Strategien der Klimaskeptiker
Ein Zirkel konservativer Forscher sät systematisch Zweifel an Klimawandel, Umweltgefahren oder Gesundheitsschäden durch Tabak. Die Harvard-Historikerin Naomi Oreskes hat die Strategien der so genannten Skeptiker analysiert. Ein Gespräch in der Süddeutschen Zeitung über Lobbyisten und Denkmuster des Kalten Krieges
Die Klimapolitik der USA wird bis heute von einer mächtigen Lobby diktiert,
die wirksame Reduktionen der Treibhausgas-Emissionen verhindert. In ihrem
Buch «Die Macchiavellis der Wissenschaft» beschreiben Naomi Oreskes und Erik Conway eine kleine Gruppe
renommierter und sehr konservativer Forscher, die immer wieder Zweifel an
den Grundthesen und -erkenntnissen der Klimaforschung verbreitet hat. Diese
Strategie stammt von der Tabakindustrie, die Männer haben sie in Debatten
über Passivrauchen, den sauren Regen, das Ozonloch und den Klimawandel
verwendet.
Frau Professor Oreskes, seit Jahren werden Klimaforscher vor allem in
den USA mit absurden Behauptungen einer kleinen Gruppe sogenannter Skeptiker diskreditiert. Steckt dahinter ein System?
Naomi Oreskes: Und ob. Sogar ein ziemlich infames. Skepsis ist ja eigentlich
eine wichtige Tugend von Wissenschaftlern. Es ist ihre Aufgabe, Beweise zu
verlangen und Ergebnisse zu hinterfragen. Der Zirkel von Männern, über den
wir hier reden, hat diese Tugend bewusst missbraucht. Er hat die Stärke der
Wissenschaft in eine Schwäche verwandelt. Es geht darum, gezielt Dissens
vorzutäuschen. Das Ziel: die öffentliche Meinung zu manipulieren und Zweifel
am Klimawandel zu säen.
In der Klimaforschung gibt es seit Langem einen Konsens, an dem niemand
vorbeikommt. Warum haben die Skeptiker in den USA dennoch so viel Einfluss?
Dass der Klimawandel menschengemacht ist und von der Industrie mit ihren
Emissionen ausgelöst wird, gilt seit Langem als erwiesen. Aber manche
Details sind umstritten. Ein Beispiel: Wir verstehen die Rückwirkung der
Wolken auf das Klima noch nicht - ein Phänomen mit mäßigem Effekt. Skeptiker
wie Fred Singer (ein Atmosphären-Physiker, der an etlichen Universitäten,
für mehrere Behörden und Lobbygruppen gearbeitet hat, d. Red.) nutzen das
schamlos aus. Sie verweisen auf die Unsicherheit und ziehen den falschen
Schluss, dass deswegen das gesamte Gedankengebäude nicht stimme. Singer
bezeichnete es in Interviews schlicht als Quatsch.
Sie vermuten dahinter die Industrie. Was macht Sie so sicher, dass es nicht
schlichte Fehler einzelner Männer sind?
Das sind keine Fehler einzelner Männer. Jeder Wissenschaftler kann in seinem
Feld in eine Außenseiterrolle geraten und grundlegende Erkenntnisse
anzweifeln. Aber diese Männer, neben Singer vor allem Fred Seitz (Physiker,
der im Manhattan-Projekt berühmt wurde und später die Nationale
Wissenschaftsakademie leitete, d. Red.), haben sich mithilfe der Industrie
und konservativer Thinktanks in eine Reihe von Themen eingemischt. Diese
hatten weder viel miteinander noch mit der Expertise der beiden Physiker zu
tun. Zuerst diskreditierten sie Forscher, die Gefahren des Tabaks
untersuchten, dann die Warner vor dem Ozonloch und dem sauren Regen. Merken
Sie was? Wissenschaft wurde als Nebelwand missbraucht.
Wo liegt der Ursprung dieses Zirkels?
