Wie sich Fallpauschalen auswirken
Die Gesundheitsbranche erfährt durch die Fallpauschale, die Umwandlung vieler Spitäler in Aktiengesellschaften und durch die Ökonomisierung grosse Veränderung. Zudem schiessen die Kosten ins Kraut und setzen Krankenkassen und Patienten unter finanziellen Druck. Was zeigen die ersten Entwicklungen bei Reha-Massnahmen?
Der Zeitpunkt fragt nach, beim SVP-Nationalrat Jürg Stahl, Mitglied der Geschäftsleitung der Groupe Mutel; und beim ehemaligen Chefarzt des Regionalspitals Affoltern a. Albis und Mitbegründer der Akademie Menschenmedizin, Christian Hess
Urs Heinz Aerni (Zeitpunkt): Wie schätzen Sie die Qualitätsunterschiede der Rehabilitations-Massnahmen im Rahmen der drei verschiedenen Versicherungsklassen ein?
Jürg Stahl: Entscheidend ist der Patient und das betraute Reha-Team; die Qualität zu vergleichen ist generell – mindestens in der Schweiz – ein Problem, denn es besteht zu wenig Wettbewerb unter den Anbietern und ein wenig transparentes Qualitätssystem. Die Tendenz sich hinter dem Arztgeheimnis und dem Schutz des Patienten zu verstecken ist auch hier zu erkennen. Grundsätzlich beurteile ich aus meiner Sicht die Qualität als gut, was nicht heisst, dass es nicht besser gemacht werden kann!
Christian Hess: Im schweizerischen medizinischen Alltag dürfte die Qualität identisch sein. Ein Unterschied besteht im Hotellerieangebot und möglicherweise in der zeitnahen Organisation, die für Zusatzversicherte tendenziell besser sein dürfte.
Werden Reha-Angebote grundsätzlich von Beginn weg gegenüber dem Patienten kommuniziert? Können Sie Unterschiede bei Kantonen feststellen?
Stahl: Im Detail kann ich das nicht beurteilen, aber aus meiner Sicht ist die gute Information und Mitarbeit der Patienten zentral – ich setze das voraus! Das es kantonale Unterschiede gibt liegt am System und ist jeweils abhängig von «Machern» welche mit neuen Ideen vorne weggehen und sich in die Sache reinlegen! Das ist in anderen Disziplinen und Behandlungen auch so!
Hess: Dort wo eine Rehabilitation sinnvoll und nötig ist, wird das sicher frühzeitig kommuniziert und organisiert. Ob es interkantonale Unterschiede gibt weiss ich nicht.
Werden Patienten eher grundsätzlich motiviert und angeregt für ein Reha-Programm? Wenn ja, warum?
Hess: Patienten werden in meiner Erfahrung weder unnötig zu Rehabilitationen gedrängt, noch fälschlicherweise davon abgehalten. Das Hauptproblem einer sinnvollen, zeitnahen Rehabilitation sind die Kostengutsprachen der Krankenkassen, die oft zu unnötigen Verzögerungen und Nachfragen führen. Dazu kommt, dass die Büros nur zu ordentlichen Arbeitszeiten offen sind und an Wochenenden und Feiertagen geschlossen bleiben. Patienten und Patientinnen sind aber ungeachtet der Feiertage und Wochenenden krank! Hier besteht ein reales Service Problem. Seit der Einführung der Fallkostenpauschalen gibt es allerdings auf Seiten der Kassen noch weniger Interesse am speditiven Entscheiden, da wohl gehofft wird, dass bei einem etwas längeren Spitalaufenthalt - der ja nur noch das Risiko des Spitals ist und die Kassen nichts kostet - die Rehabilitation überflüssig wird, bzw. nicht mehr eingefordert wird. Die volkswirtschaftlichen Kosten des schlecht rehabilitierten Patienten tragen wiederum nicht die Kassen. Ist ein Patient einmal entlassen, ist die Chance auf eine Rehabilitation praktisch inexistent; diese muss immer nahtlos zum Spitalaufenthalt erfolgen, auch wenn eine Wartezeit durch Spitex und Angehörige organisierbar wäre.
Stahl: Es existieren leider für die Behandelnden und Patienten keine Anreize – mit Ausnahme der eigenen verbesserten Mobilität - was eigentlich schon genug wäre- , aber Menschen müssen immer Anreize haben und manchmal muss man sie eben verstärkter fordern und fördern.
