Worum geht es bei den Friedensverhandlungen wirklich?
Für Thierry Meyssan vom Voltaire-Net sind die aktuellen «Friedensverhandlungen» zur Ukraine ein komplexes geopolitisches Schachspiel. Die Hauptakteure sind ausschliesslich Washington und Moskau – mit Kiew als statistischer Figur und den europäischen Regierungen als nützlichen Idioten.
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EU: Koalition der «nützlichen Idioten». Screenshot

In Meyssans Analyse der vergangenen Woche ist der zentrale Punkt, dass Donald Trump zwei fast unvereinbare Flügel seiner Machtbasis bedienen muss – die MAGA-Bewegung, die keine weiteren Milliarden für ausländische Kriege will, und den atlantisch-interventionistischen Flügel seiner Geldgeber (Rüstungsindustrie, Think-Tanks, Republikaner wie Marco Rubio). Die Lösung besteht darin, den Krieg schnell und mit möglichst geringem Gesichtsverlust für die USA zu beenden, aber gleichzeitig Russland so weit entgegenzukommen, dass Putin mitspielt und Trump als «Friedensstifter» dasteht.

Deshalb fanden die eigentlichen Verhandlungen nicht in Europa, sondern im November in Florida statt – zwischen US-Gesandten (u. a. Steve Witkoff und Jared Kushner) und russischen Vertretern. Das Ergebnis war ein Plan, der russische Kernforderungen erfüllt: Entnazifizierung (also Entfernung ultranationalistischer Kräfte aus Politik und Militär), dauerhafte Neutralität der Ukraine, Anerkennung der vier annektierten Gebiete plus Krim sowie Sicherheitsgarantien für Russland. 

Im Gegenzug soll Russland Milliarden in den Wiederaufbau der Ukraine stecken – ein Geschäft, das für beide Seiten lukrativ ist und amerikanische Firmen (u. a. BlackRock) in Pole-Position bringt.

Dieser «Florida-Plan» wurde in der westlichen Presse sofort als «pro-russisch» und «Verrat» diffamiert, obwohl er in Wahrheit ein amerikanisch-russisches Diktat ist. Europäer waren nie eingeladen. Die angeblichen «Genfer Gespräche» am 23./24. November 2025, von denen deutsche, französische und britische Medien fantasierten, fanden in dieser Form nie statt. Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich schickten Diplomaten ins Intercontinental Hotel, wo die US- und ukrainischen Delegationen untergebracht waren. Sie konnten miteinander sprechen, wurden aber nicht zu den Verhandlungen zugelassen.

In Genf sassen nur US- und ukrainische Delegationen zusammen; die Europäer waren gleichzeitig auf dem G20-Gipfel in Johannesburg und veröffentlichten dort eine Erklärung, die russische Vorschläge rundheraus ablehnt und auf «Unverletzlichkeit der Grenzen von 1991» pocht – also genau das Gegenteil dessen, was in Florida bereits beschlossen war.

London, Paris und Berlin inszenierten dann unter Federführung von Keir Starmer und Emmanuel Macron am 25. November die «Koalition der Willigen». Nicht zufällig trage sie denselben Namen wie Koalition von 2002 vor dem Irak-Krieg: viel Lärm, viele Flaggen, null Einfluss. George Soros war indirekt durch seine NGOs vertreten, und die Ukraine wurde just an diesem Tag der britisch geführten «Joint Expeditionary Force» (JEF) assoziiert – ein klarer Versuch Londons, weiterhin militärisch präsent zu bleiben. 

Die Koalition tagte, hörte Selenskyj zu und verabschiedete schöne Worte über «gerechten und dauerhaften Frieden mit Sicherheitsgarantien» – Worte, die in Washington und Moskau niemand ernst nimmt.

