Vor einer Woche, als das Gipfeltreffen von Trump und Putin schon feststand, stiess ein ehemaliger Fernsehjournalist auf Facebook ein Stossgebet aus: «Wenn doch der gute alte Brauch des Tyrannenmords wieder aufleben würde!»
Von seinen Freunden bekam er dafür viel Applaus. Sie liessen keinen Zweifel daran, dass auch sie sich dasselbe wünschten: Wie schön es doch wäre, wenn Putin und Trump durch einen Tyrannenmörder den Tod erlitten.
Die vielen Freunde des früheren SRF-Journalisten, die ihm so freudig beipflichteten, sind keineswegs primitive Polterer, die am Stammtisch ihr Mütchen kühlen. Ganz im Gegenteil. Zu den Gratulanten gehören: 1 Kommunikationsberaterin, 1 Juristin, 1 Logopädin & Musikerin, 1 Musikjournalist, 1 Alt-Gemeinderätin der SP, 1 Schriftsteller, 1 Strafverteidiger, 1 Radioredaktorin, 1 Literaturkritiker und weitere in der Medienbranche tätige oder tätig gewesene Zeitgenossen. Mehrheitlich Akademiker. Gebildete Menschen. Unter ihnen sogar einige prominente Namen.
Nun - es erwartet niemand von linken Intellektuellen, dass sie von Trump oder Putin begeistert sein sollen. Sie dürfen die beiden mit Hitler vergleichen, sie dürfen Trump als «Psychopathen» bezeichnen und Putin als «Massenmörder», so oft sie wollen. Sie dürfen Zeter und Mordio schreien, ohne einen Augenblick nachzudenken. Aber sich öffentlich wünschen, dass Trump und Putin ermordet werden? Darf man das?
Natürlich darf man das. Zu den Grundwerten der Demokratie gehört Meinungsfreiheit. Die Frage ist eher: Soll man das? Soll man öffentlich einem anderen Menschen den Tod wünschen?
Man soll es nicht tun. Auch nicht hinter vorgehaltener Hand, im vertrauten Gespräch. Vielleicht muss man es denken, um herauszufinden, ob man es sagen will. Doch sobald man es sagt, sobald man einem Menschen öffentlich oder privat den Tod wünscht, entsteht eine toxische Energie, eine Art unsichtbare schwarze Wolke, die sich mit anderen schwarzen Wolken zusammenballt und den Himmel verdunkelt, die Welt etwas kälter, trostloser macht. Negative Schwingungen lassen sich nicht mit Messgeräten erfassen. Doch ihre Wirkung ist im Grunde genauso schlimm wie die Wirkung einer Gewehrkugel.
Natürlich schweben über uns nicht nur schwarze, sondern auch weisse Wolken, die von den guten Worten und Taten gebildet werden. Doch die weissen und schwarzen, die guten und bösen Schwingungen stehen im Krieg miteinander, das erleben wir täglich. Über dem Krieg auf dem irdischen Schlachtfeld tobt ein geistiger, energetischer Krieg, der unsichtbar, aber genau so real ist und die Menschheitsentwicklung genauso beeinflusst.
Jemandem den Tod zu wünschen, tut auch uns selber nicht gut. Wünsche, die von Häme und Zynismus geschürt sind, wecken niedere Instinkte in uns. Denn eigentlich sollten wir anderen Menschen nur Gutes wünschen. Das sagt uns unser Gewissen. Wir spüren es als Gewissheit in uns, dass wir auch über Menschen, die wir als «böse» empfinden, nicht schlecht denken sollen.
Vielleicht sind wir gar nicht «besser» als sie. Woher nehmen linke Intellektuelle das Recht, sich moralisch über Trump und Putin zu stellen? Woher wissen sie, wie sie handeln würden, wenn sie selber die Macht eines Trump oder Putin besässen? Dann wären sie vielleicht keine «Gutmenschen» mehr. Machtpolitiker wollen schon gar keine «Gutmenschen» sein. Womöglich sind sie deshalb sogar die «besseren», ehrlicheren Menschen als jene, die schon immer auf der richtigen Seite gestanden haben.
