Israel ist der grosse Gewinner des Umsturzes in Syrien

Israels Ziel sei nun, «nach der Methode Teile und Herrsche Syrien zu fragmentieren», sagt der frühere US-Diplomat Chas Freeman im Gespräch mit dem Neutralitätsforscher Pascal Lottaz.

Unter den unzähligen Kommentaren zu den Geschehnissen in Syrien mit dem raschen Sturz der Assad-Regierung und seinen Folgen ist eine Einschätzung interessant, die der frühere US-Diplomat Chas Freeman am 8.12. im Interview mit dem Blog Neutrality Studies von Pascal Lottaz aus Japan gab. Freeman, der u.a. Botschafter in Saudi-Arabien war, betonte mehrmals, es sei noch zu früh, um Schlüsse zu ziehen, was genau zum Zusammenbruch der Regierung führte, und um zu wissen, wie das zukünftige Syrien aussehen werde.

Weitreichende geopolitische Auswirkungen seien jedoch bereits erkennbar. Zunächst erklärte Freeman, Israel und Premierminister Netanjahu seien der große Gewinner. Israel habe erfolgreich die Kräfte geschwächt, die als militärische Stellvertreter des Iran in der Region gelten, indem es die Hamas in Gaza zerschlug, die Führung der Hisbollah eliminierte und ihre Reihen dezimierte und nun Syrien als Brücke, die der Iran zur logistischen Unterstützung der Hisbollah nutzte, beseitigte.

Israels Ziel sei nun, „nach der Methode Teile und Herrsche Syrien zu fragmentieren“. Dann stünde der Iran Israel direkt gegenüber, weil ihn keine „vorwärtsstationierte Abschreckung“ mehr schützt. Dies könne in Teheran eine Diskussion darüber auslösen, Irans Atomwaffenprogramm wieder aufzugreifen, er habe aber noch keine konkreten Hinweise darauf gesehen.

Über die Kräfte, die an Präsident Assads Sturz beteiligt waren, sagte Freeman: „Viele ausländische Hände waren im Spiel“, aber das Gesamtbild sei immer noch etwas unklar. Hajat Tahrir al-Scham (HTS) sei keine undisziplinierte Rebellentruppe, sondern eine „gut ausgebildete, gut geführte Armee... mit einer ganzen Palette neuer Waffen“, sogar Panzern.

Das sei wahrscheinlich auf die Unterstützung durch die Türkei und in gewissem Umfang die Ukraine zurückzuführen; er erwähnte aber auch die CIA - die schon seit 1947 an einem Regimewechsel in Syrien arbeite - sowie Frankreich.

In einem früheren Interview hatte Freeman die Rolle der amerikanischen Caesar-Sanktionen hervorgehoben, die Syriens Wirtschaft lahmlegten und die Moral der Armee schädigten, sowie die US-Besetzung der syrischen Ölfelder. Die täglichen Stromausfälle hätten ihren Tribut gefordert und Assads Unterstützung in der Bevölkerung verringert.

Zur Rolle der Türkei und Präsident Erdogans erklärte er, ihr Interesse bestehe darin, die mit der PKK verbündeten syrischen Kurdenfraktionen zu eliminieren und fünf Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei zurückzuführen. Die Türkei und auch Rußland hätten Druck auf Assad ausgeübt, sich mit HTS zu einigen, aber er habe sich geweigert.

Daher sei es nicht unwahrscheinlich, daß die Türkei und Rußland Assad „abgeschrieben haben“ und Ankara dann HTS militärisch ausbildete. Berichten zufolge verhandle Rußland mit HTS über die Beibehaltung seiner Militärbasis in Syrien.

Zu HTS sagte Freeman, der Anführer al-Jolani, auf den die USA ein Kopfgeld von 10 Mio. Dollar ausgesetzt haben, habe sich von seiner Zeit als radikaler Dschihadist, als seine Miliz eine Al-Kaida-Tochter namens Al-Nusra war, distanziert. Doch habe er sich wirklich geändert?

Freeman scherzte, westliche Medienpropagandisten könnten ihn einen „demokratisch- liberalen Dschihadisten“ nennen - aber man müsse abwarten. In Israel verlor Netanjahu keine Zeit, einen großen Sieg zu verkünden und mit der Teilung Syriens anzufangen.

Die Times of Israel berichtete, israelische Truppen hätten syrisches Gebiet auf den Golanhöhen eingenommen, Netanjahu besuchte es am 9.12., und meinte, das sei notwendig, um „unsere Grenze zu schützen“. Er hofft offensichtlich, militärische Siege könnten ihm helfen, wenn er sich nun wegen zahlreicher Korruptionsvorwürfe vor Gericht verantworten muß.


Der Text stammt mit Zustimmung des Verlags aus dem (kostenpflichtigen) Newsletter des Schiller-Instituts.