Deutschland: grosser Akteur im globalen Waffenhandel
Über die Rolle deutscher Rüstungskonzerne im internationalen Waffenhandel, über die neue Welle der Militarisierung in Europa und über deutsche Waffenexporte nach Israel sprach german-foreign-policy.com mit Andrew Feinstein.
Herstellung von Panzerfahrzeugen bei Rheinmetall für die NS-Kriegsrüstung. Foto: Bundesarchiv
Herstellung von Panzerfahrzeugen bei Rheinmetall für die NS-Kriegsrüstung. Foto: Bundesarchiv

Feinstein, der einst für den African National Congress (ANC) im südafrikanischen Parlament tätig war, ist heute Exekutive Director von Shadow World Investigations, einer gemeinnützigen Organisation, die Recherchen zu groß angelegter Korruption, zu gesetzeswidrigem Verhalten von Unternehmen und zu Militarismus durchführt, dies mit einem besonderen Schwerpunkt auf dem globalen Waffenhandel. 
Feinstein ist Autor mehrerer Bücher zum Thema, darunter „The Shadow World: Inside the Global Arms Trade (London 2011, deutsche Übersetzung: „Waffenhandel. Das globale Geschäft mit dem Tod", Hamburg 2012), „Indefensible: The Seven Myths That Sustain the Global Arms Trade" (London 2012) und „Monstrous Anger of the Guns. How the Global Arms Trade is Ruining the World and What We Can Do About It" (zusammen mit Rhona Michie und Paul Rogers, London 2024).

german-foreign-policy.com: Die deutsche Rüstungsindustrie verfügt nicht über so große und international bekannte Rüstungsunternehmen wie Lockheed Martin, BAE Systems oder Dassault. Dennoch gehört Deutschland seit vielen Jahren zu den fünf größten Waffenexporteuren weltweit. Wie würden Sie die globale Bedeutung der deutschen Rüstungsindustrie beschreiben?

Andrew Feinstein: Die deutsche Rüstungsindustrie ist aus zwei Gründen wichtig. Der erste Grund ist, dass einige Unternehmen bedeutende Produzenten sind. Rheinmetall, ThyssenKrupp – sie sind große Akteure im globalen Waffenhandel. Daran besteht kein Zweifel. Der zweite Grund ist natürlich die Rolle Deutschlands in Europa. Deutschland ist eine so dominante Kraft in der EU, dass seine Haltung zum Militär, zum Waffenhandel und zu den Verteidigungsausgaben für die EU als Ganzes und für die Position, die die EU einnehmen wird, äußerst wichtig ist.
Darüber hinaus ist es wichtig zu verstehen, wie sich der Waffenhandel nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat. Die Vereinigten Staaten sind natürlich der größte Produzent weltweit. Die USA haben gegenüber europäischen Unternehmen einen sogenannten Skaleneffekt, da jedes amerikanische Unternehmen, sei es Lockheed Martin oder ein anderes, weiß, dass das Pentagon den Großteil seiner Produktion kaufen wird. Ihre Auslandsverkäufe sind also nebensächlich und gehen über den größten Abnehmer von Waffen weltweit hinaus: das Pentagon. Während in den 1950er, 60er und 70er Jahren und sogar noch bis zu einem gewissen Grad in den frühen 80er Jahren die Amerikaner im Waffenhandel korrupt waren, wurde dies mit dem Foreign Corrupt Practices Act beendet. Trump hat dieses Gesetz nun abgeschafft; es wird sicherlich interessant sein zu sehen, welche Auswirkungen dies haben wird.

gfp.com: Europäische Waffenhersteller befinden sich in einer anderen Lage...