Jemandem den Tod zu wünschen, ist aber auch falsch – falsch deshalb, weil dieser Mensch nicht zufällig auf der Welt ist. Offenbar hat er hier eine Aufgabe. Warum hätte er sonst sein Leben auf dieser Welt gewählt? Das gilt selbst für Menschen wie Hitler, Stalin - oder Netanjahu, um auch die Aktualität miteinzubeziehen. Ihnen den Tod zu wünschen, berücksichtigt nicht, dass auch schreckliches Handeln notwendig ist. Not-wendig für die Menschheitsentwicklung.
Die Menschheit braucht die Tyrannen und ihre Taten. Damit wir das Böse erkennen lernen, immer wieder von neuem – dem Guten zuliebe. Denn das ist der Sinn des Bösen: Dass es dem Guten dient.
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Jemandem den Tod zu wünschen, hat eine weitere schädliche Wirkung. Böse, von Hass vergiftete Worte strahlen nicht nur negativ in die Welt hinaus - sie verstrahlen uns selbst. Wenn ich «böse» Gefühle in mir aktiviere, investiere ich meine Lebenskraft in den Hass statt in die Liebe. Um zu hassen, muss ich mein Gewissen zum Schweigen bringen. Das kostet Kraft – und schwächt das Gewissen jedesmal ein Stück mehr. Je mehr ich hasse, je mehr ich meinen Hass öffentlich demonstriere, je mehr Schlechtes ich anderen Menschen wünsche - umso weniger spüre ich noch mein Inneres. Bis es verstummt. Weil es nur stört.
Warum aber halten sich kultivierte Menschen nicht vornehm zurück und überlassen den Hass dem Pöbel der Strasse? Warum geben sie sich Emotionen hin, die doch Menschen mit guter Erziehung und höherer Bildung als unangemessen betrachten müssten?
Weil die Einsicht in die Wirkung von Hassgefühlen keine Frage der Bildung ist. Linke Intellektuelle - und sie reichen heute weit ins bürgerliche Lager hinein – verfügen zwar über höhere Bildung im Kopf, aber nicht im Herzen. In ihrer seelischen Mitte sind sie so ungebildet, so unterentwickelt wie die Masse der Mainstreammenschen. Sie kennen nur das Wissen in ihrem Kopf, und ihr Kopf sagt ihnen, dass es nur das Sichtbare gibt, nur die Materie. Und weil für sie nichts Geistiges existiert, haben Hassgefühle auch keine geistige Auswirkung. Jemandem den Tod zu wünschen, kann sogar lustig sein. Ein bisschen Voodoozauber, warum denn nicht?
Intellektuelle, die nichts Höheres kennen als die Materie, glauben auch nicht an eine geistige Welt, eine Welt nach dem Tod, und sie glauben auch nicht daran, dass man wiedergeboren wird. Und weil sie nicht daran glauben, sind sie auch nicht auf der Welt, um zu lernen. Sie sehen ihr gegenwärtiges Leben nicht als Teil einer Höherentwicklung, deshalb haben sie auch kein Bedürfnis, sich zu bemühen und zu versuchen, nur weisse Wolken zu produzieren.
Da mit ihrem Tod ohnehin alles fertig und aus ist, kommt es nicht so sehr darauf an, was sie in die Welt hinaus senden, was sie sagen und schreiben. Da spielt es auch keine Rolle, ob sie sich selbst überschätzen, ob sie sich als die Besseren fühlen. Sie müssen sich keine Fragen stellen und keine Antworten suchen, ihr Wissen im Kopf ist Wissen genug – das reicht für das eine Leben.
