Europa und China: Business oder Frieden

Der jüngste gemeinsame Chinabesuch der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat – auf jeden Fall in Europa – zu einem mittleren politischen Erdbeben geführt.

Karikatur von Liu Rui, einer chinesischen Cartoonistin der Global Times (C)

Der politische und auch der mediale Mainstream war sich darüber weitgehend einig, dass Macron, der von einer grossen Wirtschaftsdelegation begleitet worden ist und auch ausführliche Gespräche über die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen geführt hat, den langfristigen politischen Interessen Europas geschadet hat. 

Von der Leyen, die auf ihrem Weg nach Peking noch rasch einen Zwischenstop in Washington eingelegt hat (wozu eigentlich?), habe die kritische Menschenrechtssituation, die allzu russlandfreundliche Haltung im Ukrainekrieg und auch die Drohgebärde gegenüber Taiwan klar angesprochen und damit die Haltung der EU gegenüber dem Konkurrenten China in der nötigen Weise zum Ausdruck gebracht. 

So liest es sich in nahezu allen europäischen Medien. Ein derartig einheitliches mediales Lob für Von der Leyen ist tatsächlich ungewöhnlich. Dass offensichtlich auch die chinesische Seite den beiden europäischen Gästen unterschiedliche Bedeutung beigemessen hat, hätte man möglicherweise durch eine bessere Vorbereitung der Reise erkennen und korrigieren können. 

Dass es in der EU – im Gegensatz zu der immer wieder gebetsmühlenartig betonten Einigkeit – in manchen geopolitischen Fragen durchaus unterschiedliche Meinungen gibt, ist evident. Dass beispielsweise die Kriegsführung in der Ukraine, die Abqualifizierung aller friedenspolitischer Aktivitäten und auch die immer schwieriger werdenden sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen auf die grosse Mehrheit der Menschen in Europa von denselben nicht so bedingungslos wie von der politischen Führung goutiert werden, wird geflissentlich übergangen, leider auch von den meisten Medien. Und diese Skeptiker als Putinversteher zu diffamieren, ist ein zu einfaches sich in den Sack-Lügen.

Es ist daher meiner Meinung nach auch höchst bedauerlich, dass in den europäischen Kommentaren der letzten Tage kaum darauf Bezug genommen worden ist, dass Präsident Xi Jinping und Präsident Emmanuel Macron ausführlich auch über geopolitische Fragen gesprochen haben. Genauere Details kann man dem eindrucksvollen 51 Punkte umfassenden Joint Statement entnehmen. Dort werden Bereiche wie Frieden (auch in der Ukraine), Völkerverständigung, Aufwertung der Vereinten Nationen etc. erwähnt. 

So wäre alleine die Formulierung des Punktes 7 des Dokumentes es wert gewesen, beachtet zu werden: «Als permanente Mitglieder des UN-Sicherheitsrates.... glauben wir, dass Differenzen zwischen Staaten friedlich durch Dialog und Konsultationen gelöst werden sollen und wir erwarten eine Aufwertung des multilateralen internationalen Systems mit der UNO im Mittelpunkt einer multipolaren Welt.» 

Es wäre meiner Ansicht nach eigentlich die Aufgabe der EU-Kommissionspräsidentin gewesen, sich auch zu derartigen wichtigen globalen Fragen zu äussern. Möglicherweise fand Derartiges im mit Washington abgestimmten Manuskript keinen Platz.

Man kann zu manchen Forderungen und Stellungnahmen Macrons stehen wie man will, aber er ist – durchaus in einer seit Jahrzehnten bekannten französischen Tradition – einer der Wenigen, der sich für eine eigenständige und aktive europäische Politik einsetzt. Das entspricht auch eher der europäischen Tradition der 70er und 80er Jahre als die gegenwärtige USA-Anhänglichkeit.

In der Beilage (s.u.) befinden sich eine Reihe von Berichten und Kommentaren, darunter auch das von mir bereits zitierte Joint Statement. Man sollte dieses lesen und sich dann eine Meinung machen, wer Europa in der Welt geeignet vertritt.


Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur von INTERNATIONAL - Zeitschrift für Internationale Politik
Quellenstrasse 2C
1100 WIEN


Links:

www.politico.eu/article/china-xi-jinping-france-emmanuel-macron-call-pe…

www.politico.eu/article/europe-warming-up-to-macrons-strategic-autonomy…

www.politico.eu/article/emmanuel-macron-china-america-pressure-intervie…

http://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/statement_23_2147

http://lostineu.eu/macron-bekommt-pruegel-aus-deutschland/

www.nachdenkseiten.de/?p=96241#more-96241

www.tellerreport.com/news/2023-04-07-joint-statement-of-the-people-s-re…