Feinstein: In der Tat. Da die Europäer nicht über die gleiche Qualität der Ausrüstung wie die Amerikaner verfügen und ihnen die Skaleneffekte der Amerikaner fehlen, sind europäische Hersteller anfällig für Bestechung und Korruption. Die deutsche Rüstungsindustrie ist dafür wirklich bezeichnend. Selbst in meinem eigenen Land, Südafrika, waren deutsche Unternehmen in einen riesigen Korruptionsskandal verwickelt. Das war der Punkt, an dem unsere junge Demokratie korrumpiert wurde. Deutsche Hersteller sind aus verschiedenen Gründen wichtige Lieferanten für Israel. Rüstungsgeschäfte mit Israel kommen ohne Korruption nicht zustande. Saudi-Arabien, ein weiterer großer Kunde, der massive Bestechungsgelder für Waffengeschäfte verlangt, ist ein wichtiger Kunde von Rheinmetall. Rheinmetall ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen als die meisten anderen Unternehmen, indem es den Saudis und insbesondere SAMI, den Saudi Arabian Military Industries, beim Bau von Fabriken geholfen hat, damit sie selbst Waffen produzieren können. Das bedeutet, dass Deutschland Ländern wie Saudi-Arabien, das seit vielen Jahren in den Krieg im Jemen verwickelt ist, effektiv dabei hilft, jegliche Exportkontrollvorschriften zu umgehen. Dadurch ist der Waffenhandel immer gesetzloser geworden.

gfp.com: Wenn man sich die derzeit geplanten Aufrüstungsmaßnahmen der EU ansieht oder die Tatsache, dass Deutschland die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Streitmacht Europas ausbauen will – was bedeutet das für die deutsche Rüstungsindustrie?

Feinstein: Das ist ein enormer Segen für die deutsche Rüstungsindustrie. Die ganze Militarisierung – fangen wir ganz von vorne an. Meine Kollegen und ich haben ein Buch mit dem Titel „Indefensible“ veröffentlicht. Wenn Sie es lesen, werden Sie Folgendes feststellen: 

1. Höhere Verteidigungsausgaben machen uns nicht sicherer. Tatsächlich können sie genau das Gegenteil bewirken. 

2. Höhere Verteidigungsausgaben belasten unsere Wirtschaft – nicht nur das Wachstum, sondern auch die Schaffung von Arbeitsplätzen, da es sich um eine unglaublich teure Methode handelt, um relativ wenige Arbeitsplätze zu schaffen. Die Auswirkungen dieser Aufrüstung oder Militarisierung werden also wirtschaftlich negativ sein.

Auch für unsere nationale Sicherheit und Verteidigung wird die derzeitige Militarisierung keinen großen Unterschied machen. Warum sage ich das? Schauen wir uns nur ein Beispiel an, den F-35-Jet, das teuerste Waffensystem, das je gebaut wurde. Der amerikanische Steuerzahler hat über drei Billionen Dollar für die Produktion dieses lächerlichen Flugzeugs ausgegeben. Laut Luftfahrtingenieuren und dem Generalinspekteur des US-Verteidigungsministeriums ist es ein schlechtes Flugzeug. Wir geben also Milliarden und Abermilliarden unserer neuen Verteidigungsausgaben für Ausrüstung wie die F-35 aus, die uns aufgrund ihrer schlechten Qualität tatsächlich weniger sicher macht. Ich glaube, dass diese ganze Militarisierung stattfindet, weil unsere westlichen Regierungen keine Ahnung mehr haben, wie sie unsere Volkswirtschaften wachsen lassen können. Unsere Volkswirtschaften befinden sich in einem unaufhaltsamen Niedergang. Ich würde behaupten, dass dies daran liegt, dass der neoliberale Kapitalismus auf falschen Annahmen basiert und mittlerweile nutzlos ist. Was die westlichen Regierungen derzeit versuchen, um unsere Volkswirtschaften anzukurbeln, ist im Grunde genommen militärischer Keynesianismus.

gfp.com: Sie glauben also nicht, dass die Angst vor Russland der wahre Grund ist?

