Zwölf Bitten für den Frieden

Susanne Triners «zwölf Bitten zur aktuellen Situation im Nahen Osten» ist ein Appell an alle Beteiligte, im Leid des anderen den eigenen Schmerz wiederzuerkennen.

Wegen des Krieges verfaulen Jerichos Datteln an den Bäumen. Susanne Triner betreibt daselbst ein Dattelprojekt und ist eine profunde Kennerin von Israel-Palästina (Bild: christliche-werte.ch)

 

Ich spreche meine zwölf Bitten mit der Hoffnung aus, dass dieser lange Konflikt durch uns alle gemeinsam zu einem Ende gebracht wird. Wir haben die geistige Kraft, dies zu erwirken.

Weshalb ich?

In meiner Jugend habe ich alle Literatur verschlungen, die über das jüdische Volk und seine tausendjährige Geschichte vorhanden war. Bei Professor Weinreb, Basel, habe ich die Kabbala und die 72 Heiligen Namen studiert. Während den Kriegen Israels war meine Generation auf der Seite des Jüdischen Volkes, das doch endlich eine Heimat finden sollte. Ich sehe Golda Meir, die damalige Ministerpräsidentin Israels, vor mir, wie sie über die Brillengläser hinweg sagte: «Ein Land ohne Menschen, für Menschen ohne ein Land».

2005 ging ich zum ersten Mal an den tiefsten Punkt der Erde, in die älteste Stadt der Welt. Es ist Jericho, die Palmenstadt im Jordantal, in einer der A-Zonen der Palästinensischen Territorien. Ich kannte weder die Palästinensische Geschichte noch die Arabische Kultur. In der Zwischenzeit habe ich viel gelernt.

Eine erste Bitte geht an das Jüdische Volk, das sich in Israel-Palästina seit 1882 angesiedelt hat. 

Ich kann nur versuchen nachzufühlen, was es bedeutet, in ursprünglichen Gesellschaften ausgeschlossen, zum Sündenbock gestempelt, aus den eigenen vier Wänden vertrieben zu sein und dem eigenen Tod ins Auge sehen zu müssen. Euch als Nachkommen derjenigen, die gelitten haben, möchte ich jetzt zurufen: Nehmt wahr, was in eurem jetzigen Land geschieht, fühlt den Schmerz derjenigen, denen das gleiche Schicksal widerfährt, das ihr aus Eurer Geschichte so gut kennt. Wiederholt nicht an den Menschen, die man als eure Verwandten bezeichnen könnte, was euch angetan wurde. Ihr habt es in der Hand, eure Regierung zu stoppen, diesem Irrsinn ein Ende zu bereiten und die Türe zu einem friedlichen Miteinander zu öffnen. Ihr bestimmt darüber, ob das Land Israel zum Leben erweckt und Realität wird.

Eine zweite Bitte geht an das Palästinensische Volk.

Wenig andere Völker haben in den letzten Jahrzehnten so viel Leid erfahren wie ihr. Ihr tragt die Entscheidungen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs auf Euren Schultern. Das Volk, das euer Land übernommen hat, profitiert von der Lüge des leeren Landes. Euer Land war nicht leer, ihr und eure Ahnen habt in Palästina gelebt. Diese Tatsache soll jetzt auf den Konferenztisch gebracht werden. Ich bitte darum, zu unterscheiden zwischen den Entscheidungen der Regierungen und den Menschen, die ins Land eingereist sind. Ihr wart mal Freunde, lasst diesen Ansatz eine Hoffnung für die Zukunft sein.

Meine dritte Bitte geht an die Bewegung der Hamas und an die Menschen in Gaza.

Wer eure Lebensqualität kennt und die Abhängigkeit von der Besatzungsmacht - die jederzeit über euren Tod und die Qualität eures Lebens entscheidet - kann nachvollziehen, dass ihr Wege sucht, um aus diesem Drama auszubrechen. Ich bitte darum, die Gewalt trotzdem einzustellen und im Gegenüber den Menschen zu sehen, der dazu beitragen könnte, dass Frieden im Nahen Osten entstehen kann. Die Welt wird es euch danken und die Welt wird anfangen, über euren Schmerz zu reden,

anstatt über die Gewalt, die euer unterdrückter Schmerz ausgelöst hat.

Meine vierte Bitte geht an die Reservisten und Reservistinnen der israelischen Armee.

Ihr seid diejenigen, die die Befehle der Kommandanten ausführten, wenn ihr Palästinensern und Palästinenserinnen Land und Gut nehmen und ihre Kinder ins Gefängnis stecken musstet. Eure Regierung nennt sie Terroristen, in anderen Ländern werden Menschen wie sie Rebellen oder Freiheitskämpfer genannt. Sie verteidigen das, was ihnen seit Generationen gehört.

