Kriegsbesoffen am Wähler vorbei. Wie deutsche Talkshows einen Krieg bewerben

Wie wird im deutschen Fernsehen über Krieg und Frieden gesprochen? Das bewegte Bild hat gegenüber dem Text eine grössere emotionale Wirkung, weshalb hier eine besondere Verantwortung für ausgewogene Berichterstattung und Debatte vorliegt.

Bildquelle: Screenshot aus der ARD-Sendung mit Caren Miosga vom 28. April 2024
Bildquelle: Screenshot aus der ARD-Sendung mit Caren Miosga vom 28. April 2024

Die Situation in der Ukraine spitzt sich zu. Markus Reisner, Offizier des österreichischen Bundesheeres und Oberst des Generalstabs, analysiert immer wieder die aktuelle Situation in der Ukraine, um auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen. Der Militäranalyst und Historiker gibt am 7. November 2024 in einem Vortrag im Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ein detailliertes Bild von der militärischen Lage zum «Krieg um die Ukraine». 

«Es gibt zwei Möglichkeiten», fasst er die Situation in der Fragerunde zusammen. «Wir können der Ukraine alles geben, was sie braucht. Und vielleicht sagen die Russen: Hui, die meinen’s wirklich ernst, wir ziehen uns zurück. Oder sie sagen: Es ist so weit, wir drücken auf den Knopf. Niemand weiss von uns, wie das ausgehen wird. Eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit wäre, zu sagen, ok, also wir trauen uns das nicht. Dann müssen wir das aber auch den Ukrainern sagen. Dann müssen wir sagen: Tut uns leid, die Karotte, die wir euch gezeigt haben, die bekommt ihr nicht, wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Ukraine zukünftig aus der Westukraine besteht. Aber das dazwischen, das jetzt, das Fegefeuer, das führt uns nicht weiter. Das ist ein Elend. Ein Sterben, ein Verrecken. Das haben wir.»

Gleichzeitig erleben wir seit November eine gefährliche Eskalation. Die USA gaben der Ukraine die Erlaubnis, ATACMS für Angriffe in Russland weit hinter der Frontlinie zu nutzen, was schon mehrfach geschah.

US-Präsident Joe Biden traf die Entscheidung zur Freigabe der vollen Reichweite kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, und während Donald Trump ankündigte, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Die Berater des scheidenden Präsidenten sind dazu geteilter Meinung, berichtet die New York Times. Einige US-Beamte sagten, sie würden nicht erwarten, dass die Entscheidung den Verlauf des Krieges grundlegend verändern wird. Das Ziel bestünde darin, die Nordkoreaner abzuschrecken. Verantwortliche in den USA äusserten auch die Befürchtung, dass der Einsatz der Raketen durch die Ukraine jenseits der Grenze den russischen Präsidenten Putin zu einem Vergeltungsschlag gegen die USA und ihre Bündnispartner provozieren könnte, heisst es weiter, möglicherweise in Form von Angriffen auf US-amerikanische und europäische Militärstützpunkte.

Währenddessen ziehen Grossbritannien und Frankreich mit den Waffensystemen Storm Shadow und Scalp nach. Russland reagiert mit der Hyperschallrakete Oreschnik und ändert seine Nukleardoktrin. Die Welt fühlt sich erinnert an die Kubakrise. 

Bundeskanzler Scholz blieb bei seinem Nein zu Taurus-Lieferungen, doch gibt es Stimmen, die hier weiterhin Druck ausüben. ATACMS verfügen über eine Reichweite bis 300 Kilometer, Storm Shadow und die baugleiche Scalp schaffen über 250. Taurus ist ein noch leistungsstärkeres System mit 500 Kilometer Reichweite, was eine Entscheidung dafür umso existenzieller und gefährlicher machen würde in Anbetracht der Rolle, die Deutschland dann in diesem Krieg hätte. 

 

Kriegspropaganda bei Maischberger

Wie wird im deutschen Fernsehen über Krieg und Frieden gesprochen? Das bewegte Bild hat gegenüber dem Text eine grössere emotionale Wirkung, weshalb hier eine besondere Verantwortung für ausgewogene Berichterstattung und Debatte vorliegt.

