«Für den Putinversteher schreiben.» Oder: Wie die Pandemie uns fast trennte.

Corona trennte Familien, Paare, Freunde. Corona? Nein, es war die unterschiedliche Meinung über die Pandemie und die Massnahmen. Dieser Journalistin ging es nicht so. Sie und ihr Partner schafften es, ihre Beziehung trotz unterschiedlicher Meinungen zu vertiefen.

«Das Wunder geschah im Küssnachter Tobel.» Foto: (C) Samia Guemei

An der Gewissenhaftigkeit, wie du dir im Vorraum der Rezeption die schwarze Maske über das Gesicht zogst, erkannte ich: Du bist einer von ihnen. Er ist also einer von ihnen. Mein Herz sank ein kleines bisschen. Nacheinander gingen wir in das kleine Rezeptionsbüro, um zu zahlen. Du mit dem Nasen-Mund-Schutz. Ich mit Gesichtswindel. Als wir unter freiem Himmel standen, liebkosten wir uns. Der mehrtätige Tanzworkshop, an dem wir uns kennengelernt hatten, war zu Ende. Unsere Wave um Zuneigung und Spaltung sollte beginnen. Es war Juli 2021. 

Ich träumte davon, wieder journalistisch tätig zu sein. Du fandest das famos. Bis ich sagte, dass ich am liebsten für Roger Köppel von der «Weltwoche» schreiben wollen würde. 

«Was!», schriest du, «für den möchtest du schreiben? Für den Putinversteher, den Rechten, den Rechtsextremen?»

Es war Ende August 2022. Nach einer vierwöchigen Trennung im Hochsommer waren wir wieder, was wir immer waren, verliebt. Und verfeindet.

«Du möchtest gar nicht schreiben, du möchtest Köppels Handlanger sein, damit er seine Ideologie verwirklichen kann. Du bist eine Ideologin, du denkst nicht, du verbreitest einfach Ideologien! Und dann geht ihr hin und schreit Freiheit. Ihr tut so, als ob ihr die einzigen seid, die die Verfassung verteidigen. Ihr stellt euch über die anderen. Und du bist ja eine, die andere verstösst. Und die Nazis haben die Juden auch verstossen. Ihr denkt, dass ihr besser seid, ihr denkt, dass ihr die einzigen seid, die die Verfassung kennen. Ihr seid so etwas von verblendet! Und dann gibt es welche mit Plakaten: Schlaf nicht mit Geimpften. Und solchen Leuten möchtest du als Steigbügelhalter dienen!

«Jetzt ist genug! Ich schlaf doch mit dir, hey, auf welchem Planeten lebst du!

«Aber ich habe Angst, dass du extremer wirst, dass du in ein Fahrwasser gerätst, wo du dich radikalisierst.»

«Das ist doch alles Blödsinn. Du unterstellst mir, ein Nazi zu sein. Das ist frech. Du hast null Vertrauen in mich. Das ist doch das allerletzte. Und sowieso, ich habe mich schon tausendmal entschuldigt, dass ich dich im Sommer verlassen habe. Ich bin doch kein Nazi, weil ich mich für vier Wochen von dir getrennt hatte. Was soll der Scheiss!»

Jetzt schrie ich auch. 

«Schau dich an, wie du schreist, du hast dich überhaupt nicht im Griff», sagtest du mit sanfter Stimme. 

Er ist also doch Narzisst, dachte ich. 

Das war vielleicht April 2022. Eigentlich hätte ich im Sommer mit meiner Tochter und ihrem Freund eine Woche Ferien in Griechenland verbringen wollen.

«Was, das erstaunt mich jetzt schon sehr, dass der Freund mit dir Ferien machen möchte. Du bist ja sozusagen seine Schwiegermutter. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen, mit meiner Schwiegermutter in die Ferien zu gehen.»

Daraufhin sagte ich die Suche nach einer Bleibe auf eine der griechischen Inseln ab. Ich sah noch das Erstaunen in den Augen meiner Tochter.

«Ich gehe doch mit Felix tanzen», schob ich nach.

Später, als du im Juni von dem gemeinsam gebuchten Tanzkurs mir nichts, dir nichts zurücktratst, weil du doch lieber improvisieren als tanzen wolltest, weil du endlich deinen Willen spürtest, nicht wie so oft in deinem Leben – erklärtest du – nicht wüsstest, was du wirklich wolltest, nein, jetzt spürtest du deinen eigenen starken Willen. Genau dieser Kurs müsse es sein. Da warf ich dir vor, dass du mir die gemeinsamen Ferien mit meiner Tochter verdorben hattest. 

