Alzheimer ist heilbar – wenn wir unser Leben verändern
Eine ungesunde Lebensweise erhöht die Gefahr, an Alzheimer zu erkranken. Darin sind sich Ärzte und Wissenschaftler einig. Weniger bekannt ist: Alzheimer ist in Frühstadien heilbar – nicht durch Medikamente, sondern ein anderes Leben.
Alzheimer gilt als «unheilbar». Diese Meinung ist weit verbreitet – und vielleicht verheerender als die Krankheit selbst. Der nächste Gedanke ist dann meist: «Wir brauchen dringend neue, bessere Medikamente», wie beispielsweise Andreas Monsch betont, Leiter der Memory Clinic am Felix-Platter-Spital Basel. Zwar werden auch präventive Massnahmen empfohlen, der allgemeine Tenor aber lautet: Nur die Pharmaindustrie kann uns retten.
Doch es geht auch anders: Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, geht ein Forscher neue Wege: Der habilitierte Molekulargenetiker Michael Nehls sitzt in einem Freiburger Restaurant und lauscht dem Gesang einer Frau, die dieses Konzert eigens für ihn organisiert hat. Demnächst wird sie ein Vorwort zur Neuausgabe seines Buchs schreiben, das einen herausfordernden Titel trägt: «Alzheimer ist heilbar». Wenige Monate zuvor hatte ihr die Uniklinik Alzheimer im Frühstadium diagnostiziert. Inzwischen wird eine Doktorarbeit über den Heilungsprozess verfasst, den sie dank Nehls' Therapiekonzept erfahren hat. Wenigstens in diesem Fall war Alzheimer also heilbar. Es war auch nicht das erste Mal.
Es war ein phänomenaler Erfolg: Am Mary S. Easton Center for Alzheimer Disease in Los Angeles werden im Rahmen einer Studie unter der Leitung von Dale Bredesen, Professor für Neurologie, neun von zehn behandelten Alzheimer-Patienten geheilt und können in ein normales Leben zurückkehren. Bemerkenswert dabei ist: Die Heilerfolge glückten ohne Medikamente, lediglich mittels gezielter Veränderung der Lebensweise, etwa bezüglich Ernährung, Bewegung oder Schlaf. In einer weiteren Studie, die 2016 abgeschlossen wurde, konnte Bredesen sogar zehn von zehn Patienten helfen. Für Nehls bedeutet dieser Erfolg eine weitere Bestätigung seiner Theorie. Ob sie allgemein Schule machen wird, ist jedoch unsicher. Ein Therapiekonzept, das eine Änderung der Lebensweise verlangt, stösst häufig auf Widerstände.
Es ist die Kultur des marktkonformen Lebens, die uns die modernen Kulturkrankheiten beschert.
Obwohl Nehls' Ergebnisse auf ebenso klaren Analysen fussen wie andere Studien, wird öffentlich kaum darüber debattiert. Nehls schreibt zwar Bestseller und hat gute Argumente – Argumente, die zum Beispiel der ehemalige Chefarzt der ersten deutschen Memoryklinik, Bernhard Dickreiter, «unwiderlegbar» findet. Doch die Auseinandersetzung darüber findet weitgehend unter Insidern statt. Öffentliches Gehör finden vor allem grössere Forschungsinstitute mit pharmazeutischem Hintergrund. Klassische Streitpunkte der Debatte sind bislang kaum angefochtene Expertenmeinungen wie: Es sei erwiesen, «dass praktisch jeder Alzheimer bekommt, der nur alt genug wird». Nach Dickreiter eine «dringend zu korrigierende Sichtweise». Denn wäre «das Alter der wesentliche Risikofaktor», so Nehls, «müsste die Alzheimer-Krankheit in allen Kulturkreisen mit nahezu gleicher Wahrscheinlichkeit in Bezug zum Lebensalter auftreten.» Das Gegenteil sei jedoch der Fall: Vergleichende Bevölkerungsstudien zeigten, dass das Alzheimer-Risiko in erster Linie vom kulturellen Umfeld abhängig ist. Nehls bespricht in seinen Büchern etliche Studien, um diese These zu belegen: «In einer gut kontrollierten Vergleichsstudie zwischen Afrikanern, die in Nigeria leben, und Angehörigen derselben ethnischen Gruppe, die in den USA leben» sei klar geworden: Die Nigerianer erkrankten drei- bis viermal seltener an Alzheimer als die gleichaltrigen US-Amerikaner. «Wäre das Alter das hauptsächliche Risiko, an Alzheimer zu erkranken», argumentiert Nehls, «wäre dieser enorme Unterschied nicht möglich.»
Begünstigt der westliche Lebensstil das Entstehen von Alzheimer? Etliche Studien sprechen dafür. «Bei Japanern, die in die USA einwandern, steigt das Alzheimer-Risiko deutlich auf das Niveau ihres neuen kulturellen Umfelds, sobald sie sich an die amerikanischen Lebensgewohnheiten angepasst haben. Ebenso lässt sich beobachten, dass die Erhöhung des Alzheimer-Risikos ausbleibt, wenn die Japaner ihren gesünderen Lebensstil in ihrem neuen Lebensumfeld beibehalten.» Nicht das Alter oder die Gene sind das Problem, sondern unsere unnatürliche Lebensweise. Angeblich belegen das sogar Versuche mit Mäusen, denen man Alzheimer-Gene eingepflanzt hat: «Das eigentliche Wunder geschieht, wenn die Forscher den Mäusen zumindest ansatzweise ein natürliches Leben ermöglichen»; das Erinnerungsvermögen verbessert sich, «und man findet eine rege Neubildung von Neuronen im Hippocampus.» Diese Ergebnisse sollten zum Umdenken anregen, sagt Nehls. Alzheimer ist für ihn eine klassische Zivilisationskrankheit. Es ist «die Kultur des marktkonformen Lebens, die uns die modernen Kulturkrankheiten beschert». Unsere Gesellschaft bewege sich in eine Richtung, die eine Zunahme von Kulturkrankheiten begünstigt. Die gute Nachricht dabei ist: Durch eine bewusste Lebensführung kann sich der Einzelne schützen – und gerade dadurch etwas zum allgemeinen Wandel beitragen. Nehls Bücher geben viele wertvolle Tipps dafür, die jeder Mensch im eigenen Leben anwenden kann.
Michael Nehls: Die Alzheimer-Lüge – die Wahrheit über eine vermeidbare Krankheit, Heyne,
5. Auflage 2014, Taschenbuch. 464 S., CHF 14.90
Michael Nehls: Alzheimer ist heilbar. Rechtzeitig zurück in ein gesundes Leben, Heyne, 6. Auflage 2015. 320 Seiten, CHF 24.50
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