Ob Grautöne wirklich unser Schlafzimmer beleben? – Gedanken zum Hype um «50 Shades of Grey»

Meine Freundin X darf man getrost als echte Veteranin der fleischlichen Lüste bezeichnen, ohne ihr zu nahe zu treten. Über «50 Shades of Grey» kann sie, wie jeder Mensch mit eigenen Erfahrungen im Bereich (BDSM1), nur müde lächeln. Da sie das Buch weder anregend noch lehrreich fand, schenkte sie es einer Nachbarin, die damit wesentlich mehr anzufangen wusste. Sogar zu viel, wie ihr Gatte fand, der sich bei X beschwerte: Seine Frau wolle neuerdings so oft Sex – das sei ihm weder willkommen noch geheuer.


Kein Zweifel: Auch bei dieser Dame hat die intellektuell gern verhöhnte und doch so erfolgreiche SM-Schmonzette einen wunden (G-)Punkt getroffen. Das medienzertifizierte «Phänomen» wird man diesen Februar lüstern aus allen Stellungen ... pardon: Blickwinkeln zu ergründen versuchen, wenn die Wellness-SM-Romanze zwischen der Jungfrau und dem Leistungsträger bei uns auf die Leinwände kommt. Der Damen liebster literarischer Dominator ist geldschwer, fürsorglich und demütigt mit Stil. Hier ist nichts schmutzig, billig oder fragwürdig. Die beiden haben sich im Gegenteil richtig doll lieb und kommen ständig gemeinsam. Und doch bemüht die Presse stets Worte wie «Skandal» und «Tabu». Da fragt man sich doch, ob es in unserer «oversexed but underfucked» Gesellschaft tatsächlich noch Tabus gibt, wenn es um einvernehmlichen Sex zwischen
Erwachsenen geht.


Die seinerzeit bahnbrechende Serie «Sex and the City», die Bettgeflüster an die Bistrotische brachte, thematisierte: Schlucken, Toys, Analverkehr, Natursekt, Teebeutel, Threesomes, Gay Sex, Dirty Talk, jüngere Männer, ältere Männer, unzureichend bzw. überreichlich ausgestattete Männer, Rollenspiele, Voyeurismus. (Fesselspiele gab es dagegen nur einmal als «Setting» eines SM-Theme-Clubs, und Spanking(2) wurde lediglich erwähnt, als ein Lover wegen dieser Vorliebe in die Wüste geschickt wurde. Für etwas Handfesteres war HBO(3) dann doch zu Vanilla(4).) Spätestens da dachten wir: Es gibt kein Geheimnis mehr, wenn es um Sex geht – und schon gar keine Tabus. Wir kennen alles und reden ungezwungen darüber.


Jetzt, in der ermüdenden Diskussion um die Grautöne, zeigt sich allerdings: Stimmt ja gar nicht. Auch im Schlafzimmer (wahlweise: Lustkerker. Blümchenwiese. Liebestempel) wird ein marketing-relevantes Mangelbewusstsein geschaffen, das teilweise bizarr anmutende Auswüchse generiert – wie etwa Viagra für die ganz Jungen, Hymen-Rekonstruktion, Amateur-Internetpornografie. Wir könnten, wenn wir wollten – aber wir wissen gar nicht so recht, was wir eigentlich wollen sollen. Sex sells. Doch jemand, der im postkoitalen Erschöpfungsrausch zufrieden mit sich und der Welt ist, wird nichts einkaufen, nur weil es ihn mit demselbigen lockt. Nur wenn wir denken, wir könnten doch noch befriedigter sein oder gar noch grössere, noch ungeahntere Lüste verpassen ... nur dann sind wir sexy als KonsumentInnen.

In diesen Kontext gehört der PR-generierte Grey-Hype, neben dem selbst der Harry-Potter-Effekt wie eine Kindergartenaufführung der «kleinen Hexe» wirkt. Die Autorin ist Engländerin, was vielleicht ihren gelassenen Umgang mit Kinky(5) Stuff erklärt. (In den UK gibt es mehr als 100 Läden von «Ann Summers», die plüschverbrämte Handschellen und Dienstmädchenkostüme aus Lack anbieten – und zwar ganz ungeniert in bester Lage.)


Ms. James selbst bezeichnet «50 Shades» mit einer unaufgeregten Prägnanz, die ihren Werken leider abgeht, als «gute alte Vögelei» und gibt an, auf diese Weise recht effizient ihre Fantasien zur Lebensmitte ausgelebt zu haben. Ich finde: Das hat Stil. Denn das letzte wahre Tabu scheint doch darin zu bestehen, einfach ganz unerotisch ehrlich zu sein. Zu sagen: «Kenn ich nicht. Hab ich noch nie ausprobiert. Stell ich mich zu ungeschickt für an.» Und errötend zu gestehen, dass man es doch am liebsten daheim im abgedimmten Schlafzimmer macht. Dass ein Glas Rotwein ausreichend stimulierend auf einen wirkt. Und dass man im Grunde so wenig abenteuerlustig ist wie der Pyjama, dem man dabei lieber trägt als Latex.
Meine anglophile Freundin X würde dazu sagen: Whatever floats your boat!


(1) BDSM:
Bondage (Fesselspiele), Domination (Beherrschung & Unterwerfung), Sado-Maso (Lust am Schmerz)
(2) Spanking:
Erotische Praktik mit Schlägen
(3) HBO:
US-amerikanischer Fernsehsender (Home Box Office),
der 1998 die Serie «Sex and the City» produzierte.
(4) Vanilla:
Sexuell wenig experientierfreudig, geradlinig. Liebe machen statt Sex haben.
(5) Kinky:
Beschreibt unkonventionelle sexuelle Praktiken und Vorlieben. Ein bisschen schräg, könnte man sagen.
10. April 2015
von:

Über

Martina Pahr

Submitted by admin on So, 02/12/2017 - 12:56
martinapahr

Martina Pahr ist Magister der Literaturwissenschaft, verausgabte Fernsehredakteurin, ehemalige Reiseleiterin, engagierte PR-lerin und leidenschaftliche Schreiberin. Sie reist gern und oft und würde ohne Internetzugang nicht mehr leben wollen. Im Sommer ist sie gern im Schottland, im Winter in Asien. Zwischendrin meistens in München. Egal wo sie ist, schreibt sie regelmässig mit spitzig-kritischer und humorvoll-bissiger Feder für den Zeitpunkt.

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