Von Kathmandu nach Zambujeira - die Spur des Geldes
Portugal ist ein Anziehungspunkt für viele tausend Migranten aus Asien - und für Agrarkonzerne, die ihre billige Arbeitskraft ausbeuten.
«Das ist ja wie zu Hause», sagt Kiran. Die weissen Plastikplanen, unter den der junge Nepalese 25 Tage pro Monat Himbeeren pflückt oder Minigurken verpackt, erinnern ihn an die Unterkünfte, die er und seine Familie nach dem grossen Erdbeben beziehen mussten. Sein Vorarbeiter, ein Ukrainer, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will und der selbst einmal als Erntehelfer im Gewächshaus begann, hat keine Probleme mit den vielen Nationalitäten in seiner Schicht. «Die Asiaten arbeiten fleissig und vertragen die Hitze in den Gewächshäusern gut. Am besten funktioniert es, wenn ich die Nationalitäten mische.» Mit anderen Worten: Kein Geschwätz, schnellere Arbeit. Beschweren tun sich die Thailänder, Nepalesen, Bengalen und Pakistani ohnehin nicht. Besser ist es, mit der eigenen, bestenfalls halblegalen Situation nicht aufzufallen.
Wir befinden uns im Hinterland des Paradieses. Denn als solches gilt die Vizentinische Küste Südportugals, ein Naturpark mit spektakulären Wanderwegen, einsamen Stränden und pittoresken Felsformationen. Den Saum zwischen den Dünen und der einsameren Gegend dahinter bilden auf Dutzende Kilometer hinaus lange Reihen von Gewächshäusern und Folientunneln. Rund ums Jahr mildes Klima, reichlich Süsswasser durch die nahe Santa-Clara-Talsperre und patentierte Pflanzenstauden aus Kalifornien oder den Niederlanden machten den Landkreis Odemira seit rund zehn Jahren zum Eldorado moderner Agrokonzerne. Driscoll´s, Vitacress und andere multinationale Unternehmen bieten das Geschäftsmodell; die Farmen werden meistens von Holländern, Engländern oder Deutschen auf gepachtetem Land betrieben. So verwandelte sich die wirtschaftliche Wüste des Alentejo in einen florierenden Exportstandort für Cocktailgemüse, Topfplanzen und Beerenobst.
«Nur dass Portugal nicht viel davon hat ausser verseuchter Böden und Küsten und eine soziale Zeitbombe», merkt Ana Loeira vom Bloco Esquerda (Linksblock) des Landkreises an. Die ehemalige Lehrerin machte den Kampf gegen die Ausbeutung der Gastarbeiter zu ihrem Wahlkampfprogramm.
Am Anfang des Agrarbooms fanden die Konzerne in der entvölkerten Region keine Arbeitskräfte, mit der sich der erwartete Gewinn realisieren liesse. Für den Mindestlohn von 3,36 Euro wollte trotz einer Arbeitslosenrate von 10% kaum ein Portugiese in den heissen Folientunneln arbeiten. Da kam die Erfahrung von Vermittlungsunternehmen aus Israel gerade recht. Die Firma DFRM International hatte bereits in Israel Zehntausende von asiatischen Billiglohnkräften ins Land geholt, nachdem es dort nach dem Mauerbau mit palästinensischen Arbeitskräften schwieriger wurde. Jetzt nutzte er seine Kontakte für die Anwerbung von Asiaten nach Portugal. Mittlerweile sind viele Leiharbeitsfirmen aus dem Boden geschossen, wie «Grab Job» in Faro. Einige von ihnen werden von Nepalesen betrieben, die selbst vor einigen Jahren als Arbeiter ins Land kamen. Sie stellen die Arbeitsmigranten ein und leihen sie an die Agrarkonzerne aus. Auf den Mindestlohn schlagen sie 30-60% auf, was die Farmen zahlen und sich so Verantwortung und Ärger ersparen.
Der Nepalese Kiran, heute 27, stammt aus einem Bergdorf im Distrikt Solukumbu. Seine Familie besass Land, Tiere und Ansehen im Dorf. Doch je moderner und globalisierter das Leben wurde, um so wichtiger wurde Geld; und so arbeiteten Kiran und seine Brüder schon als Jugendliche im Strassenbau und als Trekkingbegleiter. Eine Gruppe deutscher Bergsteiger beschliesst, dem aufgeweckten jungen Lastenschlepper ein Wirtschaftsstudium in Kathmandu zu finanzieren. Kiran wähnt sich im Glück. Das Stipendium reicht sogar zum Heiraten, er hat eine Tochter. Doch dann kommt das Erdbeben, die Familie braucht Geld. Sein Vater spricht ein Machtwort. Der Sohn soll die Familie sofort unterstützen, nicht erst nach dem Studium. Und da das Wort des Vaters in Kirans Welt Gesetz ist, warf er das Studium nach fünf Semestern hin, lieh sich Geld von Freunden und Familie. Er liess Frau und Tochter zurück und bezahlte einer Schlepperorganisation 10.000 Dollar für einen Flug und ein Touristenvisum für Europa – ausgestellt vom italienischen Konsulat von Kathmandu.
