, oder das Thema ist tabu.

Mein nächster Anruf gilt der Nationalbank. Ich werde mit Roland Baumann von der Presseabteilung verbunden und frage ihn, was denn die Nationalbank im Fall eines Dollar-Sturzes um 50 Prozent  (was vielleicht etwa seinem inneren Wert entspricht) zu tun gedenke. «Die Nationalbank kann sich nicht zu irgendwelchen Spekulationen äussern», lautet seine Antwort. Zur Hälfte hat er damit Recht. Es sind zwar Spekulationen, aber keineswegs «irgendwelche». Ich hake nach: Aber die Nationalbank müsse doch auch auf diese Eventualität gefasst sein, selbst wenn sie spekulativ sei. «Wir handeln, wenn es passiert.» Unglaublich. Da steht unser aller Geld auf dem Spiel, und die obersten Währungshüter wollen uns erklären, sie meisterten diese Situation mit spontanem Management by Hüftschuss. Dann sagt Roland Baumann etwas Erstaunliches, das ich ihm nur zu gerne glauben möchte: «Allein die Tatsache, dass wir uns über dieses Thema unterhalten, lässt in den Märkten draus­sen die Glocken läuten.» Fantastisch: Geni Hackmann unterhält sich mit einem Sprecher der Nationalbank über die Massnahmen bei einem möglichen Dollar-Crash, und ein Raunen geht durch die Finanzmärkte! Dann weist mich Roland Baumann noch darauf hin, dass der Dollar zur Zeit noch gerade mal 27 Prozent der Reserven ausmache. Auf den Euro entfallen 48, auf andere 25 Prozent (per 30. Juni 2006). Ich bin etwas enttäuscht und beschliesse, die Sicherheiten hinter dem Euro genauer anzuschauen. Ich rufe Niels Bünemann, einen Sprecher der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt an und frage ihn nach dem Anteil des Dollars an den Währungsreserven der EZB. «Dieser Wert wird traditionell nicht veröffentlicht», erklärt Herr Bünemann, verrät mir aber einen tief vergrabenen Link auf der Website der EZB mit einer hundertseitigen Publikation, in der sich aus der Grafik 7.6.1 die Zusammensetzung der Reserven ablesen lasse. Wir ahnten es: 85 Prozent beträgt der Anteil des Dollars.  Bevor wir rechnen, was dies für den Schweizer Franken bedeutet, will ich von Niels Bünemann wissen, warum dieser Wert eigentlich nicht veröffentlicht werde. Er setzt zwei Mal zu einer (viel) versprechenden Antwort an, kommt ins Stocken, als ob er sich selber im Traum beim Ausplaudern von Staatsgeheimnissen zuhörte und sagt dann mit fester Stimme: «Da würde ich keine Angaben machen wollen.» Obwohl ich spüre, dass das Gespräch bereits beendet ist, will ich noch wissen, ob die EZB Massnahmen für den Fall eines Dollar-Sturzes planerisch erfasst habe. Aber da gibt‘s schon keinen Kommentar mehr dazu.


Was soll diese unsinnige Geheimnistuerei?  
Der logische Menschenverstand lässt nur eine Antwort zu: Der Dollarbestand wird verschleiert, damit Verkäufe nicht so schnell sichtbar werden und den wahren (wesentlich tieferen) Wert des Dollars offenbaren. Die Zentralbanker sind eigentlich nicht die Hüter ihrer Währungen, sondern die Hüter eines Tabus.
Die Rechnung für den Schweizer Franken ist übrigens schnell gemacht: Wenn 85 Prozent der Währungsreserven hinter dem Euro aus Dollars bestehen, dann entsprechen die 48 Prozent Euro im Portfolio der Nationalbank eigentlich 40 Prozent Dollar und der Anteil des Dollars beträgt nicht 27, sondern 27 + 40 = 67 Prozent. Bei den anderen Währungen (25 Prozent Anteil) wird es nicht viel anders aussehen.
Mein nächstes Telefon gilt dem Präsidenten  der ständerätlichen Finanzkommission, Ernst Leuenberger, der Kraft seines Amtes eigentlich wissen müsste, wie das Krisenmanagement der Nationalbank und der Bundesverwaltung bei einem finanzpolitischen Erdbeben aussieht. Der populäre Sozialdemokrat gibt unumwunden zu, dass er keine Kenntnis einer Notfallplanung oder dergleichen habe. Aber: «Ich bin überzeugt, dass die Nationalbank auf die verschiedensten Szenarien vorbereitet ist.» Um Stützungskäufe zu machen, brauche sie auch so hohe Währungsreserven. Zudem würde die kapitalistische Welt den Zusammenbruch des Dollars nie zulassen.
Auch der Basler SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner, ein genauer Rechner, ist der «Meinung, dass die Nationalbank das selber im Griff haben muss», zumal sie sich in der Vergangenheit sehr geschickt verhalten habe und die Dollar-Reserven von 80 Prozent im Jahre 1997 diskret und wirksam auf jetzt 27 Prozent reduziert habe. Eine Situation, die Sonderrecht oder dringliche Massnahmen erfordere, die über die Kompetenz der Nationalbank hinausgreifen, ist für ihn «nicht denkbar».

Na, dann hoffen wir, dass in Zukunft nur noch die denkbaren Überraschungen eintreten und keine Katastrophen mehr, von denen die Fachleute hinterher sagen, mit ihnen hätte niemand rechnen können. Es ist endlich an der Zeit, dass die Geschichte vorhersehbar wird. Eine Prognose schon vorweg: Im nächsten Zeitpunkt gibt es wieder etwas von mir zu lesen. Wann er erscheint, steht in den Sternen.
Mit herzlichen Grüssen,

Ihr Geni Hackmann
01. September 2006
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