Zuerst Misstrauen, dann Wut

Im letzten Herbst verschickte die für das Inkasso der Radio- und Fernsehgebühren zuständige halbstaatliche Billag einen einseitigen Fragebogen zur Fernsehnutzung. Ich vermutete eine Finte, aber bestätigte trotzdem wahrheitsgemäss, gelegentlich übers Internet fernzusehen. Schliesslich habe ich ein paar Podcasts abonniert.
Kurze Zeit später erhielt ich eine Rechnung über Fr. 462.40, in der ich als neuer TV-Nutzer begrüsst wurde. Die telefonische Rücksprache bei der Billag ergab, dass es sich um einen «Irrtum» handelte. Alles in Ordnung, kann vorkommen. Argwöhnisch wurde ich ein paar Wochen später, als mir jemand den genau gleichen Vorgang erzählte. Konnte es sein, dass die Billag allen, die sich gelegentlich eine Fernsehsendung am Computerbildschirm anschauen, eine Rechnung schickte, der «Irrtum» also System hatte.
Eine kurze e-mail-Umfrage unter den Leserinnen und Lesern ergab 15 identische Fälle. Die Billag hat also mit Absicht Rechnungen ohne korrekte Rechtsgrundlage verschickt, Einsprachen wohlweislich umstandslos stattgegeben, aber das Geld auch widerspruchslos kassiert.
Die Rechtslage lautet gemäss Art. 68 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen:
Unter die Gebühren- und Meldepflicht für den Empfang von Radio- oder Fernsehprogrammen fallen:
a. Geräte, die zum Programmempfang bestimmt sind oder ausschliesslich zum Empfang bestimmte Bestandteile enthalten;
b. multifunktionale Geräte, falls sie hinsichtlich Vielfalt des empfangbaren Programmangebots und Empfangsqualität den Geräten nach Buchstabe a gleichwertig sind.


Das Bundesamt für Kommunikation BAKOM interpretiert das Gesetz wie folgt:
«Man muss nur Gebühren bezahlen, wenn man über einen Breitbandanschluss (z.B. ADSL, Kabelnetz) und eine entsprechende Wiedergabe-Software (z.B. Mediaplayer, Realplayer) verfügt und ein kostenpflichtiges Abonnement bei einer Anbieterin, die Zugang zu Fernsehprogrammen gewährt, abgeschlossen oder sich kostenlos registriert hat.»
Ein Mediaplayer ist allerdings kein TV-Empfangsprogramm wie wilmaa oder zattoo, sondern zum Abspielen von Videodateien bestimmt. Ein normaler Internet-Browser macht einen Computer ebenfalls nicht zu einem für den Empfang bestimmten Gerät, obwohl die TV-Anstalten einzelne Sendungen auch über einen Browser zugänglich machen. Die Billag hätte also nach spezieller Wiedergabe-Software fragen müssen.

Das Beispiel zeigt, wie der Grundsatz von Treu und Glauben auch von staatsnahen Betrieben missachtet wird. Aus den zahlreichen Zuschriften zu diesem Thema geht hervor, dass Billag-Mitarbeiter eine TV-Gebührenrechnung u.a. auch mit einem Internet-Anschluss begründet haben, was ebenfalls nicht den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht.
Grosszügigen Umgang mit Treu und Glauben praktizieren auch andere Staatsbetriebe. Die Swisscom beispielsweise lässt alte Verträge einfach weiterlaufen, auch wenn niedrigere Tarife eingeführt werden und überlässt es den betroffenen Abonnenten selber, sich schlau zu machen. Gemäss der Konsumentenzeitschrift K-Tipp zahlen alte Abonnenten so bis zu hundert mal mehr als neue.
Das Logistik-Unternehmen DHL verrechnet seit der Übernahme durch die Deutsche Post bei der Verzollung Dienstleistungen, die gar nicht erbracht werden und die erst auf Anfrage wieder aus der Rechnung genommen werden. Undsoweiter undsofort.
Mich macht das ratlos, misstrauisch und irgendwann wohl auch wütend.

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Die Stellungnahme der Billag


