Leben (fast) ohne Geld
Aus der Serie «Natitingou – Aus dem Afrika-Tagebuch eines Toubab». Folge 6.
Die Kirche ist zum Bersten voll. Scheppernde Lautsprecher übertragen die Predigt nach draussen, auf die Schattenseite des Gotteshauses, wo stillende Mütter am Boden kauern oder sich aufrecht zu halten versuchen. Abwechselnd mit Gottesworten dringt Trommelgetöse und hochfrequenter Gesang aus dem Gebäude, das eher einem Schuppen gleicht. Das Wellblechdach scheppert mit.
Der gefühlte Höhepunkt des Gottesdienstes naht: Mit gewandter Rhetorik lädt der junge Priester alle, die an einem Montag geboren sind, zur Opfergabe ein. Von Tanzrhythmen unterstützt, bewegt sich eine farbenfrohe Schar gen Altar. Dasselbe für die dienstags Geborenen usw. Bis die Sonntagskinder ihren Batzen abladen dürfen, dauert es schon mal eine gute halbe Stunde.
Kommt jetzt die Wandlung? Weit gefehlt. So schnell geht das nicht. «Und jetzt alle mit Vornamen, die mit A, B oder C beginnen», dröhnt es aus den Lautsprechern. Dann DEF, GHI, und so weiter und so fort. Auch diese Einladungen zum grosszügigen Opfern werden lebhaft befolgt – frau/man will sich zeigen – und dauern eine weitere halbe Stunde. Das stört niemanden. Der lange Anmarsch zur Kirche soll mit einem morgenfüllenden Programm entgolten werden.
Geld spielt im Leben der Menschen hier einmal pro Woche eine Rolle: am Markttag. Ok, für die Kirchen- und Moschee-Gänger zweimal pro Woche. Die Markt- und Kirchentage können aber auch zusammenfallen, denn in gewissen Ortschaften ist alle vier Tage Markt. Sie sagen «jeden fünften Tag», denn die Zahl null gibt es nicht. Nicht gecheckt? Beispiel: Heute Dienstag ist Markt, das ist Tag 1. Der nächste Markt ist am Samstag, das ist Tag 5.
Der Alltag lebt sich (fast) ohne Geld. Wasser vom Brunnen oder der Pfütze holen. Im Busch Feuerholz. Der Yams (eine Wurzelknolle, eins der Grundnahrungsmittel hier) der letzten Ernte ist unter einem grossen ebenerdigen Strohdach – von Dorngestrüpp umgeben – in Sicherheit. Für die Sauce: Karitebutter und zwei Handvoll Affenbrotbaum-Blätter. Zwiebeln und oder Knoblauch, ein wenig Salz. Bouillon-Würfel vom Markt sind aus der Mode geraten. Sie machen Bauchweh. Scharfe Peperoncini wachsen hinter dem Haus, erneuern sich selbst und werden – das ist entscheidend – nicht einmal von den Ziegen abgefressen.
Meine Nachbarin, die Alte, kommt mich begrüssen. Morgen sei Markttag, lacht sie. Das Holz hätte sie schon gesammelt. In der Frühe wird sie die schwere Last nach Natitingou tragen, verkaufen und sich den ganzen Tag vergnügen: hier ein Gewürz, da eine Seife, vielleicht Batterien für die Taschenlampe und zwischendurch eine Kalebasse Hirsebier. Gegen Abend marschiert sie mit einem kleinen Bündel heim: ihr Wochen-Grosseinkauf. Der Saldo im Portemonnaie – ein Knopf im Lendentuch – ist wieder auf null.
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