Damit das Nest nie verwaist
Nach der Trennung als Familie leben, ist nicht einfach. Nestwohnen wird vor allem den Bedürfnissen der Kinder gerecht.
Wie können Kinder im Auf und Ab der Beziehungsgezeiten, sicher und von beiden Elternteilen geliebt, gross werden? Lea (30) und Benjamin (34) haben auf diese Fragen eine inspirierende Antwort gefunden. Sie praktizieren Nestwohnen. Und das geht so: In der gemeinsamen Familienwohnung haben ihre Söhne Anando (10) und Nailo (8) ein ständiges Zuhause. In der Stadt haben Lea und Benjamin ein Zimmer für sich allein. Beide gehen die Hälfte der Woche einer Erwerbsarbeit nach. Die andere halbe Woche gehören sie ihren Kindern. Das Nest ist nie verwaist. Anando und Nailo haben immer ein Elternteil, der für sie da ist und manchmal auch mehr: Dann kommen Freunde oder neue Lebenspartner der Mutter oder des Vaters dazu.
Lange war die Liebe gross
Nestwohnen tut nicht nur den Kindern gut, sondern auch dem getrennten Paar.
Lea wurde mit 19 Jahren Mutter. Benjamin war bei Anandos Geburt 24 Jahre alt. Lange Zeit war die Liebe gross. Doch irgendwann war klar: «Wir sind ein gutes Team und ‹können› Familie. Für eine lebenslange Beziehung im klassischen Sinne, sind wir aber nicht geeignet.» Sie suchten einen neuen Weg, Familie zu leben, ohne die Kinder emotional zu belasten.
Nestwohnen hat Vor- und Nachteile, sagt Benjamin. Aber die Vorteile überwiegen. Er spricht begeistert darüber, wie gut das Nestwohnen nicht nur den Kindern, sondern auch Lea und ihm selber tut. «Wir haben eine Beziehung, die so gut und stabil ist, wie seit Jahren nicht mehr. Das Wort ‹Trennung› deckt sich nicht wirklich mit dem Gefühl, das ich habe. Und das, obwohl Lea und ich neue Beziehungen eingegangen sind.»
Die Kinder sind die Mitte und das Zentrum
Benjamin ist froh, dass es ihnen gelungen ist, die Kinder ins Zentrum zu rücken, ohne selber jeden Freiraum zu verlieren. Er hat das Gefühl, von allem das Beste zu leben: Das Glück, Familie zu sein, die Kinder gedeihen zu sehen, und auch noch Raum für das eigene, ganz private und auch ein wenig egoistische Glück.
Das Paar hat auch die Erfahrung gemacht, dass die Gesellschaft «eine gewisse Offenheit braucht, um mit diesem Wandel umzugehen». Lea zum Beispiel musste sehr hartnäckig bleiben, um eine Bewilligung zu bekommen, in Teilzeit eine Lehre zu absolvieren. Aber sie hatte Erfolg. Jetzt kann sie ihren Traum, Schreinerin zu werden, endlich realisieren.
Verantwortung tragen, wenn sich die Beziehung verändert
Nestwohnen fordert aber auch seinen Tribut: Als Eltern die Verantwortung zu tragen, wenn sich die Paar-Beziehung verändert, bedeutet, ständigen Ortswechsel auf sich zu nehmen, und ist nicht billig.
«Kein Liebespaar zu sein, ist ökonomisch immer ein Blödsinn», kommentiert Benjamin tapfer den hohen Aufwand, den diese Wohnform ihnen derzeit abverlangt. Die beiden finanzieren nicht nur eine Fünfeinhalbzimmer-Familien-Wohnung, sondern auch noch eigene Zimmer in der Stadt. Die verschiedenen Wohnorte sind nicht nur finanziell, sondern auch logistisch eine grosse Herausforderung. Immer ist das, was man grad braucht, dort, wo man sich grad nicht aufhält. Das kennt man ja.
Die Gesellschaft muss das Leben mit Kindern besser unterstützen
Benjamin glaubt, dass die Gesellschaft offener und Raumkonzepte «fluider» werden müssen, um das Leben mit Kindern besser zu unterstützen. Ein Leben, in dem auch für Eltern Spielraum bleibt, für sich und ihre ureigenen Bedürfnisse.
Das Generationenhaus Langnau in Emmental wäre eine gute Alternative. Dort liesse sich Nestwohnen mit vier Zimmern realisieren.
Dass sie mit ihren besonderen Bedürfnissen in dem Mehrgenerationenhaus einen Platz haben, wissen sie sehr zu schätzen. «Unser Nestwohnen-Projekt wurde von der Genossenschaft positiv aufgenommen. Der Architekt hat unsere Bedürfnisse einbezogen. Es ist aus unserer Sicht eine optimale Lösung. Und wir hoffen, dass es das in zwei Jahren auch noch ist. Denn das Leben ist und bleibt immer voller Überraschungen.»
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