Mystica-Kongress: Auf dem Weg zur «New Story»

Beim Schaulaufen der grossen Namen aus Spiritualität, Alternativmedizin und Geldreform präsentiert sich eine neue gesellschaftliche Bewegung in Aufbruchsstimmung. (28./29.07. in München) Text: Roland Rottenfußer

«Wir leben in zwei Welten. Eine Welt treibt wie ein Luxusdampfer auf See, träge und schwer von der Vergangenheit. Eine andere Welt begibt sich ins Unbekannte, wie ein Kind, das zum ersten Mal in den Wald geht.» Deepak Chopra hat das gesagt. Und es besteht kein Zweifel, in welcher der beiden Welten Veranstalter Thomas Schmelzer seinen Mystica-Kongress verorten will. «Der Neubeginn» hiess die erste Grossveranstaltung des Portals «Mystica.TV», das seit September 2009 existiert und eine Verbindung von Spiritualität, Wissenschaft und Gesellschaft anstrebt. Im gediegenen Ambiente des Münchener Literaturhauses – mit wunderschönem Panoramablick auf die Theatinerkirche – traf sich am 28. und 29. Juli eine hochrangige Referentenriege.



Man konnte getrost vergessen, dass «Mystica» ein bisschen nach «Esotera» klingt. Das Konzept der Veranstalter nahm von Anfang an Politik, Wirtschaft und gesellschaftliches Engagement mit ins Boot. Charles Eisenstein, Vordenker der Occupy-Bewegung, gab die Richtung vor. Der neuen politischen Kraft wird ja gern vorgeworfen, keine konkreten Forderungen zu stellen. «Keine Forderung kann gross genug sein», ist Eisensteins Antwort. Der smarte junge US-Amerikaner deutet in nur einer Stunde die Weltgeschichte als Prozess der Entfremdung von der Natur und den gegenwärtigen Umbruch als schmerzhafte Initiation der Menschheit. Wie Kinder im Prozess des Erwachsenwerdens müssen wir lernen, zu geben und uns in etwas Grösseres einzubringen. Nach dem Zusammenbruch der alten Wirtschaftsordnung wird die Zukunft einer Schenkökonomie gehören, die einer «Logik der Verbundenheit» gehorcht.



Spiritualität wird konkret



Nachdem dies (bewusst) noch allgemein gehalten war, sorgte Margrit Kennedy, Grande Dame der Regionalgeldbewegung, für eine konkretere Analyse. Sie machte deutlich, dass nicht Völker, die «über ihre Verhältnisse gelebt» haben, für die aktuelle Finanzmisere verantwortlich sind. Frankreichs Schulden würden z.B. nur ein Zehntel der heutigen Summe betragen, hätte man entschieden, dass sich der Staat von der Zentralbank zinsfrei Geld leihen könne. Den psychologischen Aspekt der Krise beleuchtete hernach der bewährte Arzt und Bestsellerautor Ruediger Dahlke. Da der moderne Mensch zunehmend unbequeme Wahrheiten verdränge, werde das Ich kleiner, der Schatten immer grösser, erklärte Dahlke. Burnouts und «Borouts» häufen sich, da Menschen für eine Sache verbrennen, für die ihr Herz nicht brennt.



Bewegend war der Auftritt der 85-jährigen Rosi Gollmann, Begründerin der Andheri-Hilfe, die in Indien u.a. armen Menschen Augenoperationen finanziert. «Es gibt eine Million Blinde in Indien. Wo wollen Sie da anfangen?», war Gollmann bei Gründung ihres Hilfswerks gewarnt worden. «Ich fange mit dem ersten an», antwortete die resolute Dame. Aber auch zu den globalen Zusammenhängen hat Rosi Gollmann eine Idee. Der Begriff «Wirtschaft» erinnere an einen Wirt – und dessen Aufgabe sei es, zu bedienen. Die heutige globale Wirtschaft wolle jedoch herrschen. Einfühlsam moderierte Veranstalter Thomas Schmelzer auch Markus-Lanz-taugliche Gäste wie Walter Kohl, Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers. Der gab einen berührenden Einblick in sein Schicksal im Schatten eines übermächtigen Vaters und einer Mutter, die den Freitod gewählt hatte.



Ein Konzept, das aufgeht



Schmelzer verzichtete auf den teilweise im TV üblichen Einschüchterungs-Talk und entlockte seinen Gästen Einblicke in ihr Seelenleben. Spiritualität nahm dabei einen eher unaufdringlichen Platz im Hintergrund ein. Sie wurde von mehreren Referenten als motivierende Kraft oder als Bezugsrahmen für gesellschaftliches Handeln benannt. Persönlicher Erleuchtungsehrgeiz war jedoch nicht Gegenstand des ersten Konferenztags. Abgesehen von einer etwas seichten Klangschalenmeditation wurde dankenswerterweise auf die atmosphärischen Accessoires von Esoterik-Messen verzichtet. Auch der zweite Konferenztag, zu dem ich leider nicht kommen konnte, versprach interessant zu werden. Der spirituelle Lehrer Christian Meyer, die Maori-Heilerin Wai Turoa-Morgan und Botaniker-Urgestein Wolf-Dieter Storl gehören neben anderen zu den Referenten.



Das Multi-Media-Konzept «Mystica», zu dem ein Webmagazin und Internet TV-Talks mit Thomas Schmelzer gehören, scheint aufzugehen. Das Projekt, wie auch andere interessante Zeitschriften-Neugründungen («oya», «Wir»), macht eines deutlich: Nachdem die erste Esoterik-Welle seit den 80ern aufgrund ihrer zu egozentrischen und verkitschten Orientierung verdientermassen abgeflaut ist, formt sich jetzt eine neue Aufbruchsbewegung. Sie integriert scheinbar mühelos Elemente von Komplementärmedizin, Öko-Landwirtschaft, Mystik, Quantenphysik, Geldalternativen und gesellschaftlichem Engagement. Sie wahrt ein erfreuliches Niveau und bleibt dabei mit der Kraft des Herzens verbunden. Von dieser Bewegung wollen wir uns im Übergang zwischen der «Old Story» und der «New Story» (Charles Eisenstein) gern publizistisch begleiten lassen.



www.mystica.tv