«Du musst nicht perfekt sein»

Aus dem Podcast «5 Minuten» von Nicolas Lindt.

«Das Plakat am Strassenrand weckt meine Aufmerksamkeit» / © Nicolas Lindt

Ein Plakat am Strassenrand weckt einmal mehr meine Aufmerksamkeit. Es ist Teil einer Kampagne, doch die Botschaft ist immer die gleiche. Auf dem Plakat ist eine lächelnde junge Frau abgebildet, und daneben heisst es in grosser Schrift: «Du musst nicht perfekt sein, um das Klima zu schützen» – und, etwas kleiner: «Weniger fliegen hilft schon viel.»

Das Plakat stammt vom WWF, verweist auf weitere «Klimatipps», die man sich beim WWF holen kann – und hinterlässt auch bei mir ein Lächeln, weil es so freundlich ist, so bescheiden. Es verzichtet auf den alarmierenden, drohenden Ton, der den Klimaschützern sonst eigen ist, wenn sie das unaufhaltsame Schmelzen des arktischen Eises anprangern, das Aussterben ganzer Tierarten und die Unbewohnbarkeit ganzer Gegenden prophezeien und geradezu propagieren, dass das Klima zusammenbrechen und die Welt untergehen wird.

Die WWF-Plakate dagegen schlagen einen anderen Tonfall an, der nicht die Apokalypse heraufbeschwört und nicht Angst machen will, sondern einfach nur ein paar Tipps gibt. Hinter der sympathischen Botschaft jedoch steht nicht etwa die Einsicht, dass noch Hoffnung besteht, weil vielleicht doch nicht alles so schlimm ist. Die professionellen Klimaschützer beim WWF und auch alle anderen Klimaretterinnen und -retter wollen uns noch immer beglücken mit ihrem Ökostaat, der uns vorschreibt, wie wir zu leben haben. Sie finden noch immer, dass wir im Grunde zu dumm sind, um ihrem Kampfruf zu folgen. Sie glauben uns deshalb erziehen zu müssen.

Aber sie haben inzwischen gemerkt, dass sie damit nicht durchkommen. Nachdem das Volk das CO2-Gesetz abgelehnt hat und auch sonst nicht bereit ist, jeden Flugverzicht, jede Autoverteufelung, und jedes geplante Windrad auf unseren Bergen widerspruchslos zu schlucken, müssen die Klimaretter eine andere Strategie fahren, um ihre politischen Ziele und Ambitionen zu sichern. Vor allem die eher ländliche, eher nicht-akademische Jugend lässt sich von der mediengemachten Panikstimmung nicht so leicht überzeugen. Deshalb haben die Marketingleute beim WWF offensichtlich beschlossen, eine sanfte, nicht-autoritäre Kampagne zu fahren und von den uneinsichtigen jungen Menschen kein kompromissloses Handeln zu fordern, sondern sie damit zu ködern, dass schon ein bisschen weniger Fliegen mithelfen kann, den Klimakollaps ein bisschen hinauszuzögern.

Die nette Werbeaktion dient auch dazu, das immer etwas verkrampfte und aggressive Image der Klimaschützer aufzupolieren. Du musst nicht perfekt sein, schmeicheln die Werber vom WWF, wir sind es doch auch nicht. Niemand ist perfekt. Wir tun doch nur unser Möglichstes. Jede Spende hilft.

Aber ich höre noch eine andere, unfreiwillige Botschaft aus den Plakaten heraus. Wäre nämlich das Fortbestehen der Welt wirklich so ernsthaft bedroht, wie uns die Klimalobby weismachen will, dann gäbe es keine solche Plakataktion. Dann müssten die Klimaretter sich bei den Jungen nicht anbiedern. Dann wüsste die junge Generation auch ohne Werbekampagne, wie ernst es um die Welt steht. Wenn ein Problem nicht künstlich erzeugt, sondern echt ist, wenn keine Berechnung dahintersteht, keine politische Absicht, sondern existentielle Befürchtung und berechtigte Angst, dann muss ich nicht überredet werden, dann glaube ich, was ich lese, weil ich es selbst erlebe.

Das war bei Corona schon so. Ich habe die Panikmache nicht schlucken können, weil ich spürte und sah, dass die reale Gefahr nicht so tödlich war, wie man uns einreden wollte. So ging es vielen, sehr vielen Menschen – so ging es auch der jungen Generation. Die meisten haben die Massnahmen nur befolgt, um vom Leben nicht ausgeschlossen zu werden. Sie haben mitgemacht, weil sie mitmachen mussten. Freiwillig hätten sie weitergelebt so wie vorher.

Das Bundesamt für Gesundheit hätte vom WWF einiges lernen können. Es hätte lernen können, wie man Jugendliche am überzeugendsten einseift: «Du musst nicht perfekt sein, um dich und andere wirksam zu schützen. Ein wenig Maske tragen hilft schon viel.» «Ein bisschen Impfen hilft schon viel.» «Ein bisschen gehorchen hilft schon viel.» Nicht mit dem Schlimmsten drohen. Gelassen bleiben. An die Freiwilligkeit appellieren. Jede Spende hilft. So versucht es der WWF. Die Klimaschützer haben dazugelernt.

«Du musst nicht perfekt sein, um das Klima zu schützen.» Trick 17 mit Anschleichen. Doch allen Tricks geht es irgendwann gleich. Sie werden durchschaut.

Nicolas Lindt publiziert den Podcast «5 Minuten» drei Mal wöchentlich montags, mittwochs und freitags – Gedanken, Beobachtungen, Geschichten. Zu finden auf Facebook, Spotify, iTunes oder direkt auf der Webseite von Nicolas Lindt.

Über

Nicolas Lindt

Submitted by admin on Di, 11/17/2020 - 00:36

 

Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.

Soeben erschienen: «Heiraten im Namen der Liebe» - Hochzeit, freie Trauung und Taufe: 121 Fragen und Antworten - Ein Ratgeber und ein Buch über die Liebe - 412 Seiten, gebunden - Erhältlich in jeder Buchhandlung auf Bestellung oder online bei Ex LibrisOrell Füssli oder auch Amazon - Informationen zum Buch

Weitere Bücher von Nicolas Lindt

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