Ritschratsch macht die Säge
Eine gut gemeinte Kampagne gegen den Töfflärm im Zürcher Oberland wird sabotiert. Aber war sie wirklich so gut gemeint? Die Kolumne aus dem Podcast «Mitten im Leben».
Der Baumer Gemeinderat verurteilte den «Vandalenakt» auf «das Schärfste». (Bild Netzfund)
Der Baumer Gemeinderat verurteilte den «Vandalenakt» auf «das Schärfste» (Bild Netzfund)

Das Zürcher Oberland, wo ich wohne, ist eine bergige Gegend. Hier beginnen die Voralpen. Hier sind die meisten Höhenmeter des Kantons Zürich versammelt. Hier ist der Grossraum der Stadt nur vom Bachtelturm aus zu sehen. Und so wenig mittelländisch wie die Topografie sind auch die Menschen im Oberland. Hier sind die Umgangsformen noch etwas rauher als in den Regionen des Mainstreams. Hier liegt das Du noch auf der Zunge. Hier sagt man noch, was man denkt.

Mindestens war es so, als ich vor vielen Jahren hierher kam. Ich fand mich wieder in einer anderen Welt. Ich hörte von Bauern in Fischenthal oder Steg, die ihr Lebtag nie in Zürich gewesen sind. Weil es nie notwendig war. Und weil es sie nie in die Stadt zog.    

Doch die Stadt kam zu uns. Nicht über Nacht, aber schleichend und unaufhaltsam. Urbane Architektur belehrte uns, was zeitgemäss bauen heisst, urbane Experten lehrten uns, was zeitgemäss leben heisst, urbane Klugheit lehrte uns, wie man zeitgemäss denkt.

Und der Vormarsch der modernen Gesinnung ins Oberland fand willige Helfer. Eifrige junge Oberländer, in der Metropole geschult, ausgestattet mit Bachelors und Masters, verhalfen dem neuen Zeitgeist in Schule und Ämtern zum Durchbruch. Das Oberland ist heute so mittelländisch normiert wie der ganze Kanton. Nur die wilde Natur, die stotzigen Höhen und tiefen Tobel zeugen noch immer vom ungebändigten Geist der Gegend.

Auch in der Oberländer Gemeinde Bauma will man fortschrittlich sein. Man will der neuen Zeit zeigen, dass man gut zugehört hat. Und was sagt die neue Zeit? Sie sagt zum Beispiel, dass zu viel Freiheit den Menschen nicht gut tut. Weil sie dafür nicht reif genug sind. Zum Beispiel die Töfffahrer. Sie fräsen mit ihren Töffs an den Wochenenden bergauf und bergab durch die Hügel des Oberlands, ohne Rücksicht auf die lärmgeplagten Strassenanwohner zu nehmen.

Ein findiger Kopf in der Baumer Behörde hat sich deshalb – natürlich während der Arbeitszeit – eine Plakatkampagne gegen den Lärm ausgedacht. Der kreative Beamte ist der «Lärmbeauftragte» der Gemeinde. Was immer das heisst. Zusammen mit dem Gemeindeschreiber hat er die Baumer Exekutive davon überzeugen können, seine tolle Idee zum Projekt der Gemeinde zu machen. In einer Medienmitteilung haben die beiden dann argumentiert, warum eine solche Aktion dringend notwendig sei.

Der Grund für übermässigen Strassenlärm, stellen sie scharfsinnig fest, liege «oftmals beim Fahrverhalten». «Manche Freizeitfahrende sind sich nicht bewusst, dass eine unvermittelte und starke Beschleunigung am Ende der Tempo 50-Zone sehr viel unerwünschten Lärm für die Anwohnenden verursacht. Es wurden schon vielfach über 100 Dezibel Lärm gemessen.»

Die Formulierungen «Freizeitfahrende» und «Anwohnende» deuten schon mal darauf hin, dass die beiden Behördenmitglieder Wert auf eine korrekt gegenderte Schreibweise legen - auch wenn sie damit in ihrem Dorf ziemlich allein stehen.

Inhaltlich möchte man ihnen dagegen recht geben. Die Autofahrer in ihren Boliden, vor allem jedoch die Motorradfahrer, Städter genauso wie Oberländer, lassen ihre Motoren schon vor dem Ausserortsschild wieder aufheulen. Weil es halt einfach Spass macht, in einer durchgeregelten Welt die Regeln ein wenig zu kratzen.

Aber das geht natürlich nicht. «Gesetzlich ist vorgesehen, dass, wer mit seinem Fahrzeug unnötigen Lärm erzeugt, verzeigt werden kann. Auch Personen, die ihr Fahrzeug illegal abändern, werden bestraft.» Doch mit Bedauern fahren die Verfasser der Medienmitteilung fort: «In den Zürcher Berggebieten erfolgt die Ahndung fehlbaren Verhaltens allerdings leider nur selten.»

