«Ätsch, wir sitzen am längeren Hebel»
Offener Brief an Bundesrat Ignazio Cassis, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Kolumne.
Lieber Herr Cassis
Ich muss sagen, es kommt mir vor, als ob der Bundesrat nach der Abstimmung über die Konzern-Initiative sagen wollte: «Ätsch, wir sitzen sowieso am längeren Hebel.» Dass NGOs und andere zivilgesellschaftliche Institutionen offenbar einen signifikanten Einfluss auf die Meinungsbildung der Schweizer Stimmbevölkerung haben und es um ein Haar geschafft hätten, eine Volksinitiative durchzubringen, mag Ihnen nicht ganz geheuer sein, doch es ist Ausdruck unserer vielgelobten direkten Demokratie.
Im Dezember haben Sie bekannt gegeben, dass NGOs künftig keine Gelder der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) mehr für Kampagnen und Sensibilisierungsarbeit einsetzen dürfen. Wie darf man das verstehen? Möchten Sie verhindern, dass hierzulande bekannt wird, welche Schäden die Schweizer Politik und Wirtschaft im Ausland anrichten? Dadurch wird deutlich, welche Haltung der Bundesrat in Sachen Entwicklungspolitik einnimmt.
Das Katholische Medienzentrum kath.ch hat in seinem offenen Brief an Sie die Problematik bereits im Dezember gut auf den Punkt gebracht: «Ein Hilfswerk darf zwar weiterhin afrikanische Bäuerinnen im Gewinnen von traditionellem Saatgut unterstützen, in der Schweiz aber keine Veranstaltungen mehr durchführen, die die Macht multinationaler Konzerne über die Landwirtschaft im südlichen Afrika beleuchten.» Im Antwortschreiben wird festgehalten, dass die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit weiterhin über globale Herausforderungen berichten dürfen – herzlichen Dank dafür –, entsprechende Veranstaltungen oder Berichte jedoch aus privaten Spenden finanziert werden müssen. Damit soll sichergestellt werden, «dass die DEZA-Programmbeiträge für die Armutsbekämpfung und Förderung der nachhaltigen Entwicklung in den Entwicklungsländern investiert werden».
Doch genau hier liegt der Denkfehler, lieber Herr Cassis. Während meiner jahrelangen Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit bin ich zum Schluss gekommen, dass der Ansatz «Armut vor Ort bekämpfen» genauso illusionär und – Entschuldigung – arrogant ist wie die Forderung «Fluchtursachen vor Ort bekämpfen». Denn die Gründe für Armut und soziale Ungleichheiten in den so genannten Entwicklungsländern liegen nicht primär in der Unfähigkeit oder Korruptionsanfälligkeit der dortigen Regierungen, sondern in den globalen Strukturen, die bis heute auf einem Modell der Ausbeutung aufbauen. Genau dies wollte die Konzern-Initiative aufzeigen und verändern – und hat damit in Bundesbern wohl einen wunden Punkt getroffen.
Es sind politische Entscheidungen sowie der konsumorientierte Lebensstil im Globalen Norden, welche zu den teilweise prekären Lebensbedingungen im Süden führen, die wir dann mit Entwicklungsprojekten wieder verbessern wollen. Trotz der klaren Mitverantwortung der Schweiz an dieser Situation scheint die DEZA nach wie vor die Meinung zu vertreten, dass Entwicklungsgelder eine Art Solidaritätsbonus darstellen. Würde man dagegen anfangen, sie stattdessen als Kompensationszahlungen für die seit Jahrhunderten verursachten Schäden zu betrachten, könnte der Bundesrat das entsprechende Budget auch nicht mehr nach Lust und Laune kürzen – dann wären die Beiträge nämlich verpflichtend.
Die Schweiz muss Verantwortung übernehmen. Und dazu reicht es nicht, sich zur Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele der UNO zu verpflichten oder das Pariser Klima-Abkommen zu unterzeichnen. Es kann nicht sein, dass die Strategie der Entwicklungspolitik darin besteht, die globalen Zusammenhänge und die eigene – negative – Rolle darin zu verbergen. Ich wünsche mir einen Bundesrat, der Verantwortung übernimmt und Ethik über wirtschaftliche Interessen stellt – dann müsste ich mich im Ausland auch nicht mehr schämen, zu sagen, dass ich aus der Schweiz komme.
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