«Einfach mal für 20 Sekunden mutig sein»

Simone Fuston ist Schauspielerin und hat mit dem Stück «Zwei wie Bonnie & Clyde» wieder Fuss in ihrem Metier gefasst. Somit stellte sich die Coronakrise für die Künstlerin als Chance heraus. Sie fand den Mut, endlich das zu tun, wofür sie sich berufen fühlt. In unserer Serie «Was ist aus uns geworden?» gewährt sie einen Einblick in ihr neuestes Bühnenstück.

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Zeitpunkt: Wie hat sich Ihr Arbeitsumfeld seit der Coronakrise verändert? 

Simone Fuston: Ich habe mich dazu entschieden, wieder ganz in der Schauspielerei aufzugehen. Meinen sicheren Job gekündigt, arbeite ich nun an meinem neusten Stück. Nebenbei jobbe ich, um die monatlichen Rechnungen zu begleichen. Den Rest der Zeit investiere ich in mein Stück, und in den Kunst- & Kulturverein «Alte Schreinerei» in Walzenhausen.

Wie geht es Ihnen heute?

Mir geht es heute besser als noch vor zwei Jahren. Die Coronakrise - mit all ihren Facetten - hat mir klar aufgezeigt, auf welcher Seite ich stehe, wo ich persönlich im Leben stehe und wohin ich noch will. Und so viele Herzensmenschen zu kennen, kann doch nur gut sein! Wir sind inzwischen viele und ich weiss: Egal, was kommen wird, wir stehen zusammen.

Welches Erlebnis der letzten zwei Jahre war für Sie einschneidend?

Dank der Bekanntschaft mit Carlo Himmel - ebenfalls Schauspieler – spürte ich wieder deutlich, wohin ich gehöre. Er nahm mich an die Hand und zeigte mir den Weg zurück auf die Bühne. Gemeinsam spielten wir das Stück «Zwei wie Bonnie & Clyde». Diese Begegnung hätte es wohl ohne die Coronakrise nicht gegeben. 

Welche Hoffnungen und Sorgen haben Sie für die Zukunft?

Für die Zukunft habe ich die Hoffnung, dass noch mehr Menschen beginnen, die Dinge zu hinterfragen. Unabhängig von der Politik sollten wir nicht zu faul sein, um uns zu informieren. Ich hoffe weiter, dass wir alle mit offenem Herzen durch die Welt gehen, einander kennenlernen und uns vernetzen.

Wie alle anderen mache auch ich mir Sorgen: Was bringt uns die Zukunft? Was ist, wenn ich es nicht schaffe, mein Stück auf die Bühne zu bringen, weil im Herbst wieder etwas Neues passiert? Für mich persönlich habe ich die Entscheidung getroffen, mich nicht von diesen Sorgen beherrschen zu lassen. Die ständige Angst vor der Zukunft bringt uns nicht voran. Im Gegenteil: Sie lähmt den kreativen Prozess und das persönliche Vorankommen.

Welches Stück bringen Sie als nächstes auf die Bühne?

Ursprünglich sollte es wieder eine Komödie werden. Das wurde mir ans Herz gelegt, damit jeder was zu lachen hat. Doch innerlich sträubte ich mich dagegen. Ich hatte nicht das Bedürfnis, eine flachwitzige Komödie auf die Bühne zu bringen.

Ich entschied mich, ein ernsthaftes Stück einzustudieren. Dieses hatte ich schon vor der Krise auf meinem Tisch liegen, weil es mich seit jeher angesprochen hat. Also war ich mal für 20 Sekunden mutig und habe mein Herz entscheiden lassen.

Welche Geschichte erzählt Ihr neues Stück?

Das Stück basiert auf dem Leben der fränkischen Serienmörderin Anna Margaretha Zwanziger. Eine Frau, die nicht per se als Monster oder als böser Mensch dargestellt werden kann. Vielmehr geht es darum, aufzuzeigen, wie aus einem Waisenkind eine Mörderin wird. Eine Freidenkerin, die in einer vom Patriarchat geprägten Gesellschaft aufwächst, ohne Bezugspersonen, die ihr den Weg weisen. Das Stück geht der Frage auf den Grund, was ein Mensch dazu bringt, schreckliche Dinge zu tun.

Der Zuschauer begleitet Anna von Kindesbeinen an, bis zu ihrem unausweichlichen Gang zum Schafott. In ihren Bann gezogen wird er zu Annas Mitwisser, Verbündeten und Vertrauten. Dabei stehen folgende Fragen im Raum: Schuldig oder nicht schuldig? Wie viel Schuld trägt sie selbst, und wie viel die Gesellschaft?

Heute feiern wir Gleichberechtigung und Individualität auf allen Ebenen. Sind wir aber tatsächlich gleichberechtigt oder reden wir nur davon? Wo genau steht unsere Gesellschaft? Gewichten andere unseren Einsatz für die Gemeinschaft gleich hoch, wie wir es selbst tun? 

Parallelen zum Stück lassen sich noch heute ziehen: Unterdrückung, fehlende Gleichberechtigung und eine chancenlose Kindheit sind als prägende Faktoren damals wie heute aktuell, inmitten aller Genderfragen. Es geht aber nicht nur um die Geschlechterfrage, sondern um Anerkennung und Akzeptanz; eine Frage der Menschlichkeit schlechthin. Es ist ein Stück, das Raum für Diskussionen lässt und das Publikum zum Nachdenken anregt.  

Schweizer Uraufführung: 1. Oktober 2022, alte Schreinerei, Walzenhausen

Weitere Daten
15. & 16. Oktober 2022, Theater 111, St. Gallen
5. & 6. November 2022, Kanton Thurgau
11. Januar 2023, Keller 62, Zürich

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