Auch ihre Weltanschauung müssen sie nicht überprüfen, ihre Vorurteile nicht hinterfragen, ihren Horizont nicht erweitern. Sie vergewissern sich gegenseitig immer wieder von neuem, dass Trump und Putin die Bösen sind und dass dieser Abschaum schon gar nicht verdient hat, weiterzuleben.
Überhaupt würden sie gern alles, was «böse» ist, eliminieren.
Warum wollen sie das? Weil sie so sehr auf das Diesseits fixiert sind, dass sie das Paradies, von dem sie träumen, hier auf der Erde verwirklichen wollen. Wie das Paradies aussehen soll und wer es regiert, das würden sie selber bestimmen wollen. Für Andersdenkende gäbe es keinen Platz, deshalb müssten Trump und Putin getötet, alle rechten Parteien verboten und die Privatwirtschaft abgeschafft werden.
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Ich glaube nicht an ein irdisches Paradies und deshalb muss ich niemanden hassen und niemandem wünschen, er möge tot sein. Denn alle gehören zu dieser Welt – die Guten ebenso wie die Bösen, die vermeintlich «Guten» ebenso wie die vermeintlich «Bösen». Wir alle spielen unsere Rollen im Welttheater, wir alle ziehen am Seil der Wahrheit, wir alle hoffen, die Mitte zu finden. Der Planet Erde - immer wieder wird es uns schmerzlich bewusst - hat zwei Pole und zwischen den Polen ringen wir um Erkenntnis.
Bis zum Paradies ist es noch weit. Aber manchmal spüren wir, dass wir der Wahrheit ein kleines Stück nähergekommen sind. Zum Beispiel, wenn wir erkennen, dass alles, was wir aussenden, zu uns zurückkehrt. Wer andern den Tod wünscht, wer andere hasst, wer sich freut, wenn andere leiden: Nichts bleibt ungestraft – und ich meine das nicht moralisch.
Ich könnte nun für mich denken: Wer Trump oder Putin ermordet sehen möchte – und das hoffen viele auf dieser Welt –, wird dafür geradestehen müssen. Das Leben lässt ihn nicht einfach laufen. Die schwarze Wolke wird eines Tages unerwartet zu ihm zurückkehren.
Aber ich wünsche dies niemandem. Möge ein Mensch noch so hasserfüllt sein - er möge leben und es möge ihm gut gehen.
Kommentare
spannende Gedanken
Grundsätzlich stimme ich überein, aber Stellenweise spüre ich starke Widersprüche in mir. Sag mal einem ausgehungerten, von Krieg gezeichneten Menschen, er solle die verantwortlichen Tyrannen nicht hassen, ihnen nicht den Tod wünschen. Klar ist es möglich, aber schwierig.
Und wie sieht es aus mit dem sog. kleineren Übel oder dem Gedanken, dass eine fehlgeleitete Seele eines Psychopathen, wie viele machthungrige Regierende es sind, besser 'back to sender' also in die Schleife der Wiedergeburt geschickt wird, um eine neue Chance zu bekommen und nicht noch mehr Leid zu verursachen? Ach, wir wissen es einfach nicht. Aber was ich weiss ist, dass ich es niemandem verübeln kann, einem Tyrannen, der unser einziges Raumschiff dermassen beschädigt, dass es bald zerbricht, den tod zu wünschen, also ihn von diesem Raumschiff runterzuwerfen, zurück ins All quasi. Wir sind nun mal sehr von diesem fragilen Gleichgewicht abhängig. Auch Tiere töten ihre Artgenossen, wenn diese für ihre Gruppe zur Gefahr werden. Klar meinen wir besser sprich humaner als Tiere zu sein, aber sind wir das wirklich?
He und wer sagt, dass "linke Intelektuelle" (interessante Zuschreibung, ähnlich den rechtsextremen Esoterikern, Verschwörungstheoretikern usw.) nicht auch über Energien, Wiedergeburt, Karma usw. philosophieren?
Mein Ego hat gesprochen :) Danke...