Plötzlich arm, plötzlich reich

Was eine Veränderung des Kontostandes alles auslösen kann.

Plötzlich arm …

«Meine Tochter kam mit einer Behinderung zur Welt. Als sie nach sechs Monaten auf der Intensivstation nach Hause kam, brauchte sie rund um die Uhr Betreuung. Ich gab meinen Job auf, hielt mich mit Erspartem über Wasser und vermietete ein Zimmer in meiner Wohnung an Gäste. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie es ist, wenn man von nirgends Unterstützung bekommt und ganz auf sich alleine gestellt ist. Noch immer besteht das Vorurteil, dass ein Leben in prekären Verhältnissen selbstverschuldet ist. Das stimmt nicht. Es kommt oft unerwartet, ohne Vorwarnung. Wichtiger als Geld ist mir heute, dass alle Menschen einen würdigen Platz in der Gesellschaft bekommen, egal, wer sie sind.»     A.K.

«Ich lebte in einer Villa mit Pool, war Mitglied in einem Golfclub. Alles was ich tat, war für die Familie, ich hatte kaum ein eigenes Leben. Eines Tages verschwand mein Mann und hinterliess mir und unseren zwei Töchtern einen Brief und saldierte Konten. Doch anstatt in ein Loch zu fallen, spürte ich Freiheit, mein Urvertrauen. Zuerst fing ich an, in dem Golfclub zu arbeiten. In den letzten sechzehn Jahren habe ich 57 verschiedene Jobs ausgeführt. Wenn ich mehr Geld brauchte, suchte ich besser bezahlte Arbeit, dann wieder solche, die mir mehr Spass machte. Ich wollte nie in das Rad von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und was es alles gibt, eintreten. Dafür bin ich viel zu kreativ. Sicher ist: Weiter geht es immer.»    L.B.

«Letztes Jahr war ich auf einmal sehr knapp dran. Zusammen mit meinem Mann habe ich eine Firma im Webbereich. Bisher hatte es immer gereicht, doch dann mussten in einem Monat die Steuern und ein grösserer Betrag an einen freien Mitarbeiter bezahlt werden. Beim Nachdenken darüber ist mir aufgefallen, wie sehr unsere Gesellschaft in einem Mangeldenken verstrickt ist. Ich habe dann versucht, die Situation in einem grösseren Zusammenhang zu betrachten. Wie viel Geld ist in meinem Leben bereits durch meine Hände zirkuliert? Mir wurde klar, dass es sich bei meiner Situation nur um eine Momentaufnahme handelt. Ein Zustand, der sich bereits in wenigen Tagen wieder ändern kann. Und das tat er irgendwann auch. Es kamen wieder mehr Anfragen von Kunden, oder sie zahlten mehr als vorgesehen. Wir sollten uns weniger einschüchtern lassen und darauf vertrauen, dass sich immer wieder neue Möglichkeiten ergeben. Es ist schön, wenn es gelingt – ich arbeite bis heute daran.»     B.G.

 

Plötzlich reich …

«Seit ich eine grössere Erbschaft gemacht habe, interessiert mich das Thema Geld. Recht bescheiden aufgewachsen, hat mich vor allem beschäftigt, was die Bank mit meinem Geld, für das ich plötzlich verantwortlich war, macht. Ich wollte nicht, dass mein Geerbtes Schaden anrichtet und habe mich vor 20 Jahren für die Investition in ökologische Hausrenovationen, Schaffung von gesundem Wohnraum, entschieden. In der Schweiz ist Geld gerade für Frauen ein Tabuthema. Der einzige Gesprächspartner ist meistens der Bankberater, der im Interesse der Bank handelt, und damit werde ich automatisch Teil dieses haarsträubenden Systems. Das sollte sich ändern.»     C.Z.

«Ich bin in sehr bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Meine Grosseltern haben ihr Vermögen bis zu ihrem Tod gehortet. Als ich fünfzig Jahre alt war, ging es von meinem Vater an mich und meine Geschwister. Ich erbte rund sechs Millionen Franken. Ich wusste, dass ich erben werde, aber nicht, wie viel. Niemand hatte je darüber gesprochen. Für mich stand fest: Ich brauche das Geld nicht. Ich gab meinen vier Söhnen je 50 000, kaufte meinem Mann eine kleine Wohnung im Engadin und mir selbst ein Kanu. Den Rest steckte ich in die Gründung einer Stiftung, die unter anderem Ausbildungen in Entwicklungsländern unterstützt. Dort ist das Geld gut aufgehoben. Meine Geschwister dachten vielleicht, ich sei verrückt. Aber ich habe die Entscheidung keinen einzigen Tag bereut.»     M.R.

«Wer nichts hat, kann auch nichts verlieren. Dieser Trost ist zynisch, aber er eröffnet trotzdem einen anderen Blickwinkel auf Besitz. Ich denke an Ordensbrüder, die sich freiwillig zu lebenslanger Besitzlosigkeit verpflichtet haben. Nicht ohne Grund, sondern um den Reichtum auf spiritueller Ebene zu suchen. Ich entscheide mich hingegen für die kleine Variante und folge dem Bibelwort, den zehnten Teil abzugeben. Es kommt auf diese Weise eine für mich ungewohnt grosse Summe zusammen, die ich auf mir sinnvoll erscheinende Projekte und Initiativen austeile. Und es fühlt sich richtig an. Die verbleibenden 90 Prozent reichen genauso gut zum Weiterleben. Die abgegebenen 10 Prozent ändern nichts an meinem Wohlstand, in dem ich mich global gesehen befinde. Ich möchte dem Geld keine Macht über mich geben, auch wenn es etwas mit mir macht. Sondern es beherzt nehmen und etwas damit machen. Ich glaube, dafür ist es gemacht.»     H.E.

(Protokolle: Dieter Langhart)