Bei der Tabakindustrie. 1953 erschien ein sehr populärer Artikel im Reader's
Digest mit überzeugenden wissenschaftlichen Belegen, dass Zigarettenrauch
Krebs bei Laborratten auslöst. Die Tabakfirmen dachten, das ist das Ende der
Industrie, und beauftragten die PR-Agentur Hill & Knowlton. Der Chef gab
ihnen einen folgenreichen Rat: Ihr müsst die Wissenschaft mit Wissenschaft
bekämpfen und den Amerikanern einreden, dass die Frage in der Forschung
nicht entschieden ist. Dieser Strategie folgen Unternehmen seit 60 Jahren.
Die Motive der Skeptiker
Ein paar Forscher allein können doch nicht über Jahrzehnte Zweifel säen.
Natürlich nicht. Das zweite Bein des Programms war es, Organisationen zu
gründen und zu finanzieren, die nach außen nichts mit der Industrie zu tun
haben - sogenannte Thinktanks. Der Schlüssel ist, dass die Zweifel von
Leuten kommen, die unabhängig erscheinen. Wenn der Chef von Exxon Mobil
erklärt, dass er weiter Öl und Gas verkaufen will, leuchtet jedem ein,
warum. Die Industrie wollte es den Bürgern und Politikern schwermachen, die
Einwände als Profitgier abzutun.
Warum machten die Wissenschaftler in dem Zirkel mit? Ging es ihnen ums Geld?
Nein, das ist mir zu einfach. Wir reden über renommierte, wohlhabende
Männer, für die Ansehen mehr zählte als Geld.
Was war es dann?
Der Ton in der Wissenschaft ist rau; selbst wer eine hohe Stellung hat, muss
sich ständig rechtfertigen. Und auch der Präsident der Akademie reist mit
normalen Flugzeugen. Und dann wird Seitz mit seiner Frau vom Privatjet eines
Tabakmanagers abgeholt und nach Bermuda geflogen. Sie besuchen tolle
Restaurants, bekommen Komplimente und treffen auch noch Leute, deren
politische Ansichten wesensverwandt sind. Es ging also eher um sehr
menschliche Dinge - Anerkennung und Zuwendung. Aber vor allem um Ideologie.
Um welche?
Um einen radikalen Freiheitsbegriff und Marktliberalismus, verbunden mit der
Angst vor der mächtigen Regierung. Hätten die Amerikaner den Klimawandel
anerkannt, wären harte Eingriffe der Regierung legitimiert worden. Singer,
Seitz und andere hielten das für brandgefährlich. Sie waren als stramme
Antikommunisten aufgewachsen. Seitz glaubte, dass die Roten unter den Betten
lagen und darauf warteten, die Demokratie zu unterwandern. Er war überzeugt,
jede Intervention in den Markt bringe das Land auf eine Rutschbahn zur
kommunistischen Diktatur.
Und das Abendland wurde an den Aschenbechern der Raucher verteidigt?
Es klingt grotesk, aber so ist es. Hinter allem stand das Ziel freier
Märkte. Dabei sind alle Themen - Lungenkrebs durch Zigaretten oder das
Ozonloch durch FCKW - Beispiele für das Versagen des Markts, der entgegen
den Thesen der Liberalen keine Lösungen für Probleme erzeugte.
Sie nennen Mitglieder des Zirkels «Händler des Zweifels» Wer sind die
Kunden?
Ziel sind Politiker und Amtsträger, Wissenschaftler und Journalisten. Alle
haben die aufwendig gestalteten Zweifelberichte bekommen. Thinktanks haben
die Mitarbeiter der Abgeordneten bearbeitet. Sie haben Hunderte Millionen
Dollar ausgegeben. Einer, der für die Kommunikation zuständig war, sagte
mal: "Wir hatten eine einfache Aufgabe, wir mussten die Politiker nur dazu
bringen, nichts zu machen."
Welche Rolle spielen die Medien?