«Was, es war überhaupt nicht meine Absicht, dich von den Ferien mit deiner Tochter und ihrem Freund abzuhalten. Ich sagte nur, dass mich das erstaunt, dass Oliver mit dir Ferien machen möchte. Ich finde es wunderschön, dass du so gut mit den beiden auskommst.»

Ich war traurig, dass wir nun doch nicht dorthin zurückgehen würden, wo alles angefangen hatte. Der gleiche Ort, der See, dieselbe Kursleitung. Und wir, schon ein Jahr zusammen. 

«Die anderen sind mir egal», sagtest du, «und wir machen ja noch gemeinsam Ferien in Sizilien».

Ich weinte. 

«Du trotzt herum. Du kannst nicht aus der Situation heraustreten.»

«Ich bin einfach enttäuscht», sagte ich.

«Sprich doch von deinen Gefühlen. Gib doch zu, dass du trotzt! Tritt doch mal einen Schritt zurück!»

Ich wusste nicht, wie mir geschah und googelte nach «Verletzung der psychischen Integrität». Ein paar Youtube-Videos später hatte ich das Geheimnis gelüftet: Du warst Narzisst. Und was für einer!

Der einhellige Ratschlag der Netzpsychologinnen lautete: No Contact. Sofortiger Beziehungsabbruch.

«Der Narzisst möchte dich kontrollieren. Er möchte deinen Willen auslöschen. Er ist einmal liebevoll, dann wieder kalt und berechnend, was dich abhängig macht. Du bist wie ein Gegenstand für ihn. Du sollst ihm zu Willen sein. Gerade, weil du stark und unabhängig bist, wählt dich der Narzisst aus, um dich klein und gefügig zu machen. Er manipuliert dich und streitet es ab. Er provoziert dich, damit du herumschreist, um dann mit dem Finger auf dich zu zeigen. Schau dich doch an, du kannst dich nicht beherrschen.»

Der einhellige Ratschlag der Netzpsychologinnen lautete: No Contact. Sofortiger Beziehungsabbruch.

Ich verliess dich per WhatsApp. Und diktierte dir, bis wann du mir meinen Hausschlüssel postalisch zuzuschicken hattest. Auf deine Nachrichten und Telefonate antwortete ich nicht.

Nach ungefähr zwei Wochen hatte ich gefühlt alle Filme, Podcasts und Hörbücher zu den Abgründen von Narzissten geschaut und gehört. Es waren Sommerferien. Ich war alleine in Sizilien, wo wir unseren Urlaub im Haus deiner Mutter auf den ionischen Inseln hätten verbringen wollen. Du reistest in das Haus. Ich nahm irgendwo weit weg von dir eine Wohnung Es war bestialisch heiss. Ich verliess meine kleine Wohnung nur für ein paar Schwimmzüge im Meer und gegen Abend für lange Spaziergänge durch die nahe Stadt. Ich fand, ich müsste lernen, endlich alleine zu sein.

Die Youtube-Narzisstentherapeutinnen hatten angeraten: Mindestens ein Jahr Pause bis zur nächsten Beziehung. Verboten waren auch Dating und Gelegenheitssex. 

Wenn der Schmerz kam, atmete ich ihn durch. Es ging, dachte ich, es ging: Ich konnte dich wegatmen. Das Wasser schwappte über meine Füsse, stieb oft bis zu meinen Oberschenkeln, die im Sand einsanken, während ich entlang des Saums zwischen Land und Wasser schwankte. Die Wellen machten es mir vor. Den Schmerz zulassen. Und loslassen.

Durch mein Auditorium – Lektüre kann man zu Hörbüchern ja schlecht sagen – kam ich allmählich zum Gegenpart der Narzissten. Ich erkannte, wes Kind ich war. 

Ich war liebessüchtig. Ich existierte nur, wenn ich begehrt wurde. All mein Wesen war darauf ausgerichtet, zu gefallen. Ich überliess dem andern kampflos das Feld, nur um mit ihm in Kontakt zu sein. Ich wollte mit dem anderen verschmelzen. Ich hatte riesige Verlustängste. Ich war dem andern zu Gebote. Ich schlüpfte in ihn hinein. Hauptsache, ich spürte mich nicht mehr. Ich war das perfekte Opfer der Narzissten. Fantasien quälten mich, wie du dich mit anderen Frauen vergnügtest.

