Sie mögen mich alle für verrückt halten, wenn ich das schreibe; aber glauben Sie mir, es wird einen Tag danach geben. Dieser schreckliche Krieg wird zu einem Ende kommen. Wir werden alle traumatisiert sein von dem, was wir durchgemacht haben. Wir werden überall um uns herum die Verwüstung, die Zerstörung, die Verwundeten – geistig und körperlich – und die vielen Toten sehen. Wir werden unsere Toten begraben und wir werden nicht vergessen, was getan wurde und wer es getan hat. Das wird uns noch viele Jahre in Erinnerung bleiben.

Bei all dem hoffe ich auf das, was ich «einen Belfast-Moment» nenne.

Diese Tage und Wochen und vielleicht auch Monate werden unsere Erzählungen umgestalten, und Israelis und Palästinenser werden sich nie einig darüber sein, was mit uns geschehen ist. Für die Israelis war der Angriff am 7. Oktober die schwerste militärische Invasion und der schwerste terroristische Angriff seit 75 Jahren. Für die Palästinenser sind dieser Tag und die darauf folgenden Tage die harte und akute Fortsetzung der Nakba. Es sind sehr dunkle Tage, und wir alle sind von den Geschehnissen betroffen.

Bei all dem hoffe ich auf das, was ich «einen Belfast-Moment» nenne. Vielleicht ist das ein falscher Begriff, und wenn dem so ist, möchte ich mich bei den Menschen in Nordirland entschuldigen. Ich meine damit den Zeitpunkt, an dem wir, die Zivilbevölkerung, nicht unsere Regierungen, uns umsehen und all den Tod und die Zerstörung sehen und sagen: «Nie wieder! Nie wieder. ENOUGH!!!» 

Wir dürfen unsere Zeit, Energie, Ressourcen, unseren Glauben und unsere Hingabe nie wieder in das gegenseitige Töten investieren, sondern in den Aufbau einer neuen Realität. Wir müssen erkennen, dass auch nach diesem schrecklichen Krieg Israelis und Palästinenser hier auf diesem Land zwischen Fluss und Meer bleiben werden und niemand mehr Recht hat, hier zu sein als ein anderer. Wir müssen uns gegenseitig in die Augen sehen und sagen, dass wir alle die gleichen Rechte haben müssen. Dann können wir beginnen, eine neue Realität aufzubauen.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Israel den Gazastreifen wieder besetzen wird. Zum Zeitpunkt, an dem ich diese Zeilen schreibe, scheint dies unvermeidlich zu sein. Ich weiss nicht, was das Schicksal der israelischen Geiseln sein wird. Ich habe unzählige Stunden damit verbracht, eine Vereinbarung über die Freilassung der Frauen, Kinder, älteren und kranken Geiseln im Austausch für die 43 palästinensischen Frauen und 190 palästinensischen Kinder, die in israelischen Gefängnissen sitzen, zu erreichen. Ich habe mich für einen humanitären Waffenstillstand eingesetzt, um die Vereinbarung umzusetzen und die Einfuhr von Lebensmitteln und medizinischen Hilfsgütern nach Gaza zu ermöglichen. 

Sobald die israelische Bodenoffensive beginnt, wird es wahrscheinlich zu spät sein. Die einzige Hoffnung für die Geiseln werden dann Rettungsaktionen sein, von denen einige erfolgreich sein werden, andere nicht. Die Zahl der zivilen Opfer in Gaza wird in die Höhe schnellen und die Zerstörung wird unvorstellbar sein.

An dem Tag, an dem Israel den Gazastreifens vollständig besetzt hat, muss es ankündigen, dass es den Gazastreifen innerhalb von 8 Monaten oder 12 Monaten – wie auch immer – verlassen wird und sehr deutlich machen, dass es nicht in Gaza bleiben wird. Die Siedler von Gush Katif werden nicht nach Gaza zurückkehren. Es wird überhaupt keine israelischen Siedler in Gaza geben. Israel muss dann auch seine Pläne bekannt geben, die eine Zusammenarbeit mit der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland vorsehen, um den Konflikt zu beenden und ein friedliches Gaza wieder aufzubauen. Dies muss in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft des Gazastreifens und der nach Frieden strebenden Zivilgesellschaft geschehen.

