Ohne Pieks #9: Aussen vor und mittendrin

Als Felix Küchler sich einer Herzoperation unterziehen muss, erlebt er am eigenen Leibe die Absurdität und fehlende Kongruenz der Covid-Massnahmen. Ein Erlebnisbericht.

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Als einer der gerne Zen im Alltag übt – schreibt wenn er schreibt, spricht wenn er spricht oder isst wenn er isst – erheitert es mich ziemlich, dass gerade dann das Maskentragen nicht Pflicht ist, wenn dem Gegenüber die meisten Feinpartikel entgegengeschleudert werden, nämlich bei der Unterhaltung während dem Essen.

Vielleicht hätte ein behördliches Verbot des Sprechens beim Essen die Pandemie stoppen können. Medial-volkstümlich hätte eine Kampagne auf der bekannten Redensart «Mit vollem Munde spricht man nicht» basiert und vielleicht mit entsprechenden Werbemilliarden Kenntnisse über die Übertragung von Mikroorganismen vermitteln und das Bewusstsein über die Allgegenwart von Krankheitskeimen schärfen können. Diese Aufklärungsarbeit wäre von ungeahnten positiven Nebenwirkungen begleitet gewesen: weniger Angst vor Viren & Co., da sie eh überall sind und sich ständig verändern, Kauen statt Schwatzen für eine bessere Nahrungsaufnahme und ruhigere Verdauung. Zudem: Wer gekocht hat, freut sich, dass die Speisenden am Ende der Mahlzeit noch wissen, was sie verzehrt haben.

Insgesamt klassifiziere ich die Covid-Panik als einen von vielen Exzessen des modernen «wissenschaftlich-aufgeklärten, zivilisierten» Menschen, so ähnlich wie wenn jedes noch so abgelegene Bergtälchen perfekten Mobilfunkempfang haben muss oder dass ein Feld in der industriellen Landwirtschaft nur als gut und sauber gilt, wenn das letzte Beikräutelein weggespritzt ist.

Ich halte mich möglichst raus. Kein Fernsehen flackert in unserer Wohnung, Radio höre ich zweimal pro Jahr, eine Zeitung wird durchgeblättert wo sie gerade noch nicht Altpapier ist, im Zug oder so. Doch plötzlich bin ich mitten im Strudel. Ein lange bekannter, beschwerdefreier Herzfehler verschlimmert sich. Nach einer anstrengenden Fernreise kommt es zu häufigeren Schwächezuständen. Ein Zusammenbruch führt zu einer ersten Hospitalisation in meinem Heimatkanton.

Auf dem Notfall stürzt sich das Personal auf meine Nase, bohrt darin herum und verkündet nach ein paar Stunden ein negatives Resultat. Mir war sonnenklar, dass ich an keiner akuten fiebrigen Erkrankung leide, Geruch und Geschmack sind völlig intakt, meine Immunabwehr genug stark, um auch diesem neuen Keim Paroli zu bieten. Doch meine Affirmation, ich sei nicht Covid-krank, gilt nichts. Heute bestimmt das Labor, ob ich zu den Gesunden oder zu den Siechenden zähle, und wie ich mich zu fühlen und zu verhalten habe.

Mein einziges Problem ist eine anatomische Verengung einer Herzklappe. Eine Operation wird unumgänglich. Zu einer weiteren, spezialisierten Voruntersuchung schicken mich die Ärzte ins Spitalzentrum des Nachbarkantons. Kein Covid-Test beim Eintritt, keine Zertifikatspflicht für Besuchende. Ein paar Wochen später findet die Operation im gleichen Zentrum des Nachbarkantons statt. Wie üblich werden zahlreiche Parameter labormässig überwacht, vor, während und nach dem Eingriff. Nicht wird jedoch nach einem gewissen Kronenkranz gefahndet. Enge Verwandte dürfen mich auf der Intensivstation, den Narkoserausch ausschlafend, und später auf der Station im Mehrbettzimmer besuchen. Immer ohne Zertifikat. Mein postoperativer Verlauf ist rasch und glücklich, laut Austrittsbericht «regelgerecht», und ein Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik des Heimatkantons soll mir zur weiteren Genesung verhelfen.

Welche Blüten die Kombination von Übereifer und Föderalismus treibt, erlebe ich beim Eintritt in die Rehabilitation. Ich, der Patient, finde ohne Test, Impfung oder Zertifikat Einlass. Ich belege ein Bett, zwar nur ein allgemeines à 630.- Franken pro Tag, und trage zur geforderten Jahresdurchschnittsbelegung von mindestens 90% bei. Meine zertifikatsfreie Ehegattin, als Besucherin klassifiziert, wird an der Pforte zurückgewiesen. Unser erstaunter Protest wird mit der Falschbehauptung abgetan, diese Regelung würde überall so gelten.

Spitalpersonal rollt mein Köfferchen, trägt meine Tasche, räumt die persönlichen Effekten in den Zimmerschrank und spricht aufmunternde Worte. Die Pflegefachfrau fragt mich nach Überweisungsberichten. Ich reiche ihr den Umschlag. Sie öffnet ihn, nimmt die Berichte heraus und leckt sich die Finger ab, zum Umblättern. Darauf angesprochen, rät sie mir, solchen Nichtigkeiten keine Aufmerksamkeit zu schenken.

Meine Frau darf ich draussen vor der Tür treffen. Jetzt ist noch milder Herbst. Wie wäre es im Winter auf 1'500 Meter über Meer? Mit fortschreitender Mobilität erkunde ich die nähere Umgebung. In diesem Kurort gibt es drei grosse Rehabilitations-Kliniken. Die Verordnungen lauten in den drei Kliniken wie folgt. Nicht-geimpfte Patienten bei Eintritt testen: Nein / Ja / Nein. Besucher ohne Zertifikat müssen draussen bleiben: Ja / Ja / Nein.

Zum menschlichen Wesen gehört eine blühende Phantasie. Sie ermöglicht es, Wälder und unwirtliche Felder fruchtbar zu machen, ungeahnte Energien zu entdecken und zu nutzen, die widerspenstige Schönste zu gewinnen usw. Heute ist es jedoch, als ob die Entscheidungsreichen nur noch eine Fantasie hätten: das neue Krönchen zu bekämpfen.

28. Oktober 2021
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