Ich habe einige von Euch kennen gelernt, Ihr seid keine Monster, Ihr habt Gefühle, man sieht es Euren Augen an. Lasst euch nicht zu unnötiger Gewalt hinreissen. Wendet Waffen nur an, wenn es nicht ohne geht. Ihr seid die Verweigerer, die es jetzt braucht, um die Krise auf die Ebene des respektvollen Gesprächs zu führen. Lasst diese Chance nicht an euch und eurem Land vorübergehen.

Meine fünfte Bitte geht an die Teilnehmenden der Demonstrationen.

Ihr, die in den letzten Monaten mit friedlichen Demonstrationen zu einem Umdenken führen wolltet. Ich habe eure Kraft gespürt, euren Willen gesehen. Hört jetzt nicht auf! Setzt euch mit allen demokratischen Mitteln dafür ein, dass Eure Regierung sich an den Konferenztisch setzt, anstatt die neusten Waffen an den Palästinensern auszuprobieren.

Meine sechste Bitte geht an die Trauernden auf beiden Seiten des Konflikts.

Ich spreche euch mein tiefes Mitgefühl aus. Ihr trauert um liebe Menschen, vielleicht blutet ihr selbst aus einer Wunde. Es tut mir leid, dass ihr das alles erfahren müsst. Meine inständige Bitte ist die: Versucht zum Wohl all derer, die noch nicht verwundet oder getötet wurden, die Gewalt zu stoppen. In eurem Land ist genug Blut geflossen! Versucht den Tätern zu vergeben.

Vergebt euren Regierungen, die in den letzten Jahrzehnten unfähig waren, ein friedliches Miteinander zu finden. Versucht zu vergeben, versucht es zum Wohl eurer Kinder und Kindeskinder. Es ist Zeit, dem Leid ein Ende zu bereiten. Zeigt, dass ihr den Mut habt, die Pioniere zu sein, die dies ermöglichen.

Meine siebte Bitte geht an die Diaspora beider Völker in aller Welt.

Ich verstehe eure Liebe zum Heimatland und kann nachvollziehen, dass ihr das Land moralisch und finanziell unterstützt. Vielleicht überlegt ihr euch, welche Schritte die Regierung in Eurem Gastland gehen könnte, um wirklichen Frieden im Heimatland zu bringen? Wäre es nicht angemessener, den Traumata der Vergangenheit mit Therapieangeboten zu begegnen, anstatt neue Waffen, neue Grenzen, neue Gefängnisse und höhere Mauern der Trennung zu finanzieren?

Meine achte Bitte geht an die Siedlerfamilien in den besetzten Gebieten.

Mir ist bewusst, dass Ihr euer angestammtes Land verlassen habt, weil euch in Israel eine neue Heimat versprochen wurde. Ich habe die Inserate gesehen, die in amerikanischen oder russischen Zeitungen erscheinen. Euch wurde das Paradies versprochen: ein Haus, Land, eine Schule für eure Kinder, Sicherheit und spirituelle Begleitung. Es tönt alles wunderbar. Bitte überlegt euch, wem das Land genommen wird, das Ihr so einfach bekommt. Bitte denkt darüber nach, dass die Tiere, die ihr einfach so aus dem Stall nehmt, einem Bauern gehören, der sie auf die Welt gebracht, gehegt und gepflegt hat. Fühlt euch ein in die Situation, seid bereit in den Nachbarn, die ihr jetzt leiden lässt, den Mitmenschen zu sehen.

Meine neunte Bitte geht an die Medien in aller Welt.

Ich bitte von Herzen alle Medien, ob Print oder Online, darum, eine Sprache der De-Eskalation zu wählen, anstatt mit kriegerischen Ausdrücken die Menschen aufzuwiegeln. Ihr seid diejenigen, die mit Worten viel bewegen können. Ihr habt es in der Hand, Mitgefühl auszudrücken für alle Beteiligten. Nicht alle Palästinenser und Palästinenserinnen sind Terroristen, nicht alle Juden und Jüdinnen benehmen sich wie auserwählte Kinder Gottes.

Meine zehnte Bitte geht an die Touristen und Touristinnen aus aller Welt.

Wer immer in der Jugend in einem Kibbuz gewohnt und gearbeitet hat, weiss um die Schönheit des Landes. Wer eine Pilgerreise unternommen hat, kennt die Vielfalt im Heiligen Land. Ich bitte darum, die Erinnerungen an die schöne Zeit jetzt dafür zu verwenden, gute Gedanken und Gebete ins Land zu senden – zu allen Bevölkerungsschichten.

Meine elfte Bitte geht an die Entscheidungsträger in aller Welt.

«Israel hat das Recht, sich zu verteidigen». Diesen Satz hören wir immer wieder. Ja, es stimmt, jedes Land hat das Recht, sich zu verteidigen! Bitte bedenkt, dass auch Palästina mal ein Land war, dass es eine Bevölkerung gibt, die das Recht hat, in ihrem Land in Frieden leben zu können. Bitte lest euch ein in die Geschichte des Nahen Ostens, seid euch bewusst, dass es die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs waren, die die Entscheidung trafen, dem Jüdischen Volk das Land Palästina zu überlassen. Diese Zuweisung führte zur heutigen Situation! Es geht jetzt darum, zu den damaligen Entscheiden zu stehen und eine für alle gültige Lösung zu finden.