Feinstein: Sehen Sie, die Frage ist, wie man das Umfeld für eine Aufrüstung schafft. Man muss sich einen Feind aufbauen. Natürlich war Putin in dieser Hinsicht mit der illegalen Invasion der Ukraine sehr entgegenkommend. Aber diese Vorstellung, dass Putin jetzt eine Bedrohung für Europa ist – ein sehr hochrangiger ehemaliger General in Großbritannien sagte neulich in den Medien, dass Russland in fünf Jahren versuchen würde, Großbritannien zu überfallen, und wir uns daher darauf vorbereiten müssten. Aus geopolitischer und strategischer Sicht ist das Unsinn. Warum? Weil die Ukraine für Putin eine Katastrophe war. Er hat weit mehr Soldaten verloren, als er erwartet hatte. Es hat ihn weit mehr gekostet, als er jemals erwartet hatte. Die russische Wirtschaft steckt in der Flaute. Putins politische Popularität hat einen massiven Schlag erlitten. Russland verfügt weder über die wirtschaftlichen noch über die militärischen Ressourcen, und Putin hat nicht das politische Kapital, um einen weiteren Angriff zu starten. Die Vorstellung, dass Russland Deutschland, Großbritannien oder ein anderes Land angreifen wird, hält einer genauen Prüfung überhaupt nicht stand.

Das basiert auf Mythen. Das ist das Erste. Das Zweite, was man wirklich verstehen muss: Die Ökonomie des Militarismus, die Ökonomie des Waffenhandels als solche kommt unseren Politikern und unseren politischen Systemen zugute. Wenn man sich die Fälle ansieht, mit denen ich mich in meinem Buch „The Shadow World“ befasse, ist Helmut Kohl vielleicht das offensichtlichste Beispiel. Er und Franz Josef Strauß haben ihre politischen Parteien durch eine Kombination aus legalen und illegalen Waffenverkäufen finanziert.

Warum spreche ich von illegalen Waffengeschäften? Wenn ein Land dringend Waffen benötigt, kann man manchmal extrem hohe Preise verlangen. Und wenn man hohe Preise verlangt, was steigt dann? Der Prozentsatz und die Höhe der gezahlten Bestechungsgelder. Es gab einen Waffenhändler namens Karlheinz Schreiber, der aus Deutschland fliehen musste und viele Jahre in Kanada lebte. Schließlich kehrte er nach Deutschland zurück und wurde wegen verschiedener Steuerhinterziehungsdelikte verurteilt. Aber das kommt in Deutschland nicht oft vor, obwohl es ständig viele korrupte Waffengeschäfte gibt.

gfp.com: Also profitieren deutsche Parteien von Bestechung bei Waffengeschäften?

Feinstein: Wie ich in „The Shadow World“ geschrieben habe, hat Schreiber nicht nur der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei, der CSU von Strauss, Geld zur Verfügung gestellt, sondern auch den beiden Politikern persönlich. Deshalb hat Kohl zwei Tage vor seinem Tod noch lautstark verkündet, dass er jeden verklagen werde, der ihn der Korruption beschuldige. Tatsächlich konnte er niemanden verklagen, weil es so viele Beweise für seine tiefgreifende Korruption gab. Das Außergewöhnliche daran ist, dass diese Korruption ein zentraler Bestandteil des politischen Systems in Deutschland ist – genau wie in Großbritannien und vielen anderen Teilen Europas. Angela Merkel ging dabei viel geschickter vor, so wie sie alles geschickter machte als Kohl. Während ihrer Amtszeit spendeten Rüstungsunternehmen kleinere Beträge, die unter der offiziellen Korruptionsgrenze lagen. Im Gegensatz zu Kohl und Strauss glaube ich nicht, dass Merkel persönlich Geld angenommen hat. Ich habe keine Beweise dafür gesehen. Aber große Waffengeschäfte nähren tatsächlich unsere politischen Systeme im Westen. Der Satz des amerikanischen Journalisten Greg Palast trifft zu: „Wir haben die beste Demokratie, die man für Geld kaufen kann.“ Um dieses System aufrechtzuerhalten, braucht man eine ständige Remilitarisierung. Das hatten wir nach dem 11. September. Es muss einen Vorwand dafür geben, und so wurde auch die Ukraine als Vorwand benutzt.

Die Realität ist, wenn man die entsetzliche Rolle berücksichtigt, die Deutschland beim Völkermord in Gaza gespielt hat – die Realität ist, dass die Rüstungsausgaben in Deutschland eher sinken sollten, und zwar rapide. Denn Deutschland hat sich, wie viele andere westliche Länder auch, mit seiner aktiven Beteiligung am ersten live übertragenen Völkermord der Welt blamiert. Das sollte sich auf unsere Haltung zum Militarismus und auf die Höhe der Ausgaben für das deutsche Militär auswirken.

gfp.com: Apropos Gaza – wie abhängig ist Israel generell von Waffenimporten und insbesondere von Waffenimporten aus Deutschland?

