Zu kompliziert, zu spät – die Aufarbeitungsinitiative ist gescheitert

Jetzt wollen sie die Verfassungsfreunde als Petition mit 52‘000 Unterschriften dem Bundesrat übergeben. Kann man aus dem Misserfolg etwas lernen?

Illustration: ©ron&joe

Es wurden über 200’000 Unterschriftenbogen verschickt und 600 Posts auf den verschiedenen Kanälen publiziert. Der Newsletter der Verfassungsfreunde hat 115’000 Menschen erreicht. Doch das Ziel der 100’000 beglaubigten Unterschriften blieb auch nach anderthalb Jahren intensiver Kommunikationsarbeit ausser Reichweite.

Nach dem Willen der Initianten hätte eine ausserparlamentarische Kommission vom Volk gewählt werden sollen, die Nutzen und Rechtmässigkeit der Massnahmen und allfällige Verbrechen hätte abklären müssen. Und sie hätte Impfopfern eine faire Entschädigung und für Unschuldige eine Amnestie sprechen müssen.

Eine Untersuchungskommission mit derart weitgehenden Kompetenzen hat es in der Eidgenossenschaft noch nie gegeben. Es dauert denn auch lange und erforderte mehrfache Änderungen, bis die Initiative von der Bundeskanzlei endlich freigegeben wurde. Als die Unterschriftensammlung anfangs 2023 endlich begann, war der Pandemieschock bereits verflogen und der Widerstand erschöpft.

Der Text war ausserordentlich lang und detailliert, entsprechend schwierig war die Unterschriftensammlung auf der Strasse. Wer wollte, konnte immer einen Grund finden, die Initiative nicht zu unterschreiben.

Die Initiative wurde von einem Komitee mit wenig bekannten Leuten lanciert, aber von den Verfassungsfreunden zur eigenen Sache gemacht. Aber offenbar gelang es nicht einmal, die noch verbliebenen knapp 10’000 Mitglieder (beim Start der Unterschriftensammlung) zum Sammeln zu motivieren.

Es ist dies nach der Giacometti-Initiative – «Volk und Stände entscheiden über dringlich erklärte Bundesgesetze» – bereits die zweite Initiative, mit der die Verfassungsfreunde scheitern. Beide Initiativen wurden allerdings nicht von ihnen lanciert, sie die einmal Referenden innert wenigen Wochen zustande brachten.

Jetzt wird die Initiative am 28. August dem Bundesrat als Petition überreicht. Die Verfassungsfreunde als Bittsteller – das war zu Beginn ihres Bestehens undenkbar. Und dass Petitionen nichts bringen, dürfte allen klar sein, die schon irgendwo mal einen Klick gemacht haben

Entsteht aus der gescheiterten Aufarbeitungsinitiative ein politischer Schaden? Vermutlich nicht. Denn der Wille, die Pandemie, die Massnahmen und die politischen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden zu untersuchen, ist in der Schweiz ohnehin nicht gross. Im Gegensatz zu Deutschland, wo mit den Protokollen des Robert-Koch-Institut ein rauchender Colt vorliegt, gibt es hierzulande wenig gerichtsfestes Material.

Die National Covid Science Task Force war schlau genug, keine Protokolle zu führen. Die Affäre um die Untersuchung der Zusammenarbeit zwischen Bundesrat Alain Berset und Ringier-Chef Marc Walder wurde geschickt auf die lange Bank geschoben und die Erkenntnisse der Bundesanwaltschaft der Öffentlichkeit vorenthalten. Es ist ist auch kein Whistleblower aufgetaucht. Und die Gerichte haben mehr oder weniger alle Verstösse gegen die Verfassung sanktioniert, die von Polizei und Behörden begangen wurden.

Die Schweiz hat sich durch die Pandemie zum Unguten verändert. Die Verfassung, das massgebliche Instrument des Souveräns, den Gang der Dinge zu lenken, wurde uns entrissen. Die classe politique hat die Erfahrung gemacht, dass man mit Angst und Propaganda fast alles erreichen kann. Sie kann sich nicht nur über den Willen der Bürgerinnen und Bürger hinwegsetzen, sie kann ihn auch lenken und verändern. Das wird sie wieder versuchen

Mir fällt im Moment nichts ein, womit dieser Trend gewendet werden könnte. Aber es wird wieder eine Krise kommen, die auch das Establishment erschüttert. Es wird wieder, wie zu Beginn der Pandemie, ein Moment der Tat kommen. Nur sollten wir dann nicht wieder denselben Fehler begehen und uns im Widerstand und in Egoismen aufreiben. Der Kampf gegen das Schlechte wird nicht das Gute bringen.

Die Schweiz braucht konstruktive Visionen der Freiheit und der Gerechtigkeit. Es gibt noch genug Menschen, die das Gute wollen und Herz haben. Sie brauchen nur einen Ort, an dem sich ihre Energie zu einer grossen Kraft verbinden kann – eine neue Eidgenossenschaft, die nächste Schweiz.


Medienmitteilung der Freunde der Verfassung zur Aufarbeitungsinitiative (pdf)

22. August 2024
von:

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Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

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