Diese Arbeit wird nicht von der gegenwärtigen israelischen Regierung geleistet werden. Denn am Tag nach dem Krieg werden Netanjahu und seine Regierung sowie die Leute der vorherigen Regierungen ihre Rechnung erhalten. Die Leute, die uns in diese Situation gebracht haben, müssen den Preis für ihr kolossales Versagen zahlen. Die Militärs, die die Politiker beraten haben, die uns an den Abgrund geführt hat, müssen ebenfalls gehen und den Preis für ihren Anteil am Scheitern bezahlen. Auch die palästinensische Führung wird am Tag der Abrechnung die Verantwortung für ihr Versagen bei der Spaltung des palästinensischen Volkes und der Schaffung einer extrem fanatischen Führung, die die palästinensische Sache um 75 Jahre zurückgeworfen hat, übernehmen müssen.

Der Prozess des Wiederaufbaus und der Schaffung einer neuen Realität muss vom Volk getragen werden – mit einer neuen Führung auf beiden Seiten. Nicht dieselben Leute, die wir seit Jahren gesehen haben, sondern neue Leute mit einer neuen Vision. Diese Aufgabe des Wiederaufbaus unseres Lebens wird unsere Nachbarn einbeziehen müssen – Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko, hoffentlich auch Saudi-Arabien und andere. Sie wird von der internationalen Gemeinschaft finanziell unterstützt werden müssen. Aber wir, Israelis und Palästinenser, Bürger, die Zivilgesellschaft, Menschen mit neuen Träumen und Hoffnungen und einer neuen Vision – wir sind die Menschen, die den Prozess anführen müssen.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass beim Einmarsch Israels in den Libanon 1982 die libanesischen Dorfbewohner im Süden Reis und Süssigkeiten auf die israelischen Soldaten warfen, die sie befreiten. Drei Monate später platzierten sie Bomben am Strassenrand, um sie zu töten. Niemand ist damit einverstanden, besetzt zu werden. Niemand im Gazastreifen, im Westjordanland oder in Ostjerusalem wird jemals damit einverstanden sein, besetzt zu werden – nicht gestern, nicht heute und auch nicht morgen. Israel mag den Gazastreifen wieder besetzen, aber wenn Israel im Gazastreifen bleibt, wird noch mehr israelisches Blut vergossen werden, ebenso wie palästinensisches Blut des palästinensischen Widerstands.

Deshalb ist es wichtig, dass das israelische Militärkabinett die ersten Elemente eines Plans hat, der damit beginnt: Wir werden nicht in Gaza bleiben. Wir werden Gaza bis zum folgenden Datum verlassen: ...

Wir müssen einen neuen Kurs einschlagen. Ich habe begonnen, mit einigen ernsthaft strategisch denkenden Israelis und Palästinensern zu sprechen, um jetzt eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema zu bilden. Nur strategisch denkende Menschen sind in der Lage, sich eine solche Arbeitsgruppe vorzustellen, während wir uns noch im Krieg befinden. Aber wir alle wissen, wie Kriege beginnen. Doch wir wissen nie, wie sie enden werden. Wir müssen auf eine Ausstiegsstrategie vorbereitet sein, die wesentlich mehr ist als nur der Abzug der Armee aus dem Gazastreifen. Wir müssen die Pläne für übermorgen vorbereiten, wenn wir alle mit dem Aufbau einer neuen und hoffentlich friedlichen Realität beschäftigt sein werden.

ÜBER DEN AUTOR

Der Autor ist der Nahost-Direktor von ICO - International Communities Organization - einer im Vereinigten Königreich ansässigen NRO, die in Konfliktgebieten mit gescheiterten Friedensprozessen arbeitet. Baskin ist ein politischer und sozialer Unternehmer, der sein Leben dem Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn gewidmet hat. Er ist auch Gründungsmitglied der politischen Partei «Kol Ezraheiha - Kol Muwanteneiha» (Alle Bürger) in Israel.

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