Unsere beiden Freizeitpädagogen würden wohl am liebsten gleich selber am Strassenrand lauern und Bussen verteilen. Aber das obliegt der Kantonspolizei. Um so mehr muss deshalb die Öffentlichkeit für das Thema «sensibilisiert» werden:

An schönen Tagen knattern und heulen bis zu 1000 Motorräder an den Menschen vorbei, die sich entlang der beliebten Ausflugsrouten im Zürcher Oberland in ihrem Garten erholen möchten oder als Wanderer und Velofahrer die schöne Gegend geniessen wollen.

Der Zeigefinger ist unschwer zu deuten: Wanderer und Velofahrer sind gut, Motorradfahrer sind böse. Sie sind es auch deshalb, weil sie der Klimawandel nicht zu beeindrucken scheint: «Im Verhältnis zu E-Autos und E-Motorrädern sind die Verbrennungsmotoren zu laut», wissen die beiden Beamten. Und sie holen weit aus: «In der Schweiz verkehren noch immer über 800 000 Motorräder mit Verbrennungsmotor – die meisten davon im Freizeitverkehr.»

Für eine Kampagne, die der Belehrung des Publikums dient, sind Sponsoren nicht schwer zu finden. Unterstützt wird die Baumer Plakataktion vom Bundesamt für Umwelt, der Fachstelle Lärmschutz des Kantons Zürich, der Standortförderung Zürcher Oberland, der Liga gegen den Lärm und dem Verkehrsclub der Schweiz. Eine stolze Liste, die beweist, dass es der Gemeinde gelungen ist, der Aktion den Anstrich überregionaler Bedeutung zu geben. Das kleine Bauma im hinteren Tösstal ist ganz vorne dabei. Sogar Zürich könnte von Bauma lernen.

Weitere Dörfer im Oberland – Pfäffikon, Fischenthal, Wila und Turbenthal – haben sich der Plakataktion angeschlossen, und auch sie finanzieren ihre Beteiligung aus den Steuern ihrer Bürgerinnen und Bürger. Gefragt hat man die Einwohner nicht. Könnte denn jemand dagegen sein, was der grüne Mainstream für richtig hält?


Überall in den fünf Gemeinden sind die Plakate aufgestellt worden. Seit Ende April und bis Mitte Jun stehen sie an neuralgischen Punkten, nämlich da, wo die spätpubertierenden Asphaltcowboys besonders gern Gas geben. Für die Slogans auf den Plakaten wurde vermutlich, wie das heute so läuft, ein Werbeunternehmen beauftragt. Zuviel Kreativität wollen wir den Baumer Behörden nicht zumuten. «Bitte leise fahren» steht auf dem ersten Plakat, «Ruhe macht Freude» auf einem zweiten, «Höre die Vögel» auf einem dritten, und «Leise ist weise» lautet zugleich das Motto der ganzen Kampagne.

Die ersten vier Wochen standen die Ständer mit den Sprüchen gegen den Lärm etwas fremd in der stillen Landschaft. Und die, die es anging, fuhren daran vorbei und lachten über die Weiterbildung. Während die einen ihr Tempo drosselten, drehten die andern erst recht auf. Ein bisschen Lärm muss schon sein. Sonst wird es zu friedlich. Die Leute brauchen doch etwas, um sich zu ärgern!

In der Nacht vor Auffahrt blieb es im Oberland ruhig. Nur wer genau hinhörte, hätte an manchen Stellen ein leises Sägen vernommen. Ritschratsch machte die Säge. Am Morgen folgte dann die Entdeckung: Von zwölf Anti-Lärm-Plakaten auf dem Gemeindegebiet von Bauma lagen sieben am Boden. Überall war die metallene Stange, die das Plakat trug, sauber durchschnitten worden. Täterschaft unbekannt. Kein Bekennerbrief tauchte auf. Keine Forderung prangte an einer Mauer. Die Botschaft war unmissverständlich. Sie brauchte keine Erklärung.

Der Lärmbeauftragte war «schockiert», wie die Oberländer Zeitung vermeldete. Er war sofort in sein Auto gestiegen, von Plakat zu Plakat gefahren und hatte den Schaden fotografiert: für sein persönliches Fotoalbum – und für die Medien. Die Nachricht schaffte es bis in die nationale Berichterstattung. Der Baumer Gemeinderat verurteilte «den Vandalenakt auf das Schärfste. Die Zerstörung der Plakate ist ein Angriff auf unser gemeinsames Bemühen um ein Miteinander».

Schöne Worte. Gleichzeitig ist von einem «Angriff» die Rede, als hätte Bauma eine Terrorattacke erlebt. Hat sich die Dorfbehörde da nicht ein wenig im Ton vergriffen? Weiss sie nicht, dass die Täter vermutlich im gleichen Dorf wohnen?

