Urbanes Arkadien
Mit zunehmendem Alter entdecken wir im Schrebergarten die Liebe zur domestizierten
Natur. Oder doch schon eher?
Natur. Oder doch schon eher?
Hinter Zäunen versteckt es sich, mein ganz persönliches Idyll. Eine gewisse Ahnung harmonischer Welten weht von den Solarzellen auf den Gartenschuppen und den Holzkohlegrills herüber. Die Sehnsucht nach der Scholle zieht uns, die einstigen Ackerbauern, auf die Parzelle hinter den Hecken. Dort bekennen wir Flagge, wortwörtlich, lassen nicht nur Seele, sondern auch Bauch über der kurzen Hose baumeln, während wir säen und jäten, entlausen und ernten. Ab Mitte vierzig ist das legitim.
Namensgeber Moritz Schreber wurde vor 210 Jahren in Leipzig geboren, mitten in die Naturverklärung der Romantik hinein. Da konnte der Arzt und Hochschullehrer ja kaum anders, als er die schlechte Gesundheit der Arbeiterkinder sah: Im Grünen sollten sich die Kleinen bewegen, riet er. Etwa in den Armen- und Arbeitergärten, die eingeführt worden waren, damit die durch Industrialisierung in die Städte gedrängten Arbeitenden günstig eigenes Obst und Gemüse anbauen konnten. Dort könnten sie in den Genuss von frischer Luft, Leibesertüchtigung und Gemütsaufhellung kommen. Ein posthum gegründeter Verein wurde zu Schrebers Ehren benannt. Um die vereinseigene Spielwiese herum legte man später Beete zur Beschäftigung der Kinder an. Aus den Gärtchen für Kinder wurden schliesslich Gärtchen für die ganze Familie, denn auch die Eltern konnten ein wenig Landleben-Simulation durchaus ertragen. Und so ward das kleine Glück des Kleingärtnerns geboren.
Es ging also im Grunde schon immer darum, etwas zu tun zu haben. Anders als beim Garten daheim kommt niemand nur zum Sonnenbaden in die Anlagen – dafür sorgen schon die Auflagen. Vor der Ruhe steht die Runde mit dem Rasenmäher, vor dem Grillen der Gang mit der Giesskanne. So arglos, friedlich und beschaulich – fast möchte man sagen: träge – das Ganze auch wirken mag: Dieses Arkadien ist, anders als in der Literatur, nicht frei von gesellschaftlichen Zwängen und sozialen Fallstricken. Zwischen Jäten und Pausieren spähen wir nach unseren Nachbarn, ob die sich auch an die Prozentvorgaben bei der Unterteilung von Baum, Beet und Blume halten oder gar unser multifunktionales, ergonomisches Gartengerät an sich genommen haben.
Doch auch immer mehr junge Leute, die meisten mit Familie, entdecken aktuell diesen sehr speziellen Reiz für sich; beinahe die Hälfte der deutschen Kleingärten haben sie sich bislang schon unter die dreckverkrusteten Nägel gerissen. Hier bauen sie die Zutaten für ihre Smoothies in Bio-Qualität an. Hier finden sie zurück zur Natur und üben en miniature für eine bessere Welt. Willst du den Planeten verändern, dann fange beim Garten an – so oder ähnlich hat sich mit Sicherheit irgendein fernöstlicher Weiser schon einmal geäussert.
«Auch ich war in Arkadien geboren, auch mir hat die Natur an meiner Wiege Freude zugeschworen…» Deshalb stehe ich seit nunmehr zwei Jahren auf der Warteliste für ein Parzellenparadies. Ich will nicht länger auf die botanischen Notbehelfe aus Supermarkt und Bioladen zurückgreifen müssen, sondern echte, pralle, zarte Frische; will in süsse Karotten beis-
sen, von denen ich die Erde abgestreift habe, die später zwischen den Zähnen knirscht, und Erdbeeren essen, die noch warm von der Sonne sind. Ich will mich vom Muskelkater und domestiziertem Wildwuchs inspirieren lassen, mit dem Laptop unter der Solarzelle statt im Strassencafé oder Homeoffice Loblieder auf mein Gemüse schreiben, wie Ringelnatz einst auf die Kartoffel, Wilhelm Busch auf die Bohne – daher sicher der Name «Buschbohne» – und Goethe, der alte Angeber, auf die Artischocke.
Bis es soweit ist, halte ich bei Umtrunken und Tomatenverkostungen Kontakt zu meinen Nachbarn. Schrebergärtner sind eine (noch) überwiegend ältere, überwiegend freundliche Gemeinschaft: immer mit gutem Rat zur Stelle, giessen sie bei Bedarf bereitwillig die nachbarlichen Beete und konkurrieren gutgelaunt miteinander um die beste Ernte. Sie freuen sich im Spätherbst, wenn endlich die mühsame Arbeit vorbei ist – und können es im Frühling kaum erwarten, wieder damit loszulegen. Sie erfahren hinter den Zäunen, dass der Erde etwas anderes als nur Kopfsalat und Ringelblumen erwächst: Ruhe, Sinnenfreude und Achtsamkeit; Glück mit dem, was der Augenblick bringt, und archaische Befriedigung über die Teilnahme am schöpferischen Akt der Natur. Das kann, muss aber nicht, die Jugend interessieren.
von:
Über
Martina Pahr
Martina Pahr ist Magister der Literaturwissenschaft, verausgabte Fernsehredakteurin, ehemalige Reiseleiterin und leidenschaftliche Schrebergärtnerin. Nebenher veranstaltet sie diverse Lesebühnen in München (wo sich kaum jemand etwas unter diesem Begriff vorstellen kann - im Grunde «Poetry Slam» ohne Wettbewerb.) Im Sommer schreibt sie gern in Schottland, im Winter in Asien und zwischendrin im Garten - wo sie sich überlegt, warum sie nichts Anständiges gelernt hat.
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