Sie haben in großen Teilen versagt und sind auf die Versuche hereingefallen,
Potemkinsche Dörfer als Wissenschaft zu verkaufen. Die Denkfabriken haben
Reports geschrieben und an Journalisten wie Sie geschickt. Verbunden mit der
Forderung, ihre Meinung in den Artikeln wiederzufinden. Die Journalisten
würden ihre Pflicht zu einer objektiven Berichterstattung verletzen, wenn
sie nicht beide Seiten der Debatte gleichberechtigt berücksichtigten.
Haben das nicht alle durchschaut?
Nein. Vor allem in den USA standen die begutachteten Studien von
renommierten Forschungsinstituten den Texten politischer Thinktanks so
gegenüber, als seien sie gleichwertige Quellen. Plötzlich wurde aus den
gefestigten Erkenntnissen der Forschung, die kleine Lücken hatten, offene
Debatten um den Kern der jeweiligen Frage. In renommierten Zeitungen wie der
New York Times oder der Washington Post bekamen Klimaskeptiker Auswertungen
zufolge ungefähr 40 Prozent der Zeilen. Angemessen wären drei Prozent
gewesen.
Wo sind Belege für die Manipulation?
Es gibt an der Universität San Francisco eine große Sammlung interner
Dokumente der Tabakindustrie. Darin stecken Hunderte Belege. Da heißt es zum
Beispiel bei einer Tarnorganisation in den 1990er-Jahren: "Passt auf, dass
ihr die Fingerabdrücke von Philip Morris versteckt." Zudem heuert die
Tabaklobby angeblich unabhängige Experten an, die Gastkommentare in
Zeitungen schreiben, etwa Fred Singer. Wenn so ein Text erscheint, schickt
der Leiter der Lobbygruppe eine Kopie mit der Aufschrift herum: "Gut
gemacht, Jungs!"
Spuren in die Politik
Führen auch Spuren in die Politik?
Sie führen sogar ins Weiße Haus. Zu Zeiten von Ronald Reagan wurde der
Skeptiker Bill Nierenberg Chef einer Beraterkommission zum sauren Regen. Er
bespricht die Mitgliederliste mit Reagans Stab, sie streichen wichtige
Experten und setzen Fred Singer drauf, obwohl dieser keine Erfahrung mit dem
Thema hat. Singer fängt bei den Sitzungen des Komitees an, seine Zweifel zu
verkaufen. Die Wissenschaftler ordnen seine Einwände zwar als das ein, was
sie sind: unbedeutende Nebenaspekte. Trotzdem steht er am Ende als Sieger
da.
Wie das?
Der Bericht in der langen Version stellt sauren Regen wahrheitsgemäß als
großes Problem dar. Das passt der Reagan-Regierung nicht. Also ändert
Nierenberg die Zusammenfassung. Ich fand bei Recherchen ein Dokument, das
mich erschüttert hat: Reagans Wissenschaftsberater George Keyworth schreibt
für Nierenberg auf, welche Änderungen er haben will! Das verfremdete Fazit
wurde eine Woche vor einer wichtigen Abstimmung im Kongress veröffentlicht.
Die Abgeordneten lehnten die Regulierung der verantwortlichen Abgase ab, und
die beteiligten Wissenschaftler wachten erst auf, als es zu spät war. Sie
waren zu naiv, was den politischen Prozess angeht.
In einem neuen Report bezeichnet das Pentagon den Klimawandel als Gefahr für die nationale Sicherheit. Heißt das, die Händler des Zweifels haben diese Debatte, wie viele andere vorher, verloren?
Ich würde nicht annehmen, dass sie irgendetwas davon als Niederlagen
ansehen. Sie könnten sich zugutehalten, dass sie die schlimmsten Eingriffe
der Regierung verhindert haben - vom Tabak bis zum Klimawandel. Der ist in
Sicherheitskreisen übrigens schon lange als ernstes Problem anerkannt. Das
US-Militär macht sich große Sorgen über steigende Meeresspiegel, denn 80
Prozent der Air-Force-Basen liegen an Küsten. Das zeigt, wie weit sich die
US-Politik von der Realität entfernt hat.