Zwölf bis 15 Millionen Bundesbürger verfolgen laut einer Umfrage die fünf grossen Shows von ARD und ZDF wöchentlich. Etwa die Hälfte davon gibt an, das sehr gerne zu tun, das ermittelte die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse AWA. Im Jahr 2023 gaben rund 6,85 Millionen Personen in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre an, sich sehr gern politische Talkshows im Fernsehen anzusehen. Der grössere Teil der Befragten lehnt die Talkshows jedoch ab. Das Interesse an den grossen Fernsehtalks ist also ambivalent, aber weiterhin sehr relevant.

Im ARD-Talk mit Sandra Maischberger vom 4. Dezember 2024 ist der Ukrainekrieg ein zentrales Thema. In zwei ausführlicheren Interviews spricht sie mit dem CDU Parteivorsitzenden Friedrich Merz und mit dem ehemaligen ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. Zwischen den Interviews werden die angesprochenen Themen diskutiert mit den Journalisten Giovanni di Lorenzo (Die Zeit), Dagmar Rosenfeld (Media Pioneer) und Laura Kipfelsberger. Ein Befürworter für ein rasches Ende deutscher Waffenlieferungen ist nicht dabei.

Auffällig viel wird über Personen und deren Kommunikationsstil gesprochen, wenig über Geopolitik. Scholz habe «starke Bilder» mit verwundeten ukrainische Soldaten auf seiner Ukrainereise produziert, dennoch sei dies Teil seines Wahlkampfes. Die Befürworter der Taurus-Lieferungen bezeichne er unpassenderweise als «heissspornig». Mitten in dieser Scholz-Debatte überracht Giovanni de Lorenzo mit der folgenden Aussage (Minute 57:00 im Talk):

Es gibt natürlich auch einen rationalen Kern, den man jetzt freischaufeln muss von dem Wahlkampf-Thema. Ich glaube, dass es auch gute Argumente dafür gibt, dass eine militärische Entscheidung nicht durch den Bundestag genehmigt werden muss. Warum nicht? Weil dann einige Parteien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Bundesverfassungsgericht anrufen würden.

Was will Giovanni de Lorenzo uns damit sagen?

Im Interview gibt Maischberger Andrij Melnyk die Gelegenheit, eine Aussage von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Nord Stream 2 zu kritisieren. Im folgenden Videoeinspieler hatte man Angela Merkel bei einer Veranstaltung im Deutschen Theater gefragt, «ob es ein Fehler war, solange an dieser Gaspipeline Nord Stream 2 zwei festzuhalten, nach dem der Überfall auf die Krim schon stattgefunden hatte», was Merkel verneint. 

Eine Technik zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist es, den abgebildeten Debattenraum so abzustecken, dass die gewünschte Zuschauermeinung als Mitte erscheint.

Die fehlende Untersuchung der Nord Stream Sprengung im September 2022 hinterlässt beim kritischen Bürger seither einen recht schalen Nachgeschmack. Immerhin handelt es sich um kritische Infrastruktur mit massiven Folgen für unsere Wirtschaft. Die Alternativen von Fracking Gas bis Katar sind zwar teurer, aber moralisch und nachhaltig ja nicht unbedingt besser zu bewerten. Um diesem Unmut im Talk zu begegnen wird das Thema im Talk aufgegriffen und entsprechend in Szene gesetzt: Als Subtext bleibt hängen, gut, dass Nord Stream 2 weg ist. Egal, dass US-Präsident Joe Biden persönlich angedroht hatte, sie zu vernichten.

Melnyk erhält von Maischberger auch viel Zeit und Raum, um den Zuschauer für mehr Waffen und Krieg zu gewinnen. Er wirbt dafür, dass vor allem den Deutschen «ein neues Jahrzehnt der Verteidigung verkündet werden soll», da Russland «keine Grenzen» habe (Minute 1:13:12 im Talk): «Das heisst, für ihn (Putin) ist nicht nur Osteuropa, aber auch Ostdeutschland Teil dieses wahnsinnigen Imperiums, das er verloren hat.» So endet Melnyks Plädoyer, und so bleibt es am Ende der Sendung auch unhinterfragt stehen. 

