Chapeau! für die Friedensgemeinschaft San José de Apartadó in Kolumbien

Mut, Gnade, Vergebung: Die Existenz dieses Dorfes ist eine Entscheidung für das Leben. Trotz der Friedenspolitik des linken Präsidenten Gustavo Petro ist die 1997 gegründete Friedensgemeinde noch bedroht.

Friedensgemeinde
Marsch der Friedensgemeinde. Foto: David Osthoff

Der 21. Februar 2005 veränderte das Leben der Friedensgemeinschaft nachhaltig. Acht ihrer Mitglieder, darunter drei Minderjährige und der Sprecher der Friedensgemeinde, Luis Eduardo Guerra, wurden auf dem Weg zu einem ihrer Weiler von Paramilitärs gemeinsam mit der 17. Heeresbrigade erschlagen. Die Leichen der friedlichen Bauern wurden zerstückelt und in ein Massengrab geworfen. 

Jedes Jahr seitdem begeht die Friedensgemeinschaft einen Gedenktag. In diesem Jahr wanderten sie in einen der äusseren Weiler – Mulatos hoch in den Bergen – wo auch in den letzten Monaten wieder Paramilitärs gesichtet wurden und die Menschen bedrohten. Anders als die Regierung proklamiert, gibt es hier noch keinen Frieden. Zwar haben sich Guerilla-Gruppen zurückgezogen, wurden teilweise entwaffnet. Aber die paramilitärischen Gruppen arbeiten abseits der Ballungszentren weiter, offensichtlich geduldet von der Armee. An diesem Tag gehen die Bauern mit ihren Gästen darunter Vertreter internationaler Organisationen ihr Land ab, tauschen sich aus und feiern einen Gottesdienst.

Weltkugel
Feierlichkeit in der Friedensgemeinde

Die Friedensgemeinschaft entstand 1997 in einer Zeit heftigster Gewalt in Kolumbien. Überall liessen Grossgrundbesitzer Kleinbauern vertreiben, um das Land in Besitz zu nehmen und die Bauern zu Tagelöhnern in ihren Plantagen zu machen. In dem Dörfchen San José de Apartadó sammelten sich vertriebene Kleinbauern der ganzen Region und beschlossen zu bleiben. Sie wollten Bauern auf eigenem Land bleiben, egal mit welchen Konsequenzen. Mit Hilfe einiger internationaler Organisationen gründeten sie ein neutrales Dorf und gaben sich Regeln. Die wichtigste: Keine Gewalt keine Waffen und keine Kooperation mit bewaffneten Gruppen. Gemeinsam und sich gegenseitig gewaltfrei schützend, bestellten sie ihre Kakaoplantagen. 

Viele von ihnen zahlten ihren Mut mit dem Leben: Von den damals über 1000 Kleinbauern und Binnenflüchtlingen wurden in den 27 Jahren etwa 300 Menschen ermordet. Kaum eine Familie, die nicht Angehörige auf brutale Weise verloren hat. Die meisten Täter gehören zum Paramilitär, teilweise auch zur Armee, einige auch durch Guerillas. 

Ihr Mut und ihre radikale Entscheidung zur Vergebung machten sie weltbekannt: Internationale Begleiter sind immer wieder präsent – das schützt vor den bewaffneten Gruppen enorm, da diese lieber ohne Zeugen Gewalt anwenden. Eine europäische Gruppe sammelte Geld für Landkauf. Die Gemeinde erhielt viele internationale Preise. Unterstützer halfen beim Aufbau einer kleinen Kakaofabrik; die Erzeugnisse werden unter anderem von Lush als Peace Bar (Massageöl) auch in der Schweiz angeboten.

Seit einigen Jahren ist die Gewalt subtiler geworden. Es finden weniger Morde und bewaffnete Angriffe statt, aber der ökonomische Druck ist enorm. Im Januar wandte sich die Friedensgemeinde wieder an die Öffentlichkeit, um auf die aktuellen Bedrohungen aufmerksam zu machen.