Zurück in der Schweiz schwamm ich stundenlang in der Limmat. Klatschte meine Arme ins Wasser. Ich hätte dir doch erklären sollen, wieso ich dich verlassen hatte. Besser erklären. Ich hätte dir schreiben müssen, dass ich mich unverstanden gefühlt habe. Ich ging unseren kurzen Whatsapp-Wechsel durch. 

«Ich fasse es nicht», hattest du geschrieben, «du machst tatsächlich Schluss per Whats’app. Wieso nimmst du das Telefon nicht ab? Wieso möchtest du nicht mit mir sprechen? Fühlst du dich mir unterlegen?»

No Contact. Ich presste meinen Kopf in den stillen Fluss. Die Bäume ruckelten langsam an mir vorüber. Ich schwamm immer bis zur Stelle, an der wir vor dem Bruch nackt miteinander gebadet hatten. 

Jeden Tag focht ich den heldenhaften Kampf. Jeden Tag entstieg ich siegreich dem Bad. Als du dich nach vier Wochen meldetest, war Widerstand zwecklos. Ich weinte stossweise und heftig, als wir uns endlich wieder in den Armen lagen. Zunächst wähnte ich, dass ich nun besonders gut mit Narzissten konnte. Du verlangtest von mir, dass ich Argumente liefern müsse, wieso ich mich so sang- und klanglos von dir getrennt hatte. Ich hatte plötzlich keinen Appetit mehr.

«Du bist nicht im Herzen, Felix». Wir hatten am schmalen Ende des «Fischerinnen» einen Tisch erhalten, so nahe am Zürichsee, dass wir uns unbemerkt hätten hineingleiten lassen können. Du schautest mich an. «Zum ersten Mal verstehe ich, was du meinst, wenn du sagst, ich verletze dich.»

Ich war einer Schimäre erlegen. Mein Unvermögen, mit dir im Dialog zu bleiben, hatte mich in die Arme von Detektivinnen toxischer Männlichkeit getrieben. Der zweite Honeymoon stand dem ersten in nichts nach, bis ich schreiben wollte. Für Köppel.

Das Wunder geschah im Küssnachter Tobel. Es war ein Nachsommer wie aus dem Buche, seidige Wärme. Wir hatten uns eine Woche lang nicht gesehen, weil ich fand, ich lasse mich nicht als Nazi beschimpfen. Und da ich leibhaftig erfahren hatte, dass eine Trennung von dir keine Option war, mussten wir gemeinsam über den Jordan setzen. Schon im Tram, das uns zum Ausgangspunkt unserer kleinen Wanderung bringen sollte, plauderte ich, die ich eigentlich zur Zuhörerin geboren wurde, munter drauflos. Ich sei an einem Schwurbleranlass gewesen, sagte ich. Eine Pharmazeutin habe über den Geburtenrückgang referiert, der statistisch genau mit den Impfquoten in den jeweiligen Kantonen korreliere. Ein nichtkonformer Journalist habe sich darüber lustig gemacht, dass Medienleute heute jeden Tag Gott, Buddha, das Universum oder ihre Gatten darum anflehen, nicht plötzlich eine eigene Meinung zu haben. Und dass er vor drei Jahren nicht gedacht habe, dass er einst stolz darauf zu sein, als Rechtsextremer zu gelten. 

«Ich verstehe dich einfach nicht; du hast doch früher Kommunikation für die Grünen gemacht!»
«Die Pandemie und der Ukrainekonflikt», antwortete ich, «haben mir aufgezeigt, wer wirklich für Freiheit und Frieden eintritt.»

Du hattest eine denkbar ungünstige Route ausgewählt. Wir waren auf dem ganzen Weg umschwärmt von Sonntagsfamilien. Zudem verlief der Weg anspruchslos und reizlos auf geteerten Wegen zwischen Gärten und abgeernteten Feldern mit gebrochener Krume. Im Wald stellte ich mich auf einen Baumstamm und verkündete: «Ich bin so, ich bin so. Ich werde recherchieren. Ich akzeptiere die Regierungsmeinung nicht. Ich brauche andere Quellen, zu denen mich mein Zweifel an der Richtigkeit der Regierungsmeinung treibt. Journalisten werden totgeschwiegen! Ihnen werden die Bankkonten gesperrt, nur, weil sie es wagen, Statistiken zu Impfschäden zu publizieren oder die 2G-Regeln in Frage zu stellen.»