Doch die Regierung des Tösstaler Dorfes will vor aller Welt demonstrieren, dass  sie nächtliche Bubenstreiche nicht toleriert. Sie ruft die Dorfbevölkerung auf, die Vandalen zu denunzieren. Für «sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen», setzt sie sogar ein Kopfgeld aus.

Jemand findet sich immer, der gerne 1000 Franken kassieren würde. Aber die meisten Dorfbewohner würden das Geld nicht wollen. Um keinen Preis. Weil es schmutziges Geld ist. Denn mit Sicherheit wissen viele von ihnen, wer die Schilder zerstört hat. Und viele finden das gar nicht so schlimm. Sie finden es sogar gut. Sie empfinden so etwas wie Schadenfreude. Die Täter verraten würden sie nie.

Für den Lärmbeauftragten ist es «absolut unverständlich», wie man gegen seine Lärm-Aktion sein kann. Man habe sie doch bewusst «konstruktiv» formuliert und die Töfffahrer bloss zu etwas mehr Rücksicht bewegen wollen.

Der Lärmbeauftragte hat es nur gut gemeint. Doch obwohl er im Oberland arbeitet und vermutlich auch wohnt, hat er vom Zaubertrank des Zeitgeists zu viel geschluckt. Die Sprache der Oberländer versteht er nicht. Und es gibt sie noch, diese Sprache. Sie argumentiert nicht, sondern holt aus dem Werkzeugkasten die Säge, schleicht durch die Nacht und sägt am Plakat, bis der sinnvolle Spruch sinnlos am Boden liegt.

Nicolas Lindt

Nicolas Lindt

Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.

Bücher von Nicolas Lindt

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Kommentare

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Hallo Nicolas

Ich finde Deine Kolumne zum Töfflärm im Zürcher Oberland etwas verworren und zwiespältig.
Ich jedenfalls kann Deiner Logik nicht so ganz folgen. Du machst einen unsicheren Eindruck.
Ich wohne am Jurasüdfuss, also im Mittelland und bin selber direkt von Fahrzeuglärm betroffen.
Dieselbe Situation wie im Zürcher Oberland haben wir auch im Jura.
Wir habe es nicht mit Bergland gegen Flachland zu tun, sondern mit einem ungesprächigen Menschenschlag.

Kann es sein, dass Du selber Motorradfahrer bist und gerne etwas am Gashebel ziehst??

Ich finde, die Sägeaktion geht völlig am Problem vorbei. Es deutet auf keine Einsicht der Lärmverursacher hin.
Hat wohl etwas damit zu tun, dass sowohl Bergler wie Poser häufig mundfaul sind, weil sie nicht gelernt haben, zu reden und anständig zu streiten. Wer von seinen echten Gefühlen abgeschnitten ist, wird rücksichtslos bis gewalttätig. Zu über 90 % sind das Männer.
Es gäbe hier noch sehr viel mehr zu sagen. Aber das sprengt den Rahmen eines Kommentars.

Nach meiner Meinung gibt es sowohl in der Töffszene wie in der Autoszene ein Poserproblem.
Ich habe schon vor Ort Diskussionen mit Posern geführt.
Mein Eindruck ist, dass es sich um sehr egozentrische Menschen handelt, die sich wenig in das Erleben anderer Menschen einfühlen können und auch nicht wollen. Sie haben nie etwas von Selbstreflexion gehört und wollen auch nicht über sich nachdenken.
Ich möchte das glasklar als eine Version der Machokultur bezeichnen. Ich möchte hier ausdrücklich Schweizer mit einbeziehen.
Die wesentlichen Einflussgrössen sind die Erziehung, die Bildung und die Klicke, in der sie verkehren.
Das zentrale dabei ist, dass die persönlichen Emotionen ausgesperrt werden, und eine gesellschaftliche Verhaltensweise übergestülpt wird..
Ich denke, Frauen in Frauenarbeit und Männer in Männerarbeit dürften das sehr gut verstehen.

Ich finde, dass Posieren mittlerweile zu einem gesellschaftliches Problem geworden ist.
Ich finde, dass die elterliche Erziehung und die öffentliche Bildung auf falsche Werte setzen und falsche Wege gehen .
Die individuellen Fähigkeiten werden ungenügend gefördert,
Der Schule geht es um den willfährigen Bürger und nicht um den aufgeklärten Menschen.
Zur elterlich Erziehung; Wenn Mann/Frau nicht weiss, was das Kind braucht, dann wird es schwierig.
Und wenn Mann/Frau oder ihre Kinder in einer Machokultur verhaftet sind, dann wird es richtig heftig.
Und nochmals die Schweizer sind hier ausdrücklicklich mit einbezogen.
Das Stichwort ist : Selbstreflexion!!

Herzlicher Gruss habs

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