3 Fragen an Zukunftsforscher Franz Nahrada

Wir wollen noch mehr wissen: Im dritten und letzten Teil des Interviews mit dem Globalisierungsphilosophen, Digital-Aktivisten, Netzwerker und Zukunftsforscher erfahren wir, wie Bildung in Zukunft aussehen könnte. Sicher ist für den 66-jährigen Österreicher, dass Lernräume in die Lebensräume eingebettet werden müssen und dass die heutigen digitalen Möglichkeiten ein Gewinn sind. Denn sie bringen das Wissen der Welt zu uns vor Ort.

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Zeitpunkt: Wie sieht die ideale Schule aus?

Franz Nahrada: Nun, die Fragen sind: Ist die ideale Schule ein Gebäude, das besonders gut geplant ist? Oder könnte der Spruch, der aus Afrika kommt, nicht doch stimmen? Und zwar: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Müssten wir nicht den Lernprozess in die Mitte unserer Gemeinschaften verlegen? Sollten wir nicht diesen steten Wechsel zwischen Ausprobieren, Sichbeweisen und Dazulernen zum Mittelpunkt des pädagogischen Prozesses machen? Zudem sollte man diese unglaubliche Fülle an Wissen nutzen, die durch die Globalisierung entstanden ist, um unsere Leben autonom vor Ort zu gestalten. Wir müssen also nicht nur über Schule nachdenken, sondern auch über Lernräume für lokale Lebendigkeit.

Wie stelle ich mir einen solchen Lernort vor und wie wird ditigales Lernen miteinbezogen?

Diese Orte nenne ich Lebendigkeitszentren. Als Gesellschaft müssen wir uns nicht nur damit beschäftigen, neue Lebensräume zu gestalten. Sondern wir sollten besondere Beachtung darauf schenken, Lernräume in die Lebensräume einzubetten. Ein gutes Beispiel: In einer ländlichen niederösterreichischen Gemeinde wird zurzeit die Schule umgebaut, weil dies ohnehin anstand. Nun packt die Gemeinde die Gelegenheit, mehr daraus zu machen. Sie hat beschlossen, alle Synergien zu nutzen, kombiniert nun das Schulhaus unter anderem mit Schulkantine, Gasthaus, medizinische Versorgung, Begegnungs- und Arbeitsräumen. Das heisst: Die Schule wird wirklich zum Herzstück der Gemeinde, zum Zentrum eines lebendigen Prozesses.

Wenn es um digitales Lernen geht: Ich selbst organisiere Veranstaltungen, beispielsweise in Wien, in denen Moderatoren und Publikum vor Ort sind. Dann werden aber zudem Professoren und Professorinnen zugeschaltet. Damit geht Kompetenz auf die Vertreter vor Ort über. Das Diskutieren im lokalen Kontext definierte sich dadurch neu – durch diese virtuelle Verbindung, die den Zugang zum Wissen der Welt ermöglicht. So hat man viel mehr Wissensquellen zur Verfügung. Aber das ist ja eigentlich Tradition: In Dorfschulen unterrichteten ältere Schüler immer auch die jüngeren mit. Wir haben heute vielleicht eine Rückkehr zu alten Mustern, einfach auf einem sehr viel höheren Niveau.

Wie wird unser Bildungssystem in zwanzig Jahren aussehen?

Ich vertrete eine positive Zukunftsvision. Damit will ich sagen: Ich gehe davon aus, dass wir eine Welt erschaffen, die von neuen Einsichten geprägt ist. Etwa von der Einsicht, dass man regionale autonome Einheiten gestalten muss, um den Weg in die Zukunft zu öffnen. Kurzum: Dass regionale Einheiten, Kreislaufwirtschaften, Bioregionen, Gemeindeverbünde usw. das Hauptinteresse des Bildungssystems werden. Zwischen Schulen und Gemeinden kann man ganz neue Formen der Kooperationen und des Teilens von Ressourcen finden. Man muss eigentlich das Bewusstsein schaffen, dass Kompetenzzentren gebildet werden müssen, wo man sich in bestimmte Dinge vertiefen kann und wo die homogenisierte und standardisierte Bildung des Industriesystems keine Rolle mehr spielt.

Denn in Zukunft wird es weniger starre Berufsbilder geben. Die Menschen werden sich immer wieder neue Kompetenzen aneignen, neue Arbeitsteilungen aushandeln müssen, um mit den drastisch beschleunigten neuen Möglichkeiten mithalten zu können, die die globale Kommunikation mit sich bringt. Ich glaube, dass jede Gemeinde, jede Region ihre Bildungszentren künftig viel mehr als wichtigste Zukunftsinvestition behandeln wird. Diejenigen werden die Zukunft meistern, die in ihrer Region ein buntes und leistungsfähiges Mosaik von Kompetenzzentren für alle Lebensprobleme zum Leuchten bringen. Eine solche Renaissance des Lokalen wäre ohne die globale Vernetzung unvorstellbar. Und diese Renaissance wird früher oder später unseren ganzen Planeten erfassen. Zwanzig Jahre erscheinen mir beim heutigen Tempo nicht hoch gegriffen...