Offiziell baut der Westen seine Sanktionen aus – in Wirklichkeit ignoriert er sie ganz gezielt selbst. So laufen Importe aus Russland in die EU weiterhinauf Hochtouren – auch in jene Länder, die noch vor einem Jahr vehement auf Sanktionen setzten. Der russische Konzern Novatek beispielsweise wird den finnischen Energieversorger Gasum vom Cryogas-Vysotsk Terminal aus vollständig mit LNG beliefern. Und das trotz der vorübergehenden Aussetzung der Exporte auf Initiative des finnischen Unternehmens in diesem Frühjahr, sagte Vorstandsvorsitzender Leonid Mikhelson gegenüber Reportern am Rande des Eastern Economic Forum (EEF).
Die «Financial Times» berichtete bereits am 30. August unter Berufung auf Daten von Global Witness, dass die Länder der Europäischen Union planen, rekordverdächtige Mengen an Flüssigerdgas (LNG) aus Russland zu importieren. Nach Angaben der Organisation belegten Belgien und Spanien in den ersten sieben Monaten dieses Jahres nach China den zweiten bzw. dritten Platz als Käufer von russischem LNG. Die Lieferungen von Flüssigerdgas aus Russland nach China stiegen im Zeitraum Januar bis Juli jährlich um 62,7 % auf 4,46 Mio. Tonnen.
Dabei erklärte Brüssel, bis 2027 auf russische fossile Brennstoffe verzichten zu wollen.
Die Sanktionen verlieren nicht nur im Bereich LNG an Bedeutung.
Auch Konzerne, die sich offiziell aus Russland zurückgezogen haben, sind unter neuer Flagge dort aktiv. So setzt die Volkswagen Group Rus die Aktivitäten in Russland unter neuem Namen fort. Das Unternehmen werde unter der Marke AGR firmieren, teilte Volkswagen bereits im Juni mit. Kein Einzelfall. Auch die niederländische Holding Ingka Group, Eigentümerin der Einkaufszentren IKEA und Mega, hat formal das Geschäftszentrum, in dem sich IKEAs Hauptsitz in Russland befand, zu 100 % verkauft. Die Transaktion wurde am 21. Juli im Uniform State Register of Legal Entities registriert.
Aus westlicher Sicht handelte IKEA damit politisch korrekt: Bereits im März 2022 gab die Unternehmensgruppe Inter IKEA die Einstellung der IKEA-Geschäftsprozesse in Russland und Weißrussland bekannt. Später kündigte das Unternehmen an, vier Fabriken in Russland zu verkaufen und das Einzelhandelsgeschäft im Land einzustellen.
Weniger bekannt ist die Tatsache, dasss man die ebenfalls zu IKEA zählenden Mega-Einkaufszentren weiterbetrieb.
Die Liste der Unternehmen umfasst auch globale Schwergewichte, wie das Beispiel BP belegt. Der britische Öl- und Gaskonzern hält nämlich nach wie vor 19,75 % der Anteile an Rosneft, dem grössten russischen Ölproduzenten, der wiederum von den USA und der EU sanktioniert wurde. BP ist auch an mehreren anderen Projekten in Russland beteiligt, wie der Exploration von Schieferöl und der Förderung von Flüssigerdgas.
Das westliche Aufweichen der harten Sanktionspolitik wurde zudem am Donnerstag dieser Woche in Fernost deutlich. Als G7-Präsidentschaft werde Japan die wegen des Konflikts in der Ukraine verhängten antirussischen Sanktionen zwar beibehalten, sich bei seiner Politik gegenüber Russland jedoch von seinen nationalen Interessen leiten lassen, sagte Japans neue Aussenministerin Yoko Kamikawa.
Sie wies darauf hin, dass «Japan und Russland Nachbarn sind» und dass sie in manchen Fragen «als Nachbarn reagieren» müssten, etwa bei wirtschaftlichen Aktivitäten, einschliesslich Fischerei, und Sicherheit auf See.
Weiterhin beste Geschäfte mit Russland betreibt der Schweizer Gigant Nestlé. « Für die absehbare Zukunft gelten diese Maßnahmen, da sich unsere Aktivitäten in Russland weiterhin auf die Bereitstellung von Nahrungsmitteln des täglichen Bedarfs für die Menschen vor Ort konzentrieren», heisst es dazu in einer Mitteilung des Konzerns. Gleichzeitig betreibt der Konzern eine Politik der westlichen political correctness: Nestle hat Pläne zum Bau einer Katzen- und Hundefutterfabrik in der Region Nowosibirsk aufgegeben, sagte der Minister für wirtschaftliche Entwicklung der Region Lew Reschetnikow gegenüber TASS.
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