Meine zwölfte Bitte geht an alle Menschen, Jung und Alt, in der Welt.

Es geht jetzt darum zu sagen: Nein, wir wollen das nicht mehr! Wir wollen nicht, dass zerstört wird, was vorher mühsam aufgebaut wurde. Unsere Steuergelder sollen dem Wohl aller dienen und nicht für neue Waffen eingesetzt werden.

Wir wollen einander respektieren für das, was wir sind: Menschenkinder aller Nationen, Ethnien, Religionen, die versuchen, diese Erde in eine lebenswerte Zukunft zu bringen. Wir wollen ein friedliches Miteinander, weltweit. Möge das Heilige Land unser Wirken spüren und zum Vorbild anderer Konflikte werden.

Bitte weit verbreiten und online teilen! English version is available here: www.together21.org

 

Susanne Triner ist Gründerin von Together-to-one, einer der Friedensarbeit gewidmeten Organisation. Im palästinensischen Jericho betreibt sie verschiedene soziale Projekte, die unter anderem mit dem Verkauf von einheimischen Datteln finanziert werden. Nun verrotten die just bei Kriegsbeginn reif gewordenen Früchte an den Bäumen.

 

Bisher im Zeitpunkt erschienen: 

Zukunft zum Mitmachen

Sie lässt Datteln am tiefsten Punkt der Erde wachsen

Warum kämpfe ich für den Frieden zwischen Israel und Palästina?

 

 

Kommentare

Vergebung bedingt ein Bereuen des Täters

von juerg.wyss
Eigentlich wollte ich darauf hinweisen, dass es ziemlich viele Denkfehler in diesen 12 Bitten hat, so z.B. 12 Bitten für die aktuelle Situation im Nahost. Sind das nicht 12 Bitten GEGEN die aktuelle Situation im Nahost? Aber dann sah ich den grössten Fehler, der eine temporale Divergenz auslöst. Das Verlangen nach Vergebung vor der Bereuung des Täters. Wie kann ich etwas vergeben, wenn der Täter nicht bereut? Wird so nicht die Vergebung die Rechtfertigung eines Verbrechens? Ich nehme wieder ein Beispiel aus meinem Lieblingsschlachtfeld, dem Strassenverkehr. Wird ein Raser einsichtig, wenn man ihm seine Raserei vergibt, oder rast er einfach weiter, weil er nicht bestraft wurde? Ist die Vergebung nicht ein Ansporn zu rasen, weil man ihm vergibt statt ihn zu bestrafen? So ähnlich beurteile ich die Situation in Palästina. Wieso sollen die Palästinenser den Israelis vergeben, wenn die Hamas sie als Schutzschilde missbraucht und sie getötet werden? Müssen sie dann nicht im selben Zug der Hamas vergeben? Nein, Vergebung kann erst verlangt werden, wenn der Täter bereut. Oder besser gesagt die Täter.

Herr Wysswo, wer sind die…

von renekueng
Herr Wyss wo, wer sind die Raser? Attentat in München, 1967, 1948, 1901 oder bei uns im Mittelalter? (Sie können ergänzen soviel Sie wollen, es gab in der Vergangenheit unzählige Raserpisten). Mal ins jüdische Museum zu Basel gehen und nachlesen, wie die braven Bürger im 15., 16. Jahrhundert etc mit Juden umgegangen sind. Etwa so übel wie inzwischen der jüdische Staat pauschal mit allen Palästinensern, den Radikalen, Extremistischen wie auch all jenen, die vergeblich seit Jahrzehnten nur ein einigermassen anständiges, friedliches Leben wünschten. Vor dem Vergeben, vor dem Bereuen müsste der Wille stehen, zu lernen und verstehen wie wir alle, bewusst und vor allem ganz viel unbewusst, in dieser langen Geschichte Teil beim Rasen, Zuschauen oder nichts wissen wollen sind.

Wunderbar geschrieben Frau…

von renekueng
Wunderbar geschrieben Frau Triner. Ich weiss nicht, ob ein weiterer, grösserer Wunsch noch Platz hat. An die, die Frieden gar nicht wollen. Der 'neue' Kennedy hat es jetzt in seiner unnachahmlichen Offenheit (die uns in Vielem gefallen hat die letzten paar Jahre), so gesagt: Israel ist sowas wie der permanente Flugzeugträger für uns in Nahost. Wichtig, weil es da soviel Öl hat, Erdöl, nicht Datteln. Und das sollen die 'Andern' nicht haben. Das wollen WIR und darum ist dauernde Unruhe, wenn nötig Krieg (auch dauernd) in dieser Region der Welt. Und die Schutzmacht für unser Wohlbefinden, unseren Wohlstand, unsere Bequemlichkeit garantiert uns das seit 100 Jahren plus. Wollen WIR das weiterhin? Mein Wunsch wäre, darüber nachzudenken, reden und ...... lernen.