Der Applaus für die Klimajugend ist verfehlt

Die meisten meiner Freunde, fast alle Politiker und viele sehr reiche Menschen begrüssen die heftigen Proteste der weltweiten Klimajugend. Ich nicht. Für mich sind sie ein Zeichen, dass etwas ganz grundsätzlich aus dem Ruder gelaufen ist, nicht nur das Wetter.

(Foto: Wikimedia)

Anstatt zu klatschen, hätten die Herren (und Damen) an den Schalthebeln der Macht dafür sorgen sollen, dass die Jugend eine bessere Zukunft hat.

Es gehört schon eine gehörige Portion Realitätsverlust dazu, sich von einem Mädchen vor der UNO beschuldigen und beleidigen zu lassen und dann zu applaudieren. Anstatt scheinheilig zu klatschen, hätten die Herren (und Damen) an den Schalthebeln der Macht dafür sorgen sollen, dass die Jugend eine bessere Zukunft hat, wie dies seit Beginn der Menschheit mehr oder weniger immer der Fall war. Dass sie eine Ausbildung erhält, mit der man etwas mehr anstellen kann, als Studien über virtuelle Probleme zu schreiben oder Müll zu sortieren, dass Jobs da sind, von denen man auch ausserhalb des Hotels Mama anständig leben und selber eine Familie gründen kann. Dass eine Welt da ist, auf der alles gedeihen kann: Tiere, Pflanzen und nicht nur Reiche. Dass Perspektiven und Projekte da sind, für die man sich einsetzen kann. Stattdessen wird die Jugend gezwungen, ihre Kräfte gegen etwas einzusetzen. Gegen die Erwachsenen und die Welt, die sie geschaffen haben.

Natürlich: Es gibt Start-ups und Projekte, die mehr Nutzen bringen als Likes auf Facebook. Aber der Blick auf die netten Ausnahmen darf das grosse Bild nicht vernebeln: die verheerende (und steigende) Jugendarbeitslosigkeit in den meisten Teilen der Welt, die sinkende Zuversicht (seit Einführung der Smartphones, wie die UNO in ihrem letzten Weltglücksbericht feststellt) oder die Auflösung von stabilen Bindungen und Beziehungen (vor allem durch die Familienpolitik).

Wenn der Aufruf zum Verzicht auf Kinder befolgt wird, wird auch niemand mehr da sein, der die Zukunft erleben muss.

Dass erwachsene Klimaaktivisten den Verzicht auf Kinder als Lösung der Zukunftsprobleme propagieren, sagt eigentlich alles über unsere Vorstellungen der Zukunft: Sie sind so düster, dass man lieber gar nicht da wäre. Und wenn der Aufruf zum Verzicht auf Kinder befolgt wird, dann wird auch niemand mehr da sein, der sie erleben muss.

Der Protest der Jugend ist im Grunde der Protest gegen eine neoliberale Welt, die nicht nur mehr CO2 produziert als sie sollte, sondern vor allem Zerstörung, Streit, Schulden und Sinnlosigkeit. Es ist der Protest gegen eine Welt, die sich den Gesetzen des Geldes und des Profits unterworfen hat. Und die vielleicht für die Wenigen hochprofitabel ist, aber eine Breitband-Zerstörung von allem hinterlässt, was das menschliche Leben auf der Erde erst möglich macht: Mitwelt, Gemeinschaft, Vertrauen.

Es wird  niemand im Ernst glauben, dass die verlorenen Grundlagen des Lebens mit Benzinsteuern wiederhergestellt werden können.

Dass sich der Protest der Jugend auf das Klima richtet, hat für die Mächtigen durchaus Vorteile, deshalb unterstützen sie ihn. Denn anstatt die Ursachen der Misere zu beheben, werden Symptome behandelt. Es wird doch niemand im Ernst glauben, dass die verlorenen Grundlagen des Lebens mit Benzinsteuern wiederhergestellt werden können, mit Baumplantagen in den Tropen oder mit Ventilatoren, die CO2 aus der Luft abscheiden. Und schon gar nicht mit Kompensationszahlungen, die von der Wallstreet angelegt werden.

Der Protest der Klimajugend soll breiter werden und die 99 Prozent erfassen. Denn die Veränderungen müssen tiefer greifen: Überwindung des Wachstumszwangs – da spielt das private Kreditgeldsystem der Banken die entscheidende Rolle; Aufhebung der ständigen Umverteilung – auch hier ist das Geld, das zu 90 Prozent aus privaten Schulden besteht, der entscheidende Faktor; Zügelung des unaufhörlichen «Fortschritts» der Technosphäre, die sich alles Leben untertan macht. Mit Reformen ist dies nicht zu erreichen. Dazu braucht es eine friedliche Umwälzung. Sie ist möglich, und es braucht auch nicht viele. Aber es braucht eine Strategie. Und es braucht dich!

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Mehr dazu in:

Christoph Pfluger: Strategie der friedlichen Umwälzung – eine Antwort auf die Machtfrage. edition Zeitpunkt, 2019. 122 S. Fr. 12.–/€11.–

 

 

Über

Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

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