Haben Skeptiker Drähte nach Europa?
Es gab immer wieder Kontakte, aber die Leugner haben es hier schwerer. In
Europa gibt es deutlich mehr Verständnis für die Klimaproblematik. Eingriffe
der Regierung sind kein Teufelszeug, und es ist nicht so wirkungsvoll,
jemanden als Sozialisten zu diffamieren.
Fritz Vahrenholt, Ex-Manager bei Europas größtem Treibhaussünder RWE ,
behauptet, die Erderwärmung sei natürlich und von der Sonne verursacht.
Das kommt mir sehr bekannt vor, diese Argumente kann ich im Schlaf
herunterbeten. Das sind Argumente der Zweifelstreuer.
Ist heute mit geschicktem Lobbyismus fast alles möglich?
Vieles. Diese Lobbyisten sind intelligent, gut organisiert und finanziell
gut ausgestattet. Dass der oberste Gerichtshof Konzernen Meinungsfreiheit
wie Personen zugesprochen hat, macht es noch schlimmer. Jetzt wird es
schwerer, gegen Unwahrheiten vorzugehen. Und: Wir erleben die größte
Konzentration von Wohlstand in den USA seit Ende des 19. Jahrhunderts. Noch
nie waren die Reichen so mächtig.
Was sind die nächsten Ziele für Zweifler?
Die Mobilfunkindustrie gibt sich große Mühe, gegen wissenschaftliche
Arbeiten vorzugehen und Zweifel zu wecken. Anderes Beispiel:
Antibiotika-Hersteller. Belege für Schäden durch Antibiotika, die in der
Umwelt resistente Bakterien entstehen lassen, sind überwältigend. Aber die
Hersteller von antibakterieller Seife erklären, die Folgen seien ungeklärt.
Ich sage nur: Viel Glück uns allen!
_____________
Naomi Oreskes ist Geologin und Historikerin. Sie lehrt an der Harvard
University.
Naomi Oreskes: Die Macchiavellis der Wissenschaft – Das Netzwerk des Leugnens. 2014, Wiley-VCH. 300 Seiten.
die wirksame Reduktionen der Treibhausgas-Emissionen verhindert. In ihrem
Buch «Die Macchiavellis der Wissenschaft» beschreiben Naomi Oreskes und Erik Conway eine kleine Gruppe
renommierter und sehr konservativer Forscher, die immer wieder Zweifel an
den Grundthesen und -erkenntnissen der Klimaforschung verbreitet hat. Diese
Strategie stammt von der Tabakindustrie, die Männer haben sie in Debatten
über Passivrauchen, den sauren Regen, das Ozonloch und den Klimawandel
verwendet.
Frau Professor Oreskes, seit Jahren werden Klimaforscher vor allem in
den USA mit absurden Behauptungen einer kleinen Gruppe sogenannter Skeptiker diskreditiert. Steckt dahinter ein System?
Naomi Oreskes: Und ob. Sogar ein ziemlich infames. Skepsis ist ja eigentlich
eine wichtige Tugend von Wissenschaftlern. Es ist ihre Aufgabe, Beweise zu
verlangen und Ergebnisse zu hinterfragen. Der Zirkel von Männern, über den
wir hier reden, hat diese Tugend bewusst missbraucht. Er hat die Stärke der
Wissenschaft in eine Schwäche verwandelt. Es geht darum, gezielt Dissens
vorzutäuschen. Das Ziel: die öffentliche Meinung zu manipulieren und Zweifel
am Klimawandel zu säen.
In der Klimaforschung gibt es seit Langem einen Konsens, an dem niemand
vorbeikommt. Warum haben die Skeptiker in den USA dennoch so viel Einfluss?
