«Soul Voice» – den Körper über die Stimmfrequenzen harmonisieren? Schreien in die Welt hinaus im Selbstversuch.

Die Stimmtherapeutin Miriam Helle im Film «Der Klang der Stimme». (Foto: zvg)

Der Laut aus meiner Kehle hört sich seltsam an: Er klingt nach irgendetwas zwischen dem Grochsen eines undefinierbaren Tiers und dem Quietschen eines rostigen Türscharniers. Er kratzt in meinem Hals, ist mehr Geräusch als Klang; er ist nichts, das ich hören oder vernünftigerweise von mir geben möchte. Aber ich weiss, dass es jetzt gerade darum geht, nicht zu zensieren. Also Mund auf und geschehen lassen. Ich versuche es.
Ich stehe im Praxisraum von Miriam Helle in Zürich. Die Wände des Raums sind hoch und in erdigen Farben gehalten. An der Decke hängen runde Isolierelemente. Von draussen dringt das gedämpfte Brausen des Verkehrs. Der Geräuschteppich beruhigt mich, mildert mein Schamgefühl. In eine absolute Stille hinein zu tönen, zischen und ächzen würde mir sicher schwerer fallen.

Was mich herbrachte? Mein Tinnitus. Ich habe ihn seit einem Jahr, und wie es bei Tinnitus so ist: Die Ursache ist scheinbar unbekannt, und nichts half bisher dagegen. Als eine Bekannte mir erzählte, dass ein Freund seine Störgeräusche mit regelmässigem Schreien während des Autofahrens weggebracht habe, wurde ich hellhörig. Könnte das fiese innere Pfeifen verschwinden, indem man es nach aussen drückt? Eine Art Katharsis. Situationen, die zum Schreien waren, hatte ich in den letzten beiden Jahren schliesslich genug. Aber keinen geeigneten Ort dafür.

Also bin ich hier gelandet. Miriam Helle, bekannt aus dem Film «Der Klang der Stimme», bietet Stimmtherapie nach der Methode Soul Voice an. (Siehe Kasten). Ich bin offen, neugierig, und ich habe nichts zu verlieren.

Meine Stimme vertont  erst das zusammengezogene Gefühl in meinem Magen, dann das Stechen in der Brust und dann die Spannung im Kiefer.

Nach der Anamnese werde ich eingeladen, einen stimmigen Platz im Raum einzunehmen, mit offenem Mund und lockerem Kiefer ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen und die Töne, die dabei entstehen, einfach zuzulassen. Zwischen Seufzern und Gähnen gewöhnen sich meine Ohren an meine Stimme in ihren absichtslosen Momenten.

Dann soll ich mit der Stimme den Stellen im Körper nachspüren, die meine Aufmerksamkeit verlangen, und dem Gefühl, das dort sitzt, in einen Klang, ein Geräusch übersetzen.
Ich krächze. Ich klage. Ich quietsche. Ich setze mich so lange über meinen zensurlustigen Kopf hinweg, bis mein Verlegenheitsgefühl kapituliert und ich nicht mehr nachdenke. Dann setzt ein Flow ein, der weiss, was wie klingen muss.

Meine Stimme wird zu einem stotternden Motor, zum Störgeräusch eines Radios, zur malmenden Wut der Brandung und hundert anderen Dingen. Sie vertont  erst das zusammengezogene Gefühl in meinem Magen, dann das Stechen in meiner Brust und dann die Spannung in meinem Kiefer.
Miriam Helle ermutigt mich. Sie klingt manchmal mit oder berührt mich leicht, was meine Emotionen verstärkt. Eine Berührung am Bauch reicht aus: Was anfangs leidend und wimmernd daherkommt,  bäumt sich auf und wird zu einer fast mörderischen Wut. Ich schmettere meine Wut mit lauten, schneidenden Schreien in die Welt hinaus.

Als ich das höre, ist mir klar: Das ist er. Das ist «der» Ton, auf den ich gewartet habe, der Ton, der ausdrückt, was ich mit Worten nicht sagen kann. Es ist der ehrlichste Ton, den ich je von mir gegeben habe. Ich wiederhole ihn wieder und wieder. Ich weiss nicht, wann ich zuletzt etwas so befreiendes gefühlt habe.
Tränen steigen auf, der Drang nach zielloser Bewegung lässt mich aufstampfen. Ich denke nicht mehr, ich empfinde nur noch. «Raus damit, immer raus, nichts drin halten», ermutigt mich Miriam Helle. Ich werde abwechselnd wütend und tieftraurig.
Schliesslich lädt sie mich ein, dieses Erleben mit harmonisierenden Tönen abzuschliessen. Die Zeit ging viel zu schnell um. Ich fühle mich heiser, verheult und klarer als zuvor. Von etwas Undefinierbarem teilweise gereinigt.

Den Tinnitus habe ich immer noch. Ich hatte auch nicht gehofft, ihn nach nur einer Sitzung loszuwerden. Aber ich fahre mit neuer Kraft nach Hause, gespeist aus einer neuen Ehrlichkeit mir selbst gegenüber – auch wenn sie sich ganz ungeheuerlich anhört.

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«Soul Voice ist eine Therapieform, bei der die Eigenschwingungen des Körpers durch die Stimme wieder in Harmonie gebracht werden», so Therapeutin Miriam Helle. Der Therapie liegt der Gedanke zugrunde, dass jede Materie und damit auch das Gewebe des menschlichen Körpers, in einer spezifischen Frequenz schwingt, die in Disharmonie geraten kann. Die Therapie löst  Blockaden, stellt die Balance wieder her und aktiviert die Selbstheilungskräfte. Entwickelt wurde Voice® von der dänischen Therapeutin Karina Schelde.
Kontakt: Miriam Helle, Hohlstrasse 211, 8004 Zürich www.miriamhelle.ch