Die Schönsten
Liebe Freude der Schweizer Alpen: Nirgendwo sind die Berge schöner als in den Dolomiten. Schuld daran sind die Korallen der Urzeit, die Vulkane des Urmeeres Tetys und fünf Schluchten.
Superlative sollte man nicht allzu ernst nehmen, schon gar nicht bei weichen Kriterien wie der Schönheit. Aber wenn man den Chauvinismus von Schweiz-Liebhabern – wie ich einer bin –, etwas herausfordern kann, dann darf man ausnahmsweise etwas dick auftragen.
Ich behaupte also, dass die Dolomiten das schönste Gebirge der Alpen sind. Sogar der ganzen Welt, meint Reinhold Messner, aber er stammt von dort und ist vermutlich voreingenommen. Zur Prüfung des Wahrheitsgehaltes muss man zuerst wissen, was die Dolomiten sind und wo sie sich befinden, schliesslich gibt es neben den eigentlichen Dolomiten im Südtirol auch noch die Unterengadiner oder die Bergeller Dolomiten.
Der Name geht zurück auf den französischen Naturforscher und Mineralogen Déodat Gratet de Dolomieu, der 1789 in den «bleichen Bergen» des Südtirols unterwegs war und eine erstaunliche Feststellung machte. Im Gegensatz zu normalem Kalkstein, dem vermuteten Hauptbestandteil des Gebirges, reagierten die Gesteinsproben, die Dolomieu im Gebiet sammelte, nicht mit Salzsäure. Dolomieu liess die Proben von seinem Naturwissenschaftler-Kollegen de Saussure (ja, der von der 20er-Note von 1979) untersuchen, der einen ausserordentlich hohen Magnesium-Anteil von 80 Prozent feststellte. Das neu entdeckte Gestein erhielt den Namen «Dolomit».
Die englischen Reiseschriftsteller Josiah Gilbert und George Cheetham Churchill machten mit ihrem Buch «The Mountains of the Dolomites» aus den bleichen Bergen dann die Dolomiten, als die sie heute in aller Welt bekannt sind.
Das Besondere am Dolomit ist seine helle Grautönung und vor allem die Tatsache, dass er mit Wasser kaum reagiert. Dieser Umstand ermöglicht imposante Felsformationen, wie sie einem im Gebiet der Dolomiten auf Schritt und Tritt begegnen: Pfeiler, Zinnen und schroffe Wände, die das Herz eines jeden Kletterers höher schlagen lassen. Sie bildeten sich aus riesigen Korallengebirgen im Urmeer Tetys, reagierten unter der Hitze submariner Vulkanausbrüche und bildeten die imposanten Zacken, währenddem die Sedimente rundherum im Lauf der Jahrmillionen abgetragen wurden.
Aber nicht nur Bergsteiger sind fasziniert von den eindrücklichen Gipfeln, auch normale Menschen werden irgendwie ganz anders angesichts der wilden Schönheit der Dolomiten. Es ist, als ob sie ein einziger grosser Kraftort wären, der einen mit Energie auflädt. Ich schreibe das, weil ich weiss, dass es anderen auch so ergangen ist. Wer einmal dort gewesen ist, hat Bilder fürs Leben.
Zum besonderen Gebirge kommt ein einzigartiges soziales Biotop. Die fünf Südtiroler Täler der Dolomiten sind alle durch Schluchten oder Talengen begrenzt. Vor der Schlucht spricht man deutsch, dahinter im wesentlichen ladinisch, dem Rätoromanischen verwandt. Als Italien das Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg übernahm, zog es die Grenzen der Provinzen so, dass alle Täler in verschiedene Verwaltungseinheiten zu liegen kamen. So bilden die Ladiner in allen eine verschwindende Minderheit. Aber mindestens das Grödnertal, auch bekannt als Val Gardena, das ich auf Einladung des dortigen Tourismusbüros besuchte, wusste sich zu helfen: Eine Anstellung bei den Gemeinden bekommt nur, wer deutsch, italienisch und ladinisch spricht.
Natürlich zieht die faszinierende Bergwelt auch die Massen an. Es hat Hotels und Herbergen zum Abwinken. Und die Skigebiete bestehen grösstenteils aus Waldschneisen mit Beschneiungsanlagen. Im Talhauptort St. Ulrich hat es sogar Rolltreppen im Dorf. Ich finde, ausserhalb der Hochsaison kann man damit leben, denn der Ökotourismus wird auch in den Dolomiten zunehmend grösser geschrieben und zwischen den von Bahnen und Strassen erschlossenen Gebieten regiert der Zauber der Zinnen. Wegen ihnen sollte man in die Dolomiten gehen. Die bemerkenswerte gastronomische Qualität der Berggasthäuser und der freundliche Menschenschlag sind Zugabe.
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Alles über das Grödnertal: www.valgardena.it
Dolomiten allgemein: www.dolomiten.net
von:
Über
Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
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