Wie das Geld uns in Nichtse/Untote verwandelt
Wie viel sind wir wert? Was kostet unsere Zeit? Und wie hoch ist der Verlust, wenn wir Nichts tun? Die Samstagskolumne
Jeder hat die Erfahrung gemacht, dass er oder sie nur dann etwas wert ist, wenn er oder sie sich auf dem Markt verkaufen kann: die Lebenszeit, die Arbeitskraft… Du kannst so viel und so gut arbeiten, wie du magst – solange du dich nicht verkaufen kannst, wirst du nicht wahrgenommen, bist ein gesellschaftliches Nichts.
Das geht nicht selten so weit, dass wir z.B. kein Gemüse selbst anbauen, weil wir unsere Zeit – nach dieser Definition also uns – in Geldeinheiten bewerten. Wenn ich Porree im Supermarkt kaufe, bio hin oder her, die Arbeitszeit, die ich für das gleiche Ergebnis investieren müsste, steht in keinem Verhältnis zum Ertrag industriell geprägten Anbaus. Vereinfacht: Wenn ich den Porree kaufe, ist das für mich billiger, als meine Arbeitszeit zu investieren.
Andersherum: Wir rechnen unsere Lebenswachzeit in Stundenlöhne um.
Noch einmal andersherum: Wenn wir uns arbeitend nicht verkaufen können, sind wir Nichtse, allesamt. Arbeitslosengeld – oder wie das jeweils modern neu benannt wird – ist lediglich ein Brosamen: Wenn wir nicht mehr wert sind als das … dann gute Nacht. Deshalb ist Arbeitslosengeld letztlich ein Ausdruck gesellschaftlicher Verachtung.
Die Umrechnung von Lebenswachzeit in Stundenlöhne gilt für alle Gesellschaftsschichten und Einkommensgruppen. Vermutlich rechnen die Reichen noch viel mehr so als die Armen. Wenn sich mein Stundenlohn auf 500 Euro beläuft, bin ich ja noch weniger gewillt, eine Stunde meiner wertvollen Zeit unnütz – das heisst unbezahlt – zu verschwenden. Solange aber unser Leben, ganz unabhängig davon, ob wir es verkaufen können oder wollen, keinen Eigenwert hat, hat es auch keine Würde. Die aber brauchen wir, um vor uns selbst bestehen zu können und nicht geistig oder seelisch zu erkranken.
Umgekehrt: Solange wir uns vom Geldsystem unseren Eigenwert aufoktroyieren lassen, so lange wird es uns auch im Griff behalten bzw. so lange ist jeder Widerstand zwecklos. Freilich können sich nur reiche Erben aus dem eisernen Griff der Überlebensnotwendigkeit durch Verkauf von Lebenszeit retten. Doch niemand ist gezwungen, diese Sklaventätigkeit auch noch mit Sinn aufzuladen.
Da ist dann ein Pseudowert immer noch besser als gar keiner. Dann nehme ich jedes noch so absurde Sinnangebot lieber an als gar keines. Denn wo Sinn ist, da liegt meine seelisch-moralische Rettung – und sei es die Begeisterung für einen Fussballclub, für einen Filmstar, eine Automarke oder die AfD.
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