Doch den Job in Mailand gab es nicht. Kurz vor Ablauf des Dreiwochenvisums verschwindet Kiran. Er schlägt sich nach Portugal durch und taucht in der nepalesischen Gemeinde in Lissabon ab. Dort teilt er sich für 110 Euro Miete ein Bett mit einem Kollegen - nachts schläft er und tagsüber der andere - und sucht Arbeit. Bis er merkt, dass gut bezahlte Jobs in Restaurants zu den vielen Migrantenlegenden gehören, hat er seine Ersparnisse aufgebraucht. Doch die Familie macht Druck, und so sieht er letztlich keine andere Möglichkeit als die Gewächshäuser im Alentejo.
Portugal besitzt ein relativ liberales Aufenthaltsgesetz: Wer ein halbes Jahr arbeitet und Steuern zahlt, kann einen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung stellen. Diese Regelung sollte es Bewohnern ehemaliger Kolonien erleichtern, in Portugal Fuss zu fassen. Für die Migranten bedeutet das ein halbes Jahr im Grauland der Halblegalität, in dem sie trotzdem schon arbeiten und möglichst Steuern zahlen – manchmal arbeiten sie sogar umsonst mit dem Wunsch, der «Residencia» näherzukommen.
Der Landkreis Odemira mit etwas mehr als 26.000 Einwohnern hat heute offiziell 3189 Ausländer aus fast 60 Ländern, das sind etwa zwölf Prozent. Real sind es aber mittlerweile schätzungsweise 20%. In der Hochsaison brauchen allein die Obstbetriebe 4.500 Pflücker.
Die Arbeitsmigranten haben das Gesicht der Region verändert. Bis vor zehn Jahren war dies eine Gegend, in der junge Leute wegzogen und alte zurückblieben. Schulen mussten schliessen. Bauern gaben auf, Handwerker verloren Nachwuchskräfte und Restaurants Kundschaft. Mit den Ruinen und leerstehenden Häusern lässt sich heute wieder Geld verdienen: Zu viert oder sechst teilen sich junge Männer aus Nepal oder Frauen aus Thailand jeweils ein Zimmer, von wo sie morgens um halb sieben zur Arbeit abgeholt werden. Andere leben in Containersiedlungen oder campen einfach in der Nähe der Gewächshäuser. Die meist jungen Leute sprechen kaum portugiesisch, nur etwas englisch. Eine Parallelgesellschaft ohne Berührung mit der portugiesischen Landbevölkerung ist das Schreckgespenst jeder Entwicklung. Die Kreisverwaltung steuert dem entgegen.
Deolinda Seno Luís, Ratsmitglied von Odemira, setzt sich für Integration ein. «Die Immigration in den Landkreis ist kein Problem, sondern eine Chance. Sie stärkt die Dynamik der lokalen Ökonomie und die Entwicklung.»
Sie weist auf neu eröffnete asiatische Supermärkte und Imbisse hin, auf die kulturelle Mischung in Cafés und Strassen. Die Grundschule des Dorfes Sao Teotonio gilt als eine der internationalsten Schulen Europas; einige der Kinder sehen zum ersten Mal eine Schule von innen. Eine Herausforderung für Lehrer, aber für einen Landkreis, wo Grundschulen wegen Schülermangels geschlossen wurden, auch eine gute Nachricht. Die Politikerin hat sich Integration zum Ziel gemacht. Die Lebensumstände der Arbeiter zu ändern, brauche Zeit. «Damit die Imigranten ihre Rechte wahrnehmen können, müssen sie sie überhaupt kennen und verstehen.»
Der Landkreis investiert jährlich 30.000 Euro für Feste der Begegnung, Sprachkurse, Beratung und Gelegenheiten zum Kennenlernen von Kultur, Musik und Küche der jeweils anderen Länder, die nach und nach die Barrieren aufbrechen sollen.
Für ihre politische Gegnerin Ana Loeira gehen die Massnahmen nicht tief genug. «Natürlich ist Integration das Ziel. Aber nicht unter den Bedingungen, die die Agrarindustrie uns aufdiktiert. Die Verwaltung tut zuwenig gegen die katastrophalen und unmenschlichen Lebensumstände der Menschen und die Naturzerstörung.»
Nach einem Jahr hat Kiran das erste Geld nach Nepal überwiesen, 300 Euro. Seine Schulden könnte er in etwa drei Jahren abgezahlt haben. Danach kann er anfangen, die Familie zu unterstützen – falls er die Belastung der Arbeit und der Trennung von zu Hause so lange aushält. Während seine Tochter ohne Vater aufwächst, schmieden die Agrarkonzerne von Odemira – Jahresumsatz 140 Millionen Euro – Pläne zur Verdoppelung ihrer Produktion.
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Christa Leila Dregger
Christa Dregger-Barthels (auch unter dem Namen Leila Dregger bekannt). Redaktionsmitglied des Zeitpunkt, Buchautorin, Journalistin und Aktivistin. Sie lebte fast 40 Jahren in Gemeinschaften, davon 18 Jahre in Tamera/Portugal - inzwischen wieder in Deutschland. Ihre Themengebiete sind Frieden, Gemeinschaft, Mann/Frau, Geist, Ökologie.
Weitere Projekte:
Terra Nova Plattform: www.terra-nova.earth
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Gerne empfehle ich Ihnen meine Podcast-Reihe TERRA NOVA:
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Darin bin ich im Gespräch mit Denkern, Philosophinnen, kreativen Geistern, Kulturschaffenden. Meine wichtigsten Fragen sind: Sind Menschheit und Erde noch heilbar? Welche Gedanken und Erfahrungen helfen dabei?
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