Sehr geehrter Herr Pfluger
Danke für die Zustellung Ihres Textes und die Gelegenheit zur Stellungnahme. Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass Sie an meiner Sicht bzw. der von Billag wirklich interessiert sind. Ihre These ist gemacht und der Artikel geschrieben.
Ich versuche trotzdem die Sicht von Billag einzubringen: Im Auftrag des Bundes führen wir zwei Hauptaufgaben aus:
a) die Bevölkerung regelmässig informieren über die Radio- und Fernsehgebühren (=Informationsaufgabe);
b) die Radio- und Fernsehgebühren erheben bei jenen Haushalten und Betrieben, die gemäss dem von Ihnen korrekt zitierten Art.68 RTVG gebührenpflichtig sind (=Erhebungsaufgabe). 
Wir nehmen die Informationsaufgabe u.a. dadurch war, dass wir Adressen anschreiben, welche bisher nicht oder nur für ein Medium (Radio bzw. TV) bei uns angemeldet sind. Sie haben im September 2012 von uns ein solches Informationsschreiben samt Begleitunterlagen erhalten. Wieso Sie allein durch den Umstand, dass Sie ein sachliches Infoschreiben erhalten, gleich „eine Finte“ vermuten, ist mir schleierhaft. Wir operieren grundsätzlich nicht mit „Finten“. 
In den erwähnten Unterlagen ist betreffend Fernsehempfang via Computer und Internet folgendes festgehalten: „Der Empfang via Computer und Internet ist meldepflichtig, wenn die folgenden Voraussetzungen alle erfüllt sind:(…)Fernsehen: Breitbandanschluss (z.B. ADSL, Kabelnetz); eine entsprechende Software (z.B. Mediaplayer, Realplayer); ein kostenpflichtiges Abonnement für den Empfang von Fernsehprogrammen oder eine Registrierung, die kostenlos Zugang zu Fernsehprogrammen gewährt.“  Ich nehme an, dass Sie diesen Passus entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Sonst hätten Sie in Ihrem Fragebogen nicht folgenden Eintrag gemacht: Ich kann TV-Programme empfangen: ja (angekreuzt), „nur über Internet“ (handschriftlich hinzugefügt). Weiter notieren Sie: „Schaue höchstens bei meiner Partnerin fern oder als Podcasts.“ Wenn diese Angaben für Ihre Situation korrekt sind, so ist das dritte der oben erwähnten Kriterien nicht erfüllt: Sie verfügen über kein kostenpflichtiges Abonnement für den Empfang von Fernsehprogrammen oder eine Registrierung, die kostenlos Zugang zu Fernsehprogrammen gewährt.  Da die drei aufgeführten Kriterien alle erfüllt sein müssen, sind Sie folglich für den Fernsehempfang nicht meldepflichtig. Ich verstehe deshalb nicht, wieso den Fragebogen so ausgefüllt haben wie oben beschrieben.
Falls Sie die Kriterien nicht verstanden haben, was hat Sie daran gehindert, telefonisch bei uns nachzufragen? Unter der in den Unterlagen angegebenen Telefonnummer geben wir jederzeit gerne Auskunft. Sie schreiben es in Ihrem Artikel selber: Sie waren schon zum voraus misstrauisch und vermuteten eine Finte. Ich finde diese persönliche Voreingenommenheit einen denkbar schlechten Ausgangspunkt für eine journalistische Arbeit.
Sie erwähnen ferner „eine kurze e-mail-Umfrage“ welche 15 identische Fälle ergeben habe. Ich habe Ihren entsprechenden Aufruf vom 1.2.2013 auf zeitpunkt.ch gelesen. Sie schreiben da: „Falls Sie an der Billag-Umfrage teilgenommen und anschliessend eine Rechnung erhalten haben, senden Sie mir bitte eine kurze Mail an [email protected]“. Meine Meinung: viel suggestiver hätte die Umfrage nicht ausfallen können. Sie jedoch versteigen sich zur Aussage, Billag verschicke absichtlich bzw. systematisch „irrtümliche“ Rechnungen. Diese Unterstellung weise ich in aller Form zurück. 
Weiter lese ich in Ihrem Artikel: „Ein Mediaplayer ist allerdings kein TV-Empfangsprogramm wie wilmaa oder zattoo, sondern zum Abspielen von Videodateien bestimmt. Ein normaler Internet-Browser macht einen Computer ebenfalls nicht zu einem für den Empfang bestimmten Gerät, obwohl die TV-Anstalten einzelne Sendungen auch über einen Browser zugänglich machen. Die Billag hätte also nach spezieller Wiedergabe-Software fragen müssen.“ 
Ihre Folgerung kann ich nicht nachvollziehen. Für den TV-Empfang via Computer gelten die oben zitierten, vom BAKOM festgelegten Kriterien. Die Kriterien breitbandiger Internetzugang und entsprechende Software (Media Player etc.) dürften heute bei einem Computer mit Internetzugang im Prinzip gegeben sein. (Wenn jemand die Programme abspielen/ansehen kann, ist auch irgend eine Art von Player vorhanden und darum geht es). Es stellt sich in der Praxis also noch die Frage nach dem (kostenpflichtigen bzw. kostenlosen) „Abonnement“.  Sie erwähnen dann nochmals den Internet-Zugang als (alleinige) Voraussetzung für eine TV-Gebührenrechnung. Ich kann nur nochmals darauf hinweisen, dass die drei zitierten Kriterien kumulativ gelten, dass sie jedem Informationsschreiben beiliegen und im Brief ausdrücklich darauf hingewiesen wird.
Freundliche Grüsse
Jonny Kopp
Head of Communications, Billag AG

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26. Februar 2013
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