Ich hätte dir das alles lieber im Sitzen gesagt. Aber du hieltest das Innehalten nicht aus. Auf einem Bänklein bei einem Weiher sankst du in dich zusammen. Du fühlst dich willenlos wie ein Baby, sagtest du. Ich küsste dich leicht auf die Wange. Schwieg ein bisschen.

Ich hatte dich schon einmal so erlebt. Damals im Winter 2021 verabschiedeten wir uns streitend am Bahnhof. Du wolltest, dass Impfgegner freiwillig auf ein Intensivbett verzichteten. Ich drosch mit Argumenten auf dich ein. Und die Dicken und die Raucher, die sollen auch auf das Intensivbett verzichten? Und wo sind die Studien, die beweisen, dass die sogenannte Impfung wirklich zu milderen Verläufen führ? Und wenn ich einen Autounfall habe, soll ich also keine Intensivpflege erhalten. Am anderen Ende schwiegst du. Die Leitung war tot. Als ich dich, zuhause angekommen, endlich erreichen konnte, sagtest du, du fühltest nichts mehr, du könnest fast nicht mehr sprechen. 

Damals entschuldigte ich mich für mein Argumentensalve. Aber an diesem Nachsommertag entschuldigte ich mich nicht.

«Du kannst mich nicht abhalten, in der Weltwoche zu publizieren. Ich mache nichts Unrechtes. Ich bin kein Nazi», sagte ich sanft und küsste dich noch einmal auf die Wange. Wie ich deinen Geruch nach Heu liebte. Genauso wie das Kratzen deines Dreitagebartes.

«Ich möchte gehen», sagtest du.

«Du möchtest dich von mir trennen?», fragte ich.

«Nein, ich halte das Sitzen nicht aus. Bewegung tut mir gut.»

Wir gingen Hand in Hand.

Ich glaube, ich sagte es wieder, dass ich es meinem Gewissen verpflichtet bin, hinter die Kulissen zu schauen, weil ich schreiben kann. «Ich verstehe nicht», führte ich aus, «wieso Journalisten mit Gynäkologen sprechen und den Geburtenrückgang nicht thematisieren. Sie brauchen die Impfung ja nicht zu erwähnen. Aber es ist ihre Pflicht, Statistiken zu lesen und grosse Abweichungen zu den Vorjahren ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. 20 Prozent und mehr Rückgang. Das ist seit 100 Jahren nicht mehr geschehen!»

«Die Coronazeit war ja auch stressig gewesen. Ich hätte dann vielleicht auch keine Lust aufs Kindermachen gehabt», warfst du ein. 

«Das kann sein», erwiderte ich, «aber trotzdem hätte diese Journalistin, die mit dem Gynäkologen vor allem über sexuelle Übergriffe auf dem Untersuchungsstuhl sprach, den Geburtenrückgang thematisieren müssen.»

Immer wieder galt es, den Vorübergehenden ein freundliches Grüezi zuzunicken. Ich führte dich zu einem Holzstamm, setzte mich. Du standest vor mir.

«Du kannst mich nicht ändern», sagte ich, «ich werde immer weiter forschen und meinen Gefühlen und meinem Gewissen vertrauen.»

«Aber ich habe Angst, dass du dich radikalisierst.»

Ich strich rasch über die Linie zwischen deinem Bauch und deinem Herz hin und her und lachte:

«Oh, das überlass ich dir. Wenn du unbedingt ein Übermass an Cortisol ausschütten und Angst haben möchtest. Das ist deine Entscheidung.»

Wir liefen weiter. Endlich wurde unsere Route zu einem Tobel, wo sich Weg und Bach überlagerten. Das Wasser floss bald tief unten, bald ebenerdig dahin, sprang bald über Klippen und bildete bald kleine Seelein, wo der Pfad steinig und steil wurde. Wieder zog ich dich auf ein Bänklein. Diesmal rauschten der Bach und ein Brunnen laut genug. Wir konnten, ohne belauscht zu werden, miteinander sprechen, auch wenn links und rechts von uns fast alle Bänke besetzt waren. 

«Ich muss schreiben», sagte ich, «ich fühle mich verpflichtet, meine Stimme zu erheben.»

Und plötzlich, wie wenn es dir der Leiter in einem systemischen Familienstellenseminar vorgesagt hätte, plötzlich flüstertest du mir ins Ohr: «Ich werde dich lieben, was immer du machst. Ich liebe dein Wesen. Ich werde hinter dich stehen, was immer du schreibst.»

Samia

Samia Guemei, 1963, ist Journalistin, Primarlehrerin und Mitglied vom Lehrernetzwerk 

18. Dezember 2022
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