Ein weiteres Jahr hat begonnen, in dem wir gehofft haben, neue Wege des Lebens und des Friedens in den Gebieten zu finden. Aber was wir erleben, ist das Gegenteil, denn die Botschaft, das alte Regime sei überwunden, stimmt nicht. Es ist dasselbe Regime, das 2024 Kontrolle ausübt, Regeln durchsetzt, die Gemeinden infiltriert, die Zivilbevölkerung gewaltsam sammelt, bedroht und ermordet. Die Regierung ist blind und taub dafür.

Sie zählen auf mehreren Seiten die Vorkommnisse im Dezember von Verfolgung, Verschleppung, Drohungen und anderen Menschenrechtsverletzungen von Paramilitär und Armee an Kleinbauern des Region auf. 

Kinder in der Friedensgemeinschaft
Kinder in der Friedensgemeinschaft

Doch ist die Friedensgemeinde auch in der Lage, anderen Bedrohten zu helfen. So schützten und halfen sie Ovidio Torres Areiza, dessen Familie eine Todesdrohung von Paramilitär erhalten hatte. Ovidio war selbst bewaffneter Paramilitär gewesen, hatte als solcher selbst vor Jahren die Friedensgemeinde bestohlen und bedroht, war aber ausgestiegen. Deshalb, so vermutete er, wolle die paramilitarische Gruppe ihn nun umbringen, und wandte sich an seine ehemaligen Feinde. Am 4. Januar schrieb die Gemeinde:

Unsere Gemeinschaft folgt unter anderem dem Grundprinzip, das Lebens eines jeden Menschen zu schützen, auch wenn er unserer Auffassung widerspricht. Deshalb haben wir uns bereit erklärt, ihn zu schützen, bis wir humanitäre Einrichtungen um die notwendigen Mittel bitten können, um ihn aus dem gefährlichen Gebiet herauszuholen. Das ist inzwischen geschehen. Als Friedensgemeinschaft bekräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze, um inmitten des Todes weiterhin Räume des Lebens zu schaffen.

Bedroht sieht sich die Gemeinde derzeit aber vor allem durch das Landrückgabegesetz. Eigentlich ist das gedacht als eine Art Landreform, durch das im Bürgerkrieg enteignete und vertriebene Bauern ihr Land wieder in Besitz nehmen können. Doch fürchtet die Friedensgemeinde, dass der so genannte neue «Landmarkt» für wirtschaftliche Interessen von Konzernen missbraucht wird und ihnen damit ihr Land genommen werden soll. Sie selbst haben ihre Grundstücke von Bauern erworben, die ihr Land verlassen mussten.

«Wir haben unser Land vor 20 Jahren rechtmässig erworben und seitdem bewirtschaftet. Wir leben davon. Es darf uns nicht genommen werden,» schreiben sie in einem Brief an ihre europäischen Unterstützer. 

Um sich vor Enteignung zu schützen, beginnen sie nun, ihren Ländereien Namen bekannter Friedenspersönlichkeiten zu geben – und sie mit der Hilfe von Anwälten ins Grundbuch eintragen zu lassen. Es ist ein sehr wichtiges Anliegen der Friedesgemeinde, Land vor der Ausbeutung durch Konzerne und Paramilitärs zu schützen.

Ich habe die Gemeinde vor inzwischen 16 Jahren selbst besucht und ziehe meinen Hut vor ihrem unglaublichen Mut und ihrem Lebenswillen. Eine Gruppe in Österreich möchte zwei ihrer Vertreter an Pfingsten zu einem Symposium einladen. Wenn das klappt, werde ich das hier bekanntgeben.

Ich empfehle diesen Film, der vor 14 Jahren mit Mitgliedern der Friedensgemeinde entstanden ist: (auf englisch)