Das demokratische Familienfest fordert heraus
Jetzt muss man von einer Volksbewegung sprechen: Über 1000 Menschen in Bern, 400 in Zürich, 200 in Luzern, 100 in Basel und ein paar Dutzend in St. Gallen, Thun und Kreuzlingen – ohne jede Organisation. Wer hätte das vor zwei Wochen gedacht, als knapp 100 Leute dem Beispiel von Alec Gagneux folgten und auf dem Bundesplatz Mahnwache hielten für die demokratischen Grundrechte?
Die Fragen und Forderungen sind dieselben: Wo ist die Evidenz für den Lockdown? Von wem hat sich der Bundesrat beraten lassen? Warum bleiben so viele Massnahmen in Kraft, die dazu noch eingeführt wurden, als die Infektion bereits rückläufig war? Warum darf man ab Montag wieder konsumieren, aber seine Bürgerrechte nicht wahrnehmen?
Natürlich waren einige Leute wütend, mit gutem Grund. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga beschwor vergangene Woche das Parlament, das Corona-Virus dürfe die Demokratie nicht beschädigen. Gleichzeitig bereitet sie die Überführung des Notrechts in dringliches Bundesrecht vor, dessen Einführung der Souverän nicht verhindern kann. Es kann selbst bei einem Referendum sofort in Kraft treten. Wenn sich bei der höchsten Schweizerin eine derart tiefe Kluft zwischen Wort und Tat auftut, dann ist eine eidgenössische Wut nicht das letzte der Gefühle. Einige nannten die drohende Umwandlung des Notrechts in ordentliches Recht ausdrücklich als Grund für ihre Mahnwache. Und nicht wenige haben den Eindruck, dass der Bundesrat sein Vertrauen bereits definitiv verspielt habe.
Die meisten aber standen friedlich und ruhig da und genossen die Stimmung. Es war wie ein grosses Sippentreffen, wo man alle kennt, aber die Namen nicht mehr weiss. Es wurden Geschenke verteilt, z.B. «Präambel-Samen» mit einem Verweis auf die fast mystische Einleitung unserer Verfassung: «Im Namen Gottes, des Allmächtigen», der offensichtlich auch nicht mehr so allmächtig ist.
Es wurde musiziert, diskutiert, gelacht und gesungen – ein deutlicher Beweis, dass Basisdemokratie viel mit Lebensfreude zu tun hat und damit in scharfem Kontrast zum Politbetrieb im Berner Messezentrum steht, wo sich das Parlament letzte Woche ein paar Milliarden verteilte.
In der Umgebung des Bundesplatzes war es – wie früher. Nur wo die Polizei die Menschen vor sich herschob, gab es ein Gedränge und etwas Aufregung. Und jedes Mal, wenn aus einem Lautsprecherwagen der Polizei die Anweisung gegeben wurde, den Ort zu verlassen, wurde sie von einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert übertönt.
Wie soll es nun weitergehen? Ich habe mit elf zufällig ausgewählten Teilnehmern der Mahnwache in Bern Interviews geführt. Alle gingen davon aus, dass die Mahnwachen weiterhin stattfinden. Die Forderungen: Der Bundesrat soll endlich transparent informieren, die Massnahmen sollen offen diskutiert und die Bürgerrechte unverzüglich wiederhergestellt werden.
Entwickelt sich die starke Polizeipräsenz für die Mahnwachen, die offenbar in einer Woche wieder stattfinden werden, zu einem Problem? Der Stadtberner Polizeidirektor Reto Nause hält Protest zwar für legitim – hoffentlich! –, aber nicht im öffentlichen Raum, selbst nicht von drei bis vier Personen, wie er dem Fernsehen SRF sagte. Er zeigt damit das typische Verhalten eines subalternen Politikers, der das geltende Notrecht zum eigenen Machtausbau interpretiert. Unter normalen Umständen reduziert ein Politiker mit solchen Aussagen seine politische Halbwertszeit in drastischem Ausmass. Aber das sind nicht mehr normale Zeiten.
Für wie dumm die Behörden den Souverän halten, in dessen Dienst sie eigentlich stehen, zeigen zwei Beispiele: «Stop Corona Abstand halten auch auf der Strasse». Wie, ums Himmels willen, sollen sich die gefürchteten Viren von einem fahrenden Auto in ein anderes bewegen? Und wie soll der Sozialabstand von zwei Meter die Sicherheit im Strassenverkehr verbessern?
Zweites Beispiel: Noch vor zwei Monaten galten Gesichtsmasken als unnötig. Jetzt, wo die Infektionen weiter gesunken sind, werden sie für gewisse Bevölkerungsschichten zur Pflicht. Bei der gestrigen Mahnwache auf dem Bundesplatz, trug die Polizei konsequent Maske, obwohl sie durch die Wiedereinatmung von CO2 erheblich behindert ist. Logisch: Wer in der Bevölkerung unsinnige Massnahmen durchsetzen will, braucht Personal, das selber unsinnige Anordnungen befolgt. Viele werden später sagen: «Wir sind nur den Befehlen gefolgt.» Und viele haben ihren eigenen Souverän – das Gewissen – bereits in die Wüste geschickt.
Nachdem ich weiss, dass diese Texte auch von der Polizei aufmerksam gelesen werden, hoffe ich doch, dass der obige Abschnitt beim Einen oder Andern einen kleinen Gewissensbiss auslöst. Und ich hoffe, dass die Polizeikommandanten Verständnis für solche Beamten haben und ihnen andere Jobs zuteilen. Es gibt noch viele ungenutzte Möglichkeiten, Freund und Helfer zu sein.
Wie die rechtliche Situation genau aussieht, kann man noch nicht wissen. Schon die allererste Mahnwache vor zwei Wochen hat die Polizei als «Versammlung» taxiert, die gemäss Corona-Verordnung nicht erlaubt sei. Nur: Es war keine eine organisierte Versammlung, und die Menschen, die Mahnwache hielten, respektierten das vorgeschriebene «social distancing». Sie standen einfach da.
Die Leute, die den Räumungsbefehl damals bewusst missachteten, warten noch immer auf Post von der Staatsanwaltschaft. Bis die ersten Verfahren gerichtliche Klärung ermöglichen, wird es also noch dauern. Geht es mit rechten Dingen zu und her, lautet die strittige Frage: Stellen Individuen, die ohne Organisation am selben Ort und zur selben Zeit und unter Einhaltung der Abstandsregeln Mahnwache für ihre Bürgerrechte halten eine «Versammlung dar, die den Zweck der «COVID-19-Verordnung 2» – «Verminderung des Übertragungsrisikos» und «Bekämpfung des Coronavirus» – in Frage stellen?
Die Antwort scheint klar: Wer durch Einkauf seine persönlichen Bedürfnisse befriedigen darf, soll auch für seine politischen Bedürfnisse sorgen dürfen. Das werden aber erst die Gerichte entscheiden und die werden sich Zeit lassen.
Denn ein rascher Entscheid könnte unkontrollierbare politische Konsequenzen haben. Wird das Recht auf Meinungsäusserung im öffentlichen Raum aberkannt, wird dies weitere Kreise aus dem Corona-Schlaf reissen. Wird es dagegen bestätigt, verlieren die Organisatoren des politischen Lockdowