Mit Vollgeld aus der Krise
Die private Geldschöpfung durch die Banken – lange ein blinder Fleck – wird zusehends zum Politikum. Nun hat Verein «Monetäre Modernisierung» (MoMo) ein handliches Buch herausgegeben: «Die Vollgeld-Reform – wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können». Darin analysieren prominente Wissenschaftler das Problem und schlagen eine Verfassungsreform vor. Der Grundsatz: Nur noch die Nationalbank soll Geld schöpfen können.
Zunächst ein bisschen Geldgeschichte: Mit der industriellen Revolution ersetzten zu Beginn des 19. Jahrhunderts Banknoten Münzen als wichtigstes Zahlungsmittel. Sie wurden von den Banken herausgegeben – daher der Name – und untergruben nebenbei das staatliche Geldmonopol. Zudem war die Deckung der Banknoten von der Bonität des herausgebenden Instituts abhängig. Die strittige Frage nach der Geldschöpfungsautorität wurde zuerst in England mit dem «Bank Charter Act von 1844 zugunsten der Bank of England entschieden. Nach diesem Beispiel wurden bis zum Ersten Weltkrieg in den Industrieländern die privaten Banknoten durch staatliches, durch Gold gedecktes Papiergeld ersetzt. Das staatliche Geldmonopol war allerdings nicht vollständig: Ein Drittel der Zahlungsmittel bestand schon im vorletzten Jahrhundert aus Buchgeld der Banken. Heute, mit Münzen und Noten als einzigen, dem Publikum zugänglichen gesetzlichen Zahlungsmitteln, bestehen rund 85 Prozent der Geldmenge aus Buchgeld – das verfassungsmässige Geldmonopol des Staates ist de facto unterlaufen.
Nicht nachhaltig: Geld als «ewige Schulden»
Die Theorie der Geldschöpfung gehört nicht zum Pflichtstoff von Studenten der Nationalökonomie, es sei denn, ein Professor kümmere sich um dieses fundamentale Fachgebiet. Einer dieser wenigen Wissenschaftler ist Hans Christoph Binswanger, emeritierter Professor der Hochschule St. Gallen, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von MoMo und Co-Autor der «Vollgeld-Reform». In seinem Beitrag zeigt er, dass die Banken entgegen dem Volksglauben nicht das Geld der Sparer verleihen, sondern bei jeder Kreditvergabe mittels Bilanzverlängerung neues schaffen. Die Banken machen damit, wie Binswanger unterstreicht, aus Schulden Geld. Und: «Man lässt die Schuld stehen, weil sie Geld ist.» So beruht «unser ganzes Geldsystem auf der Vermehrung ‹ewiger› Schulden.» Diese Ewigkeit, wir erfahren es mit täglich neuer Dramatik, scheint nun allerdings zu Ende zu gehen. Die Staaten sind zunehmend nicht einmal mehr in der Lage, die Zinsen auf ihren ‹ewigen› Schulden zu bezahlen. Für Binswanger ist klar: «Finanz- und Umweltkrise sind ohne Währungs- und Geldreform nicht lösbar.»
Grundsatz: Geldmenge und Wirtschafts-Wachstum im Gleichschritt
Als Lösung beschreibt Joseph Huber, Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Halle, im zweiten Beitrag des Buches die «Vollgeld-Reform». Nach ihr wird die Geldschöpfungsautorität wieder in vollem Umfang an eine unabhängige staatliche Institution zurückgegeben, im Fall der Schweiz an die Nationalbank. Die Vollgeld-Reform lehnt sich an den prominenten amerikanischen Ökonomen Irving Fisher, der in den 30er Jahren unter dem Begriff «100%-Money» eine vollständige Deckung der Konten der Bankkunden mit Zentralbankgeld forderte, um so die überschiessende Geldschöpfung der Banken unter Kontrolle zu bringen und die Guthaben der Kunden zu sichern.
Auch heute hat sich die Zunahme der Geldmenge fast vollständig vom Wachstum der Realwirtschaft gelöst. Während von 1992 und 2008 das Bruttoinlandprodukt in Deutschland real um 23 Prozent stieg, wuchs die Geldmenge um 189 Prozent, «eine Zunahme, die über jedes plausible Ziel weit hinausschiesst», wie Huber schreibt und zu periodischen Blasenbildungen führt
Geld wird im «Vollgeld»-System von der Nationalbank denn auch nach Massgabe des Wirtschaftswachstums geschöpft und dem Staat schuld- und zinsfrei zur Verfügung gestellt, der damit seine Aufgaben finanzieren oder Schulden abbauen kann. In rund 20 Jahren liessen sich die Schulden des Bundes so komplett amortisieren.
Der Geldschöpfungsgewinn, die sog. Seignorage fällt damit wieder der Allgemeinheit zu, anstatt wie bisher den Banken, die auf von ihnen selbst geschöpftem Geld Zinseinkünfte generieren.
Wiederherstellung des Staatsmonopols
Mit der rechtlichen Umsetzung der Vollgeld-Reform befasst sich Philippe Mastronardi, emeritierter Staatsrechtsprofessor der Hochschule St. Gallen, im dritten Beitrag. Nach Artikel 99 der Bundesverfassung steht eigentlich schon bisher die Geldschöpfung ausschliesslich dem Bund bzw. der Nationalbank zu. Der verfassungsrechtliche Geldbegriff sei jedoch «von der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung überholt worden», schreibt Mastronardi. Und: «Die Vollgeldreform zielt insoweit gar nicht auf etwas Revolutionäres, sondern schafft schlicht die geldpolitischen Voraussetzungen, um der bestehenden Rechtsordnung Geltung zu verschaffen.» Mastronardi versteht den Finanzmarkt als Service public mit drei Kreisen: Die Nationalbank schöpft als unabhängige «Monetative» (analog zur Legislative, Exekutive und Judikative) die Geldmenge, die sich aus der Wirtschaftsentwicklung ergibt. Weder Regierung noch Parlament sollen beeinflussen, wieviel Geld die Nationalbank als potenzialgerecht erachtet und wieviel Seigniorage in Form neu geschöpften Geldes sich daraus ergibt. Der Zahlungsverkehr unterliege, da systemrelevant, erhöhter staatlicher Kontrolle, während die Versorgung der Wirtschaft mit Geld und Kredit dem freien Markt, d.h. Den Banken überlassen würde.
In welcher Form die Vollgeld-Reform umgesetzt werden soll, darüber ist sich der Verein Monetäre Modernisierung noch nicht einig. Im Anhang des Buches finden sich drei ausformulierte Vorschläge für eine Verfassungsänderung. Die eine beschränkt sich auf die Einführung des 100-Prozent-Geldes, nach der die Banken ihre kurzfristigen Verbindlichkeiten zu 100 Prozent mit Nationalbankgeld decken müssen und dürfte auf den geringsten politischen Widerstand stossen. Der zweite Vorschlag sieht ein eigentliches «Vollgeld», das von der Nationalbank geschöpft und den staatlichen Organen zins- und schuldfrei zur Verfügung gestellt wird. Der dritte Vorschlag ergänzt das Vollgeld mit einer Finanzmarktregelung. Bis in einem Jahr will der Verein die Diskussion abgeschlossen haben, mit welcher Reform eine Volksinitiative lanciert werden soll. Das vorliegende Buch soll die Debatte darüber in Gang bringen.
Verein Monetäre Modernisierung (Hrsg.): Die Vollgeld-Reform – wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können.
Mit Beiträgen von Hans Christoph Binswanger, Joseph Huber und Philippe Mastronardi. Edition Zeitpunkt, 2012. 80 Seiten, Fr. 12.50 / Euro 9.50. ISBN: 978-3-9523955-0-9
Im Buch blättern
Buch gegen Rechnung bestellen (Versand ab Ende Januar 2012)
Links:
www.vollgeld.ch
www.monetative.org
Was «Moneta», die Kundenzeitschrift der alternativen Bank Schweiz ABS über die Vollgeld-Reform schreibt: http://dl.dropbox.com/u/1274043/Medien/Moneta_4_2011_Die_grosse_Reform.pdf
Zunächst ein bisschen Geldgeschichte: Mit der industriellen Revolution ersetzten zu Beginn des 19. Jahrhunderts Banknoten Münzen als wichtigstes Zahlungsmittel. Sie wurden von den Banken herausgegeben – daher der Name – und untergruben nebenbei das staatliche Geldmonopol. Zudem war die Deckung der Banknoten von der Bonität des herausgebenden Instituts abhängig. Die strittige Frage nach der Geldschöpfungsautorität wurde zuerst in England mit dem «Bank Charter Act von 1844 zugunsten der Bank of England entschieden. Nach diesem Beispiel wurden bis zum Ersten Weltkrieg in den Industrieländern die privaten Banknoten durch staatliches, durch Gold gedecktes Papiergeld ersetzt. Das staatliche Geldmonopol war allerdings nicht vollständig: Ein Drittel der Zahlungsmittel bestand schon im vorletzten Jahrhundert aus Buchgeld der Banken. Heute, mit Münzen und Noten als einzigen, dem Publikum zugänglichen gesetzlichen Zahlungsmitteln, bestehen rund 85 Prozent der Geldmenge aus Buchgeld – das verfassungsmässige Geldmonopol des Staates ist de facto unterlaufen.
Nicht nachhaltig: Geld als «ewige Schulden»
Die Theorie der Geldschöpfung gehört nicht zum Pflichtstoff von Studenten der Nationalökonomie, es sei denn, ein Professor kümmere sich um dieses fundamentale Fachgebiet. Einer dieser wenigen Wissenschaftler ist Hans Christoph Binswanger, emeritierter Professor der Hochschule St. Gallen, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von MoMo und Co-Autor der «Vollgeld-Reform». In seinem Beitrag zeigt er, dass die Banken entgegen dem Volksglauben nicht das Geld der Sparer verleihen, sondern bei jeder Kreditvergabe mittels Bilanzverlängerung neues schaffen. Die Banken machen damit, wie Binswanger unterstreicht, aus Schulden Geld. Und: «Man lässt die Schuld stehen, weil sie Geld ist.» So beruht «unser ganzes Geldsystem auf der Vermehrung ‹ewiger› Schulden.» Diese Ewigkeit, wir erfahren es mit täglich neuer Dramatik, scheint nun allerdings zu Ende zu gehen. Die Staaten sind zunehmend nicht einmal mehr in der Lage, die Zinsen auf ihren ‹ewigen› Schulden zu bezahlen. Für Binswanger ist klar: «Finanz- und Umweltkrise sind ohne Währungs- und Geldreform nicht lösbar.»
Grundsatz: Geldmenge und Wirtschafts-Wachstum im Gleichschritt
Als Lösung beschreibt Joseph Huber, Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Halle, im zweiten Beitrag des Buches die «Vollgeld-Reform». Nach ihr wird die Geldschöpfungsautorität wieder in vollem Umfang an eine unabhängige staatliche Institution zurückgegeben, im Fall der Schweiz an die Nationalbank. Die Vollgeld-Reform lehnt sich an den prominenten amerikanischen Ökonomen Irving Fisher, der in den 30er Jahren unter dem Begriff «100%-Money» eine vollständige Deckung der Konten der Bankkunden mit Zentralbankgeld forderte, um so die überschiessende Geldschöpfung der Banken unter Kontrolle zu bringen und die Guthaben der Kunden zu sichern.
Auch heute hat sich die Zunahme der Geldmenge fast vollständig vom Wachstum der Realwirtschaft gelöst. Während von 1992 und 2008 das Bruttoinlandprodukt in Deutschland real um 23 Prozent stieg, wuchs die Geldmenge um 189 Prozent, «eine Zunahme, die über jedes plausible Ziel weit hinausschiesst», wie Huber schreibt und zu periodischen Blasenbildungen führt
Geld wird im «Vollgeld»-System von der Nationalbank denn auch nach Massgabe des Wirtschaftswachstums geschöpft und dem Staat schuld- und zinsfrei zur Verfügung gestellt, der damit seine Aufgaben finanzieren oder Schulden abbauen kann. In rund 20 Jahren liessen sich die Schulden des Bundes so komplett amortisieren.
Der Geldschöpfungsgewinn, die sog. Seignorage fällt damit wieder der Allgemeinheit zu, anstatt wie bisher den Banken, die auf von ihnen selbst geschöpftem Geld Zinseinkünfte generieren.
Wiederherstellung des Staatsmonopols
Mit der rechtlichen Umsetzung der Vollgeld-Reform befasst sich Philippe Mastronardi, emeritierter Staatsrechtsprofessor der Hochschule St. Gallen, im dritten Beitrag. Nach Artikel 99 der Bundesverfassung steht eigentlich schon bisher die Geldschöpfung ausschliesslich dem Bund bzw. der Nationalbank zu. Der verfassungsrechtliche Geldbegriff sei jedoch «von der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung überholt worden», schreibt Mastronardi. Und: «Die Vollgeldreform zielt insoweit gar nicht auf etwas Revolutionäres, sondern schafft schlicht die geldpolitischen Voraussetzungen, um der bestehenden Rechtsordnung Geltung zu verschaffen.» Mastronardi versteht den Finanzmarkt als Service public mit drei Kreisen: Die Nationalbank schöpft als unabhängige «Monetative» (analog zur Legislative, Exekutive und Judikative) die Geldmenge, die sich aus der Wirtschaftsentwicklung ergibt. Weder Regierung noch Parlament sollen beeinflussen, wieviel Geld die Nationalbank als potenzialgerecht erachtet und wieviel Seigniorage in Form neu geschöpften Geldes sich daraus ergibt. Der Zahlungsverkehr unterliege, da systemrelevant, erhöhter staatlicher Kontrolle, während die Versorgung der Wirtschaft mit Geld und Kredit dem freien Markt, d.h. Den Banken überlassen würde.
In welcher Form die Vollgeld-Reform umgesetzt werden soll, darüber ist sich der Verein Monetäre Modernisierung noch nicht einig. Im Anhang des Buches finden sich drei ausformulierte Vorschläge für eine Verfassungsänderung. Die eine beschränkt sich auf die Einführung des 100-Prozent-Geldes, nach der die Banken ihre kurzfristigen Verbindlichkeiten zu 100 Prozent mit Nationalbankgeld decken müssen und dürfte auf den geringsten politischen Widerstand stossen. Der zweite Vorschlag sieht ein eigentliches «Vollgeld», das von der Nationalbank geschöpft und den staatlichen Organen zins- und schuldfrei zur Verfügung gestellt wird. Der dritte Vorschlag ergänzt das Vollgeld mit einer Finanzmarktregelung. Bis in einem Jahr will der Verein die Diskussion abgeschlossen haben, mit welcher Reform eine Volksinitiative lanciert werden soll. Das vorliegende Buch soll die Debatte darüber in Gang bringen.
Verein Monetäre Modernisierung (Hrsg.): Die Vollgeld-Reform – wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können.
Mit Beiträgen von Hans Christoph Binswanger, Joseph Huber und Philippe Mastronardi. Edition Zeitpunkt, 2012. 80 Seiten, Fr. 12.50 / Euro 9.50. ISBN: 978-3-9523955-0-9
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Buch gegen Rechnung bestellen (Versand ab Ende Januar 2012)
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www.vollgeld.ch
www.monetative.org
Was «Moneta», die Kundenzeitschrift der alternativen Bank Schweiz ABS über die Vollgeld-Reform schreibt: http://dl.dropbox.com/u/1274043/Medien/Moneta_4_2011_Die_grosse_Reform.pdf
08. Januar 2012
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
032 621 81 11
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