Feinstein: Natürlich ist Israel stark von Waffenimporten abhängig. Nehmen Sie zum Beispiel die F-35-Koalition, an der unter anderem Großbritannien und Deutschland beteiligt sind. Großbritannien produziert 15 Prozent jeder F-35. Die Realität sieht so aus: Wenn man die Produktion eines Teils für ein bereits in Betrieb befindliches Flugzeug einstellt, entsteht sofort ein Problem für den Einsatz dieses Flugzeugs, da Teile natürlich ersetzt und gewartet werden müssen. Wenn ein Waffenvertrag beispielsweise für einige dieser Teile abgeschlossen wird, übernimmt der Lieferant die Verantwortung für die Wartung des Systems, für das er als Subunternehmer tätig ist. Wenn ein Land die Lieferung dieses Teils einstellt, kann dies das gesamte System lahmlegen.

Auch das Argument, dass Israel alles, was Deutschland für Israel produziert, auch anderswo bekommen könnte, ist Unsinn. Ich werde Ihnen erklären, warum. Wenn der Westen morgen beschließen würde, ein Waffenembargo gegen Israel zu verhängen, müsste Israel seine militärische Ausrüstung woandersher bekommen. Es gibt nicht allzu viele Optionen – Russland, vielleicht China. Nehmen wir einmal an, Israel würde sich aus rein theoretischen Gründen Russland und China zuwenden. Das Problem ist: Israel verfügt über eine gesamte militärische Infrastruktur, die auf Lieferungen aus Amerika, Westeuropa und Großbritannien basiert. Man kann nicht einfach chinesische und russische Komponenten nehmen und sie in westliche Ausrüstung einbauen. Man kann die Munition, die Raketen und die Bomben, die in westlichen Jets wie der F-35, der F-15 oder der F-16 verwendet werden, nicht durch russische Raketen und Bomben ersetzen. Man müsste wieder ganz von vorne anfangen und die gesamte Hardware und Infrastruktur neu aufbauen. Das würde Jahrzehnte dauern. Die Vorstellung, dass ein Stopp der Waffenexporte nach Israel keine Auswirkungen hätte, ist also falsch. Die USA und Westeuropa könnten den Völkermord morgen beenden.

gfp.com: Aber sie tun es einfach nicht.

Feinstein: Leider fehlt der politische Wille dazu. Die mehr als 60.000 Menschen, die von Israel abgeschlachtet wurden, gehen ebenso in die Verantwortung der USA, Großbritanniens, Deutschlands und anderer europäischer Länder wie in die des israelischen Militärs. Wissen Sie, für mich ist das mindestens der dritte Völkermord Deutschlands. Man sollte meinen, ein Land würde aus seiner Geschichte etwas lernen. Deutschland scheint dazu nicht in der Lage zu sein. Am deutlichsten zeigt sich meiner Meinung nach die Unfähigkeit Deutschlands in der Art und Weise, wie es mit Juden in Deutschland umgeht, die sich gegen den Völkermord in Gaza aussprechen. Als Jude und Sohn eines Holocaust-Überlebenden finde ich das absolut abstoßend. Es schockiert mich, dass Juden in Deutschland von der Polizei zusammengeschlagen werden, weil sie sich gegen das Vorgehen Israels in Gaza aussprechen. Deutschland hat diese völlig verrückte Vorstellung, dass es irgendwie seinen letzten Völkermord, den Holocaust, wiedergutmachen kann, indem es einen weiteren Völkermord durch einige der vermeintlichen Opfer dieses früheren Völkermords unterstützt. Das ist eine Verzerrung von Logik und Vernunft.

Um auf die Frage zurückzukommen: Wenn Deutschland oder ein anderer bedeutender Waffenlieferant ein Waffenembargo gegen Israel verhängen würde, hätte dies unmittelbare und verheerende Auswirkungen für Israel. Und genau deshalb sollten sie es tun.

Original lesen
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/10066

Newsletter bestellen