Die Eidgenossen – eine kleine Einführung
Anlässlich des Schweizer Nationalfeiertags erklärt Paul Hasler auf humoristische Weise, wodurch sich die Eidgenossen besonders auszeichnen und wie man am besten mit ihnen umgeht. Wir wünschen Ihnen einen schönen ersten August!
Normale Staaten haben Bürger, die Schweiz hat Eidgenossen. Diese subtile Erweiterung des gesellschaftlichen Wir-Gefühls mag im ersten Moment nostalgisch, ja reichlich mirakulös anmuten. Doch natürlich wissen wir, dass im ausgehenden 13. Jahrhundert eine erste Task-Force gegen das organisierte Verbrechen – die Habsburger – gebildet werden musste, auf die sich heute das ganze Gefüge der Schweiz abstützt, zumindest mental. Die Schweizer haben nach wie vor den Eindruck, dass sie unverwundbar sind, da während der 700-jährigen alpinen Sozial-Quarantäne immer überlebt haben. Sie haben Erdrutschen, Lawinen, Elefanten und dem Schwerverkehr getrotzt und sind immer noch da. Das ist eine Leistung, wenn man bedenkt, dass bis auf Bergkristalle in der alpinen Ödnis eigentlich nichts wächst.
Die Schwäche der Eidgenossen dagegen besteht darin, dass sie sich immer wieder zurückziehen, wenn es um wichtige Dinge wie Weltkriege oder Europäische Unionen geht. Sie vertreten die Haltung, dass es sich in den meisten Fällen um unausgegorene Konzepte handelt, die zuerst eine mehrhundertjährige Bewährungsphase zu absolvieren haben, um ihren Ansprüchen an Praktikabilität und demokratischer Bodenhaftung zu genügen, womit wir bei einem Thema wären, das viele für das Kernelement helvetischer Harmonie halten, kurz nach dem Käsefondue versteht sich: die Demokratie.
Diese ist in der Tat eine erstaunliche kulturelle Blüte, die hier in einer Version gepflegt wird, die jedem Diktator oder Hobby-Despoten den Schweiss in den Nacken treibt. So sind die Eidgenossen befugt, irgendeine Forderung zu stellen, auf dass diese dem ganzen Volke vorgelegt werden muss, lächerliche 100'000 Unterschriften vorausgesetzt. Diese werden in der Regel schnell erreicht, da die Schweizer aufgrund der hohen Berge noch immer keinen Fernsehempfang haben und froh um jede Art gesellschaftlicher Themenbildung sind. So stimmt man denn ab über Kuhhörner, Zweitwohnungen, Kirchturmspitzen, richtige und falsche Ausländer und ein paar weitere Details des gesitteten Zusammenlebens.
Bereist man heute die Schweiz, erkennt man, mit welcher Hingabe die Eidgenossinnen und Eidgenossen trotz ihrer schwierigen Ausgangslage eine Art Normalität anzubieten versuchen. Sie bemühen sich, Gästen in einer dem Deutschen recht ähnlichen Schriftsprache kommunikativ nahe zu treten. Sie fahren zudem rechts, haben ebenfalls das Grün als Farbe der freien Fahrt bei Ampeln anerkannt und schenken neben Vollmilch an Tankstellen auch Benzin aus. Muss man sich verbal mit ihnen austauschen, wird es etwas kniffliger. Die Sprache ist auf dem Stand der mittelhochdeutschen Gaumenverschiebung stehengeblieben, versetzt mit französisch und italienisch anmutenden Bruchstücken, die man damals einbaute, um die Nachbarländer milde zu stimmen, nachdem man sie mit inzwischen verbotenen Kampfmethoden demoralisiert hatte. Auch die Flagge weist mit ihrer quadratischen Form von der Norm ab und soll Gerüchten zufolge aus der Kombination von vier Sackgasse-Schildern entstanden sein, Symbol für das jähe Ende praktisch aller Strassen im Alpenraum.
Was nun wirklich Dichtung und was Wahrheit ist, wissen die Schweizer selbst nicht mehr so genau. Sie erinnern sich, dass es diesen Schwur gab, der damals zur Gründung einer genossenschaftlichen Selbsthilfeorganisation geführt hat, sehen sich aber keinesfalls als Vorläufer des Kommunismus. Sie haben im Gegenteil den Eindruck, dass bei ihnen eine Art veredelter Anarchismus am Werke sei, den sie liebevoll als «gesunden Menschenverstand» umschreiben und sich damit über so Einiges hinwegsetzen, was in den 700 Jahren nach besagtem Nieselregen als zivilisatorische Errungenschaft in Europa Einzug gehalten hat.
Das Ganze könnte als Happy-End in die Geschichte eingehen, wären die lieben Voralpenpatrioten nicht dieser unschönen Droge anheim gefallen, die bei ihnen praktisch legal gehandelt und in Massen verfügbar ist: Geld. Anfangs neben Ovomaltine als Stärkungsmittel verabreicht, entwickelte «Geld» bald irreversible Nebeneffekte wie Selbstüberschätzung und Herzträgheit. Zwar hat man inzwischen Strategien gegen diese Substanz entwickelt, doch darf der Kampf noch lange nicht als ausgestanden gelten. Drogenberatungsstellen im ganzen Land motivieren die Menschen, ihr Geld sicher anzulegen und es so dem Konsum zu entziehen. Man spricht gar von Tiefenlagern, wo diese Droge verwahrt werden soll, zu inerten Barren verschmolzen und vor Zugriff geschützt. Am besten meidet man das Thema, gibt den Schweizern aber auch nicht ständig das Gefühl, teuer zu sein. Man muss sie nehmen, wie sie sind.
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