Hess: Ein Problem besteht darin, dass wie bei den politischen Diskussionen üblich immer nur vom einfach zu verstehenden chirurgischen »Fall» ausgegangen wird. Der macht aber nur einen begrenzten Teil der Rehabilitation aus, wahrscheinlich den unproblematischsten.
Wie nehmen Sie die Bedürfnisse der Patienten nach Reha-Massnahmen war?
Hess: Die optimale Rehabilitation nach Eingriffen ist von verschiedensten Faktoren abhängig: Komorbiditäten, soziales Umfeld, Lebenssituation des Patienten und schliesslich zu erwartender Erfolg einer Rehabilitation insbesondere im Hinblick auf seine Alltags Fähigkeiten. Patienten wollen v.a. dann rehabilitiert werden, wenn dadurch eine grössere Selbständigkeit erreicht werden kann, also insbesondere z.B. wenn dadurch eine Rückkehr nach Hause nochmals möglich wird.
Stahl: in einer schnelllebigen Zeit müssen wir die Balance finden zwischen Geduld und schneller Reintegration. Der Trugschluss unserer Gesellschaft, alles reparieren zu können – und zwar sofort – ist verbreitet! Darum ist ein straffes und forderndes Reha-Programm unabdingbar. Von einer gelungenen Reha profitieren alle, der Patient, aber auch die Volkswirtschaft!
Wie finden Qualitätskontrollen von Reha-Programmen aus Ihrer Sicht statt?
Stahl: In Qualitätszirkeln, Fachkreisen und Kliniken intern; mir fehlt etwas die Interdisziplinarität.
Hess: Seit Jahren wird der Erfolg der Rahabilitation mittels Vergleichen von Eintrittsfähigkeiten und Austrittsfähigkeiten evaluiert. Vergleiche zwischen unterschiedlichen Institutionen sind mir nicht bekannt.
Wie sähen Ihre Bedürfnisse und Wünsche an den Bereich der Rehabilitations-Behandlungen aus?
Stahl: Reha-Massnahmen müssen konsequent angewendet werden mit Anreizsystem für alle Beteiligten (Kostenbeteiligung, Bonus, Malus, usw.). Individuelle auf den Patienten angepasste Programme und dessen verstärkte Integration sind zentral; fördern und fordern, sind Grundvoraussetzungen für einen Erfolg. Eine systematische Nachbetreuung und Kontrolle, sowie die transparente Auswertung der Qualität können die Bedeutung der Reha steigern.
Hess: Ein neues Problem unter den seit 2012 eingeführten Fallkostenpauschalen, sind die früheren, allenfalls zu frühen Verlegungen in die Rehabilitationskliniken. Das führt zu zwei unterschiedlichen Problemkreisen:
1. Sind die Patienten und Patientinnen noch kränker und brauchen vermehrte medizinische Betreuung, was Rückwirkungen auf den Personalschlüssel und allenfalls den sog. «skill-mix» des Personals hat und neue Kosten in den Rehabilitationskliniken generiert.
2. Ist bei einer zu frühen Verlegung eine Rehabilitation oft noch gar nicht möglich. Da aber die Kostengutsprachen meist auf 2-allenfalls 3 Wochen begrenzt sind und der Patient die ersten Tage gar nicht zur Rehabilitation nutzen kann, verliert der Patient, die Patientin und die Gesellschaft durch dieses betriebswirtschaftliche Optimieren im Akutbereich an Potential, das grundsätzlich zu erreichen wäre. Dies als klassisches Beispiel falscher Anreize.
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Jürg Stahl wurde 1968 geboren und nach Ausbildungs- und Arbeitsstationen als eidgenössisch diplomierter Drogist wurde er 1999 in den Nationalrat gewählt, die grosse Parlamentskammer der Schweizer Regierung in Bern. Er ist zudem Mitglied der Geschäftsleitung Groupe Mutuel Versicherungen in Zürich.
Christian Hess war von 1988 bis 2012 Chefarzt Innere Medizin am Spital Affoltern. Davor war am Spital Männedorf, am Universitätsspital Zürich sowie am Kantonsspital Zug tätig. Er hat während zwei Jahren in Ifakara, Tansania gearbeitet und gelebt. Er ist Initiant des «Modell Menschenmedizin». Er ist Mitglied der kantonalen Ethik Kommission Zürich und Autor u.a. des Buches «Menschenmedizin – für eine kluge Heilkunst» (2006). Zusammen mit seiner Frau und Psychotherapeutin Annina Hess-Cabalzar gründete er die Akademie Menschenmedizin.
