Chapeau! für den Rat der europäischen Grossmütter

Sie wollen an sich selbst erfahren und zeigen, wie Frieden und Heilung entsteht. 13 der «Grossmütter» aus ganz Europa trafen sich vergangenes Wochenende in der Schweiz.

Zum Treffen der europäischen Grossmütter in Wildhaus kamen 13 von 24 Grossmütter. Foto: zVg

Bekannt sind die 13 indigenen Grossmütter für den Frieden – weniger bekannt die europäischen. Nach dem Vorbild der Ureinwohnerinnen begann 2015 ein wachsender Kreis von älteren Frauen, sich regelmässig zu treffen, sich auszutauschen über die Situation der Welt, zu lernen und ihre Stimme zu erheben. 

Spanien, Frankreich, Irland, Island, Dänemark, Litauen… von vielen europäischen Ländern sind bis zu zwei Vertreterinnen zwischen 61 und 78 Jahren dabei – und Grossmütter müssen sie gar nicht sein: Es reicht, wenn sie die Aufgabe von ganzheitlich-politischen Grossmüttern übernehmen möchten. Hier versammelt und verbindet sich spirituelles, therapeutisches, kulturelles, weibliches und politisches Wissen zu einer geballten Frauenpower.

Ich fand in diesem Kreis etwas sehr Wertvolles: eine tiefe Freundlichkeit gepaart mit viel Kompetenz! Wie oft dominieren in politischen Kreisen Konkurrenz und Geltungsdruck! Hier nicht. Geduld und Fürsorge sind wesentliche Qualitäten von Grosis. Aber das allein würde ihnen nicht gerecht: Klarheit, Weitsicht und Willenskraft gehören auch dazu, wie ich feststellen durfte. 

Die Stunden in dieser Runde machten mir wieder einmal deutlich, warum einige Anthropologen sagen, dass erst die Präsenz von Frauen jenseits des Gebäralters Kulturentwicklung möglich machte: Denn nur, wenn es Frauen gibt, die nicht unmittelbar mit ihrem Nachwuchs beschäftigt sind, sondern ihre Fürsorge und Umsicht auf den ganzen Stamm oder das ganze Gemeinwesen richten, kann eine Kultur auf mehr schauen als auf die unmittelbaren Notwendigkeiten.

Alle neun Monate trifft man sich. Das neunte Treffen wurde von den beiden Schweizer Vertreterinnen – Elisabeth Wille und Irene Keller Gubler – ausgerichtet und fand vom 1.-5. Februar in Wildhaus statt. Da der 2. Februar in verschiedenen Kulturen als Feiertag der Wiedergeburt des Lichtes gewidmet ist («Imbolc», «Lichtmess»), war das Thema diesmal «Licht». Und es ging auch um Geburt. Die Mischung von persönlich-seelischen und politischen Themen zeigte sich beim öffentlichen Symposium am 4. Februar im Gemeindesaal von Wildhaus-Chuchitobel.

Wir hörten zu, debattierten, sangen und machten heilende Erfahrungen im Miteinander. «Der verlorene Zwilling», hiess ein Vortrag von Elisabeth Wille, die die traumatische Erfahrung beschrieb, einen Zwillingsbruder im Mutterleib verloren zu haben. Wie diese Entdeckung nicht nur ein Verlust, sondern sogar ein seelischer Gewinn sein kann, beschrieb sie auch: Es ist eine Befreiung und Bereicherung, wenn der Grund für ein Trauma erkannt und angenommen wird. Irene Gubler fügte einige Sätze über die Wichtigkeit der 1000 Tage nach der Geburt hinzu: Vor allem zur Bedeutung von Grosseltern. Denn wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf das Wohlergehen der eigenen Kinder gerichtet ist dann können sie etwas zurücktreten; und es wird Kraft frei für den fürsorgenden Blick auf die gesamte Familie und das ganze Gemeinwesen.

Da konnte ich anknüpfen. Ich war eingeladen, einen Vortrag über Gemeinschaften und ihren Beitrag zum Frieden zu halten – und sprach über Ökodörfer und Kommunen in aller Welt mit besonderem Schwerpunkt auf die Friedens- und Versöhnungsarbeit von Gemeinschaften wie Tamera (Portugal). Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Gemeinschaft, in der es genügend bewusste und aktive ältere Menschen gibt, eine ganz andere Stabilität und Ausrichtung hat. Wenn eine Gemeinschaft nur aus jungen Menschen besteht, vielleicht nur aus Familien, gibt es zuwenige, die sich für das Ganze einsetzen können.

Rosmarie Wydler-Wälti, die Vorsitzende der Klimaseniorinnenbeschrieb ihren engagierten Versuch, die Schweizer Regierung wegen Körperverletzung und zu wenig Klimaschutz zu verklagen. Auch wenn nicht jeder mit der einseitigen Forderung nach CO2-Reduzierung übereinstimmte, konnten wir wertschätzen, dass ältere Menschen eine Bewegung beginnen mitzutragen, die vor allem von jungen Menschen ausgefochten wird. Man stelle sich vor, dass alle älteren Menschen so aktiv werden in relevanten Bereichen: Sei es Naturschutz, Frieden oder Demokratie. 

Ich fragte die Teilnehmerinnen, wie ihr internes Treffen gewesen war. «Sehr intensiv», sagten mir alle in verschiedenen Worten. «Wir haben vor allem an uns gearbeitet, an unserer Heilung und unserer Präsenz, stellvertretend für die Menschen überhaupt.» Am Ende gab es ein rituelles Feuer am Fusse der schneebedeckten Gipfel – mit einem gemeinsamen Gebet für den Frieden.

Das nächste Treffen im Herbst ist in Polen geplant. https://councileugrandmothers.eu

 

 

Über

Christa Leila Dregger

Submitted by cld on Sa, 09/17/2022 - 12:37

Christa Dregger-Barthels (auch unter dem Namen Leila Dregger bekannt). Redaktionsmitglied des Zeitpunkt, Buchautorin, Journalistin und Aktivistin. Sie lebte fast 40 Jahren in Gemeinschaften, davon 18 Jahre in Tamera/Portugal - inzwischen wieder in Deutschland. Ihre Themengebiete sind Frieden, Gemeinschaft, Mann/Frau, Geist, Ökologie.

Weitere Projekte:

Terra Nova Plattform: www.terra-nova.earth

Terra Nova Begegnungsraum: www.terranova-begegnungsraum.de

Gerne empfehle ich Ihnen meine Podcast-Reihe TERRA NOVA:
terra-nova-podcast-1.podigee.io.  
Darin bin ich im Gespräch mit Denkern, Philosophinnen, kreativen Geistern, Kulturschaffenden. Meine wichtigsten Fragen sind: Sind Menschheit und Erde noch heilbar? Welche Gedanken und Erfahrungen helfen dabei? 

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