Wann aber hat Putin das behauptet? Will man diplomatische Ziele erreichen, muss man versuchen, die Beweggründe des anderen nachzuvollziehen, was nicht bedeutet, sein Vorgehen gutzuheissen. Von russischer Seite werden wiederholt die Nato-Osterweiterung und der jahrelange Bürgerkrieg gegen die russische Minderheit im Donbass thematisiert.

Wie sah die Situation zum Thema in der ARD vor einem guten halben Jahr aus? Werfen wir beispielhaft einen Blick in Caren Miosgas Talk am 28. April 2024.

 

Emotionales Aufrüsten bei Caren Miosga 

Die Moderatorin Caren Miosga diskutiert «mit Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft das Thema der Woche», verspricht die ARD. Dabei sollen «unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen auf ein Problem» deutlich werden sowie «die dahinterstehenden politischen Prozesse». Miosgas Interviewpartner zum Thema Ukrainekrieg waren im laufenden Jahr 2024 Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Annalena Baerbock und Wolodymyr Selenskyj.

Im April 2024 diskutierte Miosga dazu mit Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag (FDP), die Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff und der Journalist und Autor Heribert Prantl. (Heribert Prantl ist Autor des Buches: Den Frieden gewinnen: Die Gewalt verlernen, Heyne Verlag, 2024)

Strack-Zimmermann spricht im Interview von «unmittelbarer Bedrohung» sowie von hybriden und asymmetrischen Angriffen auf Deutschland, ohne dies zu erklären. Davon abgesehen konzentrieren sich die ersten zwanzig Minuten der Sendung auf die private Person Strack-Zimmermann und auf ihr Image, auf ihre Kindheit, das Motorradfahren und ihre manchmal derben Wortspiele gegen die AfD. «Die Sendung gefällt mir», sagt sie selbst dazu. 

Im Folgenden wird ein visuell ansprechender Rückblick in Form von eingeblendeten Polaroid-Fotos auf ihr Leben gezeigt, in welchem sie als «selbsternannte Eurofighterin» für ihr «Engagement» für den Taurus gefeiert wird, für den sie gegen die Position des Kanzlers schliesslich zusammen mit der CDU abgestimmt hatte.

Nach einer kurzen Diskussion moderiert Miosga den nächsten vorbereiteten Unterpunkt an und wendet sich an Strack-Zimmermann (Minute 35:27 im Talk):

«Sie haben Schlagzeilen gemacht mit einem T-Shirt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz von einer Ukrainerin».

«Was jetzt im Haus der deutschen Geschichte in Bonn ausgestellt ist», ergänzt Strack-Zimmermann. 

«Das muss man dazusagen, Sie haben das gespendet. Für die Ukrainerin war das wahrscheinlich ein sehr schöner Moment dass Sie das angezogen haben», legt die Moderatorin nach. Welche «unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen auf ein Problem» werden in dieser Sendung transparent, um bei der erklärten Intention der ARD zu bleiben?

«Ich finde das einen unernsten Umgang mit einem todernsten Thema»kommentiert Prantl die T-Shirt-PR. «Mir ist auch der Taurus zu ernst. Über den Taurus kann man lange diskutieren. (…) Mir ist der Taurus zu gefährlich, und die Art…»

«Warum?» fragt Strack-Zimmermann.

«...und Weise wie der Kanzler argumentiert – »

«Warum» unterbricht sie ihn.

«Warum, weil die Kriegsgefahr –»

«Warum», wirft Strack-Zimmermann ein drittes Mal ein, bevor Prantl den Satz beenden kann.

«Weil der Taurus zu weit reicht. Man kann Moskau damit angreifen».

«Sie unterstellen der Ukraine, dass sie Moskau angreifen wollen?»

Prantl antwortet: «Mir ist das Risiko zu gross».

In diesem Moment unterbricht Nicole Deitelhoff ihn mit der Bemerkung: «Vielleicht brauchen wir ja gar nicht in diese Frage rein». Sie lenkt das Thema zurück auf das T-Shirt und von dort direkt auf die Gegner der Waffenlieferungen, die sich so vielleicht «nicht ernst genommen» fühlten. Damit leitet überraschenderweise eine Diskutantin indirekt den nächsten vorbereiteten Punkt ein: Eine Statistik zur Zustimmung oder Ablehnung in der Bevölkerung wird eingeblendet. 