Dass der Klimawandel menschengemacht ist und von der Industrie mit ihren
Emissionen ausgelöst wird, gilt seit Langem als erwiesen. Aber manche
Details sind umstritten. Ein Beispiel: Wir verstehen die Rückwirkung der
Wolken auf das Klima noch nicht - ein Phänomen mit mäßigem Effekt. Skeptiker
wie Fred Singer (ein Atmosphären-Physiker, der an etlichen Universitäten,
für mehrere Behörden und Lobbygruppen gearbeitet hat, d. Red.) nutzen das
schamlos aus. Sie verweisen auf die Unsicherheit und ziehen den falschen
Schluss, dass deswegen das gesamte Gedankengebäude nicht stimme. Singer
bezeichnete es in Interviews schlicht als Quatsch.
Sie vermuten dahinter die Industrie. Was macht Sie so sicher, dass es nicht
schlichte Fehler einzelner Männer sind?
Das sind keine Fehler einzelner Männer. Jeder Wissenschaftler kann in seinem
Feld in eine Außenseiterrolle geraten und grundlegende Erkenntnisse
anzweifeln. Aber diese Männer, neben Singer vor allem Fred Seitz (Physiker,
der im Manhattan-Projekt berühmt wurde und später die Nationale
Wissenschaftsakademie leitete, d. Red.), haben sich mithilfe der Industrie
und konservativer Thinktanks in eine Reihe von Themen eingemischt. Diese
hatten weder viel miteinander noch mit der Expertise der beiden Physiker zu
tun. Zuerst diskreditierten sie Forscher, die Gefahren des Tabaks
untersuchten, dann die Warner vor dem Ozonloch und dem sauren Regen. Merken
Sie was? Wissenschaft wurde als Nebelwand missbraucht.
Wo liegt der Ursprung dieses Zirkels?
Bei der Tabakindustrie. 1953 erschien ein sehr populärer Artikel im Reader's
Digest mit überzeugenden wissenschaftlichen Belegen, dass Zigarettenrauch
Krebs bei Laborratten auslöst. Die Tabakfirmen dachten, das ist das Ende der
Industrie, und beauftragten die PR-Agentur Hill & Knowlton. Der Chef gab
ihnen einen folgenreichen Rat: Ihr müsst die Wissenschaft mit Wissenschaft
bekämpfen und den Amerikanern einreden, dass die Frage in der Forschung
nicht entschieden ist. Dieser Strategie folgen Unternehmen seit 60 Jahren.
Die Motive der Skeptiker
Ein paar Forscher allein können doch nicht über Jahrzehnte Zweifel säen.
Natürlich nicht. Das zweite Bein des Programms war es, Organisationen zu
gründen und zu finanzieren, die nach außen nichts mit der Industrie zu tun
haben - sogenannte Thinktanks. Der Schlüssel ist, dass die Zweifel von
Leuten kommen, die unabhängig erscheinen. Wenn der Chef von Exxon Mobil
erklärt, dass er weiter Öl und Gas verkaufen will, leuchtet jedem ein,
warum. Die Industrie wollte es den Bürgern und Politikern schwermachen, die
Einwände als Profitgier abzutun.
Warum machten die Wissenschaftler in dem Zirkel mit? Ging es ihnen ums Geld?
Nein, das ist mir zu einfach. Wir reden über renommierte, wohlhabende
Männer, für die Ansehen mehr zählte als Geld.
Was war es dann?
Der Ton in der Wissenschaft ist rau; selbst wer eine hohe Stellung hat, muss
sich ständig rechtfertigen. Und auch der Präsident der Akademie reist mit
normalen Flugzeugen. Und dann wird Seitz mit seiner Frau vom Privatjet eines
Tabakmanagers abgeholt und nach Bermuda geflogen. Sie besuchen tolle
Restaurants, bekommen Komplimente und treffen auch noch Leute, deren
politische Ansichten wesensverwandt sind. Es ging also eher um sehr
menschliche Dinge - Anerkennung und Zuwendung. Aber vor allem um Ideologie.
Um welche?
Um einen radikalen Freiheitsbegriff und Marktliberalismus, verbunden mit der
Angst vor der mächtigen Regierung. Hätten die Amerikaner den Klimawandel
anerkannt, wären harte Eingriffe der Regierung legitimiert worden. Singer,
Seitz und andere hielten das für brandgefährlich. Sie waren als stramme
Antikommunisten aufgewachsen. Seitz glaubte, dass die Roten unter den Betten
lagen und darauf warteten, die Demokratie zu unterwandern. Er war überzeugt,
jede Intervention in den Markt bringe das Land auf eine Rutschbahn zur
kommunistischen Diktatur.
Und das Abendland wurde an den Aschenbechern der Raucher verteidigt?
Es klingt grotesk, aber so ist es. Hinter allem stand das Ziel freier
Märkte. Dabei sind alle Themen - Lungenkrebs durch Zigaretten oder das
Ozonloch durch FCKW - Beispiele für das Versagen des Markts, der entgegen
den Thesen der Liberalen keine Lösungen für Probleme erzeugte.
Sie nennen Mitglieder des Zirkels «Händler des Zweifels» Wer sind die
Kunden?
Ziel sind Politiker und Amtsträger, Wissenschaftler und Journalisten. Alle
haben die aufwendig gestalteten Zweifelberichte bekommen. Thinktanks haben
die Mitarbeiter der Abgeordneten bearbeitet. Sie haben Hunderte Millionen
Dollar ausgegeben. Einer, der für die Kommunikation zuständig war, sagte
mal: "Wir hatten eine einfache Aufgabe, wir mussten die Politiker nur dazu
bringen, nichts zu machen."
Welche Rolle spielen die Medien?
Sie haben in großen Teilen versagt und sind auf die Versuche hereingefallen,
Potemkinsche Dörfer als Wissenschaft zu verkaufen. Die Denkfabriken haben
Reports geschrieben und an Journalisten wie Sie geschickt. Verbunden mit der
Forderung, ihre Meinung in den Artikeln wiederzufinden. Die Journalisten
würden ihre Pflicht zu einer objektiven Berichterstattung verletzen, wenn
sie nicht beide Seiten der Debatte gleichberechtigt berücksichtigten.
Haben das nicht alle durchschaut?
Nein. Vor allem in den USA standen die begutachteten Studien von
renommierten Forschungsinstituten den Texten politischer Thinktanks so
gegenüber, als seien sie gleichwertige Quellen. Plötzlich wurde aus den
gefestigten Erkenntnissen der Forschung, die kleine Lücken hatten, offene
Debatten um den Kern der jeweiligen Frage. In renommierten Zeitungen wie der
New York Times oder der Washington Post bekamen Klimaskeptiker Auswertungen
zufolge ungefähr 40 Prozent der Zeilen. Angemessen wären drei Prozent
gewesen.
Wo sind Belege für die Manipulation?
Es gibt an der Universität San Francisco eine große Sammlung interner
Dokumente der Tabakindustrie. Darin stecken Hunderte Belege. Da heißt es zum
Beispiel bei einer Tarnorganisation in den 1990er-Jahren: "Passt auf, dass
ihr die Fingerabdrücke von Philip Morris versteckt." Zudem heuert die
Tabaklobby angeblich unabhängige Experten an, die Gastkommentare in
Zeitungen schreiben, etwa Fred Singer. Wenn so ein Text erscheint, schickt
der Leiter der Lobbygruppe eine Kopie mit der Aufschrift herum: "Gut
gemacht, Jungs!"
Spuren in die Politik
Führen auch Spuren in die Politik?
Sie führen sogar ins Weiße Haus. Zu Zeiten von Ronald Reagan wurde der
Skeptiker Bill Nierenberg Chef einer Beraterkommission zum sauren Regen. Er
bespricht die Mitgliederliste mit Reagans Stab, sie streichen wichtige
Experten und setzen Fred Singer drauf, obwohl dieser keine Erfahrung mit dem
Thema hat. Singer fängt bei den Sitzungen des Komitees an, seine Zweifel zu
verkaufen. Die Wissenschaftler ordnen seine Einwände zwar als das ein, was
sie sind: unbedeutende Nebenaspekte. Trotzdem steht er am Ende als Sieger
da.
Wie das?
Der Bericht in der langen Version stellt sauren Regen wahrheitsgemäß als
großes Problem dar. Das passt der Reagan-Regierung nicht. Also ändert
Nierenberg die Zusammenfassung. Ich fand bei Recherchen ein Dokument, das
mich erschüttert hat: Reagans Wissenschaftsberater George Keyworth schreibt
für Nierenberg auf, welche Änderungen er haben will! Das verfremdete Fazit
wurde eine Woche vor einer wichtigen Abstimmung im Kongress veröffentlicht.
Die Abgeordneten lehnten die Regulierung der verantwortlichen Abgase ab, und
die beteiligten Wissenschaftler wachten erst auf, als es zu spät war. Sie
waren zu naiv, was den politischen Prozess angeht.
In einem neuen Report bezeichnet das Pentagon den Klimawandel als Gefahr für die nationale Sicherheit. Heißt das, die Händler des Zweifels haben diese Debatte, wie viele andere vorher, verloren?
Ich würde nicht annehmen, dass sie irgendetwas davon als Niederlagen
ansehen. Sie könnten sich zugutehalten, dass sie die schlimmsten Eingriffe
der Regierung verhindert haben - vom Tabak bis zum Klimawandel. Der ist in
Sicherheitskreisen übrigens schon lange als ernstes Problem anerkannt. Das
US-Militär macht sich große Sorgen über steigende Meeresspiegel, denn 80
Prozent der Air-Force-Basen liegen an Küsten. Das zeigt, wie weit sich die
US-Politik von der Realität entfernt hat.
Haben Skeptiker Drähte nach Europa?
Es gab immer wieder Kontakte, aber die Leugner haben es hier schwerer. In
Europa gibt es deutlich mehr Verständnis für die Klimaproblematik. Eingriffe
der Regierung sind kein Teufelszeug, und es ist nicht so wirkungsvoll,
jemanden als Sozialisten zu diffamieren.
Fritz Vahrenholt, Ex-Manager bei Europas größtem Treibhaussünder RWE ,
behauptet, die Erderwärmung sei natürlich und von der Sonne verursacht.
Das kommt mir sehr bekannt vor, diese Argumente kann ich im Schlaf
herunterbeten. Das sind Argumente der Zweifelstreuer.
Ist heute mit geschicktem Lobbyismus fast alles möglich?
Vieles. Diese Lobbyisten sind intelligent, gut organisiert und finanziell
gut ausgestattet. Dass der oberste Gerichtshof Konzernen Meinungsfreiheit
wie Personen zugesprochen hat, macht es noch schlimmer. Jetzt wird es
schwerer, gegen Unwahrheiten vorzugehen. Und: Wir erleben die größte
Konzentration von Wohlstand in den USA seit Ende des 19. Jahrhunderts. Noch
nie waren die Reichen so mächtig.
Was sind die nächsten Ziele für Zweifler?
Die Mobilfunkindustrie gibt sich große Mühe, gegen wissenschaftliche
Arbeiten vorzugehen und Zweifel zu wecken. Anderes Beispiel:
Antibiotika-Hersteller. Belege für Schäden durch Antibiotika, die in der
Umwelt resistente Bakterien entstehen lassen, sind überwältigend. Aber die
Hersteller von antibakterieller Seife erklären, die Folgen seien ungeklärt.
Ich sage nur: Viel Glück uns allen!
_____________
Naomi Oreskes ist Geologin und Historikerin. Sie lehrt an der Harvard
University.
Naomi Oreskes: Die Macchiavellis der Wissenschaft – Das Netzwerk des Leugnens. 2014, Wiley-VCH. 300 Seiten.
05. November 2014
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