Am gleichen Tag veröffentlichte die Agentur Bloomberg vermeintlich abgefangene Telefonate zwischen Trumps Emissär Steve Witkoff und russischen Vertretern. Diese beiden Gespräche, die von einem Geheimdienst abgefangen worden waren, erwecken den Eindruck, der Florida-Plan sei allein von Russland entworfen worden. Meyssan: «Jeder der weiss, wie solche Verhandlungen geführt werden, kann darüber jedoch nur erstaunt sein. Sie lassen absolut nicht den Schluss zu, dass Witkoff ein russischer Spion ist, sondern nur, dass er seinen Job gemacht hat.»

Man müsse den Plan nur lesen, um fest zu stellen, dass er vorsieht, dass Russland 100 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau der Ukraine ausgeben wird, und dass er die Oblast Odessa nicht als russisch anerkennt – obwohl dies den Antrag Transnistriens auf Austritt aus Moldawien und seinen Beitritt zur Russischen Föderation erlaubt hätte. 

Von wem die Abhöraktion organisiert war, bleibt unklar, Meyssan vermutet britische Geheimdienstmanipulation. Putin selbst warnte öffentlich, dass das Abhören von Verhandlungen ein Straftatbestand sei.

Am 27. November blockierte Belgien die von den USA geforderte Konfiszierung von 215 Milliarden Dollar russischem Vermögen – ein Schritt, den Meyssan als «organisierten Diebstahl» bezeichnet, der das Vertrauen in den Euro als Reservewährung zerstören und die EU wirtschaftlich in den Abgrund reissen könnte. Eine norwegische Studie warnt, dass eine klare ukrainische Niederlage Europa langfristig doppelt so viel kosten würde wie die Fortsetzung des derzeitigen Stellungskriegs.

Am 28. November führte die von den USA finanzierte Anti-Korruptionsbehörde NABU eine spektakuläre Razzia im Haus des Präsidialamtschefs Andriy Jermak durch, beschlagnahmte Telefone und Dokumente. Jermak, der als mächtiger Mann hinter Selenskyj galt, trat zurück und meldete sich angeblich freiwillig an die Front – ein eindeutiges Zeichen, dass Washington ihn fallen lässt, um Selenskyj noch eine Gnadenfrist zu geben, bevor auch er ersetzt wird.

Am 30. November rief Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, Wolodymyr Selenskyj an. Sie versicherte ihm, dass die Ukraine trotz der Beschiessung ihrer Energiezentren durch die russische Armee standhaft bleiben müsse.

Dann rief ihn auch der Generalsekretär der NATO, Mark Rutte an. Es scheint, dass er weniger begeistert und sich gegenüber der US-Unterstützung vorsichtig zeigte. Schliesslich lud Emmanuel Macron, der französische Präsident, seinen nicht wiedergewählten Amtskollegen ein, am nächsten Tag, dem 1. Dezember, nach Paris zu kommen. Er wird nur die Illusion aufrechterhalten können. 

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Vorgestern in Paris: Trost für Selenski

Am 17. November hatte er tatsächlich pompös Dokumente für den Verkauf von 100 Rafale-Flugzeugen, SAMP/T-Luftverteidigungssystemen, modernen Radaren zur Luftverteidigung, Luft-Luft-Raketen und gelenkten Luftbomben an die Ukraine unterzeichnet. In Wirklichkeit handelte es sich dabei nicht um Verträge, sondern um «Absichtserklärungen». Die Finanzierung dieser wundersamen Verkäufe war nicht gesichert, und die Rafale-Herstellung durch Dassault Aviation könnte erst nach fünf oder zehn Jahren beginnen.»

Meyssans Fazit: Der Frieden, der sich abzeichnet, ist ein rein amerikanisch-russischer Deal. Er lässt Europa aussen vor und errichtet einen neuen «Eisernen Vorhang» – diesmal jedoch mit Europa auf der Verliererseite. Die europäischen Eliten, die jahrelang auf Total-Sieg setzten, fürchten den Frieden mehr als den Krieg, weil er ihren politischen Untergang bedeuten würde. Trump gewinnt innenpolitisch, Putin sichert russische Interessen, amerikanische Konzerne verdienen am Wiederaufbau – und die EU bleibt mit den Trümmern und der Rechnung zurück. 
 

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