Nur Putin freue sich über die Besonnenheit des Kanzlers, behauptet indessen Strack-Zimmermann und spricht in der Sendung ausführlich und einseitig konnotiert über Kriegsverbrechen. «Die ganze Welt» sei «angezündet durch diesen Krieg».

Heribert Prantl wird schliesslich von den beiden Diskutantinnen und der Moderatorin einhellig belehrt bzw. bekehrt, womit Miosga die Rolle einer ausgewogenen oder neutralen Moderatorin verlässt.
«Verstehen Sie das, Herr Prantl, dass man erst in die Position des Stärkeren kommen muss, um dann auch verhandeln zu können?» fragt Miosga ihn und erhält zur Antwort: «Das verstehe ich so nicht.»

Prantl spricht statt dessen über die Kunst des Verhandelns und über die Rolle Chinas und den globalen Süden. (Minute 45:03 im Talk) Er wird dabei nach 20, dann nach 40, und noch einmal 60 Sekunden unterbrochen.

«Welchen Sinn haben Friedensgespräche, an denen Russland nicht teilnimmt?» fragt Prantl später mit Bezug zur Schweizer Friedenskonferenz (Minute 52:00 im Talk) und erhält abermals von Deitelhoff zur Antwort: «Wir sind noch nicht an dem Punkt, an dem wir tatsächlich in ernsthafte Verhandlungen einsteigen!»

Wohin hat uns diese Haltung gebracht? Wer keine Verhandlungen will, kann auch keine führen. Eine Haltung, die der westlichen Wertegemeinschaft doch eigentlich gar nicht gut steht.

«Ich würde auch verhandeln ohne Vorbedingungen», kontert Prantl. Das gewaltige Töten könne sonst noch jahrelang so weitergehen und müsse doch beendet werden.

Es gab in den vergangenen drei Jahren immer wieder Stimmen für den Frieden in den grossen Talkrunden, und manch einer musste die Arena des Fernsehens verlassen für die einfache Haltung, keine Waffenlieferungen seien die bessere Position für Deutschland. Die Folgen waren oft Diffamierungen und Verleumdung bis hin zum Rauswurf an Universitäten, die Tendenz steigt. 

Man denke an die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot bei Markus Lanz, an den Politikwissenschaftler und Journalisten Patrick Baab und sein Buch «Auf beiden Seiten der Front» oder an den Historiker Daniele Ganser und die unfassbaren Versuche, seine Vortragsreihe «Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?» im Jahr 2023 zu verbieten.

Wie wird man über all die Beschimpften und Übertönten sprechen, wenn einige Jahre vergangen sind? Ist es nicht höchste Zeit, sich zu besinnen auf einen grossen, fairen und friedensbewegten Debattenraum im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, an Universitäten, und auch in der Politik? Das wäre meine vorweihnachtliche Hoffnung für das vergehende Jahr 2024.

10. Dezember 2024
von:

Über

Angela Mahr

Submitted by cld on Do, 08/03/2023 - 15:00

Über mich: Ich bin Journalistin und arbeite zu den Themen Frieden, Interkulturelle Kommunikation und Völkerrecht. Damit verbunden betrachte ich auch das Spannungsfeld von Propaganda und Gesellschaft. Als Filmemacherin reiste ich nach China, Tibet und Indien und veröffentliche auf konzernunabhängigen Wegen. Ich studierte Ethnologie, Nordamerikastudien und Literaturwissenschaft (M.A.) in Berlin.

Jede Krise ist auch eine Chance. Deshalb geht es in meiner Arbeit und in meiner Musik zugleich auch um den Mut zum Neubeginn. Wenn wir unsere Liebe zum Leben mit unserer Kreativität verbinden, entstehen neue Lösungen, und echter Friede wird möglich.
 

CoverMein neues Buch: Frieden für die Ukraine - wie kann der Krieg beendet werden?