Am 28. August 2014 findet im Kunsthaus Zürich das Symposium «Zeit – Mensch – Medizin» statt.
www.menschenmedizin.com
Urs Heinz Aerni (Zeitpunkt): Wie schätzen Sie die Qualitätsunterschiede der Rehabilitations-Massnahmen im Rahmen der drei verschiedenen Versicherungsklassen ein?
Jürg Stahl: Entscheidend ist der Patient und das betraute Reha-Team; die Qualität zu vergleichen ist generell – mindestens in der Schweiz – ein Problem, denn es besteht zu wenig Wettbewerb unter den Anbietern und ein wenig transparentes Qualitätssystem. Die Tendenz sich hinter dem Arztgeheimnis und dem Schutz des Patienten zu verstecken ist auch hier zu erkennen. Grundsätzlich beurteile ich aus meiner Sicht die Qualität als gut, was nicht heisst, dass es nicht besser gemacht werden kann!
Christian Hess: Im schweizerischen medizinischen Alltag dürfte die Qualität identisch sein. Ein Unterschied besteht im Hotellerieangebot und möglicherweise in der zeitnahen Organisation, die für Zusatzversicherte tendenziell besser sein dürfte.
Werden Reha-Angebote grundsätzlich von Beginn weg gegenüber dem Patienten kommuniziert? Können Sie Unterschiede bei Kantonen feststellen?
Stahl: Im Detail kann ich das nicht beurteilen, aber aus meiner Sicht ist die gute Information und Mitarbeit der Patienten zentral – ich setze das voraus! Das es kantonale Unterschiede gibt liegt am System und ist jeweils abhängig von «Machern» welche mit neuen Ideen vorne weggehen und sich in die Sache reinlegen! Das ist in anderen Disziplinen und Behandlungen auch so!
Hess: Dort wo eine Rehabilitation sinnvoll und nötig ist, wird das sicher frühzeitig kommuniziert und organisiert. Ob es interkantonale Unterschiede gibt weiss ich nicht.
Werden Patienten eher grundsätzlich motiviert und angeregt für ein Reha-Programm? Wenn ja, warum?
Hess: Patienten werden in meiner Erfahrung weder unnötig zu Rehabilitationen gedrängt, noch fälschlicherweise davon abgehalten. Das Hauptproblem einer sinnvollen, zeitnahen Rehabilitation sind die Kostengutsprachen der Krankenkassen, die oft zu unnötigen Verzögerungen und Nachfragen führen. Dazu kommt, dass die Büros nur zu ordentlichen Arbeitszeiten offen sind und an Wochenenden und Feiertagen geschlossen bleiben. Patienten und Patientinnen sind aber ungeachtet der Feiertage und Wochenenden krank! Hier besteht ein reales Service Problem. Seit der Einführung der Fallkostenpauschalen gibt es allerdings auf Seiten der Kassen noch weniger Interesse am speditiven Entscheiden, da wohl gehofft wird, dass bei einem etwas längeren Spitalaufenthalt - der ja nur noch das Risiko des Spitals ist und die Kassen nichts kostet - die Rehabilitation überflüssig wird, bzw. nicht mehr eingefordert wird. Die volkswirtschaftlichen Kosten des schlecht rehabilitierten Patienten tragen wiederum nicht die Kassen. Ist ein Patient einmal entlassen, ist die Chance auf eine Rehabilitation praktisch inexistent; diese muss immer nahtlos zum Spitalaufenthalt erfolgen, auch wenn eine Wartezeit durch Spitex und Angehörige organisierbar wäre.
Stahl: Es existieren leider für die Behandelnden und Patienten keine Anreize – mit Ausnahme der eigenen verbesserten Mobilität - was eigentlich schon genug wäre- , aber Menschen müssen immer Anreize haben und manchmal muss man sie eben verstärkter fordern und fördern.
Hess: Ein Problem besteht darin, dass wie bei den politischen Diskussionen üblich immer nur vom einfach zu verstehenden chirurgischen »Fall» ausgegangen wird. Der macht aber nur einen begrenzten Teil der Rehabilitation aus, wahrscheinlich den unproblematischsten.
Wie nehmen Sie die Bedürfnisse der Patienten nach Reha-Massnahmen war?
Hess: Die optimale Rehabilitation nach Eingriffen ist von verschiedensten Faktoren abhängig: Komorbiditäten, soziales Umfeld, Lebenssituation des Patienten und schliesslich zu erwartender Erfolg einer Rehabilitation insbesondere im Hinblick auf seine Alltags Fähigkeiten. Patienten wollen v.a. dann rehabilitiert werden, wenn dadurch eine grössere Selbständigkeit erreicht werden kann, also insbesondere z.B. wenn dadurch eine Rückkehr nach Hause nochmals möglich wird.
Stahl: in einer schnelllebigen Zeit müssen wir die Balance finden zwischen Geduld und schneller Reintegration. Der Trugschluss unserer Gesellschaft, alles reparieren zu können – und zwar sofort – ist verbreitet! Darum ist ein straffes und forderndes Reha-Programm unabdingbar. Von einer gelungenen Reha profitieren alle, der Patient, aber auch die Volkswirtschaft!
Wie finden Qualitätskontrollen von Reha-Programmen aus Ihrer Sicht statt?
Stahl: In Qualitätszirkeln, Fachkreisen und Kliniken intern; mir fehlt etwas die Interdisziplinarität.
Hess: Seit Jahren wird der Erfolg der Rahabilitation mittels Vergleichen von Eintrittsfähigkeiten und Austrittsfähigkeiten evaluiert. Vergleiche zwischen unterschiedlichen Institutionen sind mir nicht bekannt.
Wie sähen Ihre Bedürfnisse und Wünsche an den Bereich der Rehabilitations-Behandlungen aus?
Stahl: Reha-Massnahmen müssen konsequent angewendet werden mit Anreizsystem für alle Beteiligten (Kostenbeteiligung, Bonus, Malus, usw.). Individuelle auf den Patienten angepasste Programme und dessen verstärkte Integration sind zentral; fördern und fordern, sind Grundvoraussetzungen für einen Erfolg. Eine systematische Nachbetreuung und Kontrolle, sowie die transparente Auswertung der Qualität können die Bedeutung der Reha steigern.
Hess: Ein neues Problem unter den seit 2012 eingeführten Fallkostenpauschalen, sind die früheren, allenfalls zu frühen Verlegungen in die Rehabilitationskliniken. Das führt zu zwei unterschiedlichen Problemkreisen:
1. Sind die Patienten und Patientinnen noch kränker und brauchen vermehrte medizinische Betreuung, was Rückwirkungen auf den Personalschlüssel und allenfalls den sog. «skill-mix» des Personals hat und neue Kosten in den Rehabilitationskliniken generiert.
2. Ist bei einer zu frühen Verlegung eine Rehabilitation oft noch gar nicht möglich. Da aber die Kostengutsprachen meist auf 2-allenfalls 3 Wochen begrenzt sind und der Patient die ersten Tage gar nicht zur Rehabilitation nutzen kann, verliert der Patient, die Patientin und die Gesellschaft durch dieses betriebswirtschaftliche Optimieren im Akutbereich an Potential, das grundsätzlich zu erreichen wäre. Dies als klassisches Beispiel falscher Anreize.
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Jürg Stahl wurde 1968 geboren und nach Ausbildungs- und Arbeitsstationen als eidgenössisch diplomierter Drogist wurde er 1999 in den Nationalrat gewählt, die grosse Parlamentskammer der Schweizer Regierung in Bern. Er ist zudem Mitglied der Geschäftsleitung Groupe Mutuel Versicherungen in Zürich.
Christian Hess war von 1988 bis 2012 Chefarzt Innere Medizin am Spital Affoltern. Davor war am Spital Männedorf, am Universitätsspital Zürich sowie am Kantonsspital Zug tätig. Er hat während zwei Jahren in Ifakara, Tansania gearbeitet und gelebt. Er ist Initiant des «Modell Menschenmedizin». Er ist Mitglied der kantonalen Ethik Kommission Zürich und Autor u.a. des Buches «Menschenmedizin – für eine kluge Heilkunst» (2006). Zusammen mit seiner Frau und Psychotherapeutin Annina Hess-Cabalzar gründete er die Akademie Menschenmedizin.
Am 28. August 2014 findet im Kunsthaus Zürich das Symposium «Zeit – Mensch – Medizin» statt.
www.menschenmedizin.com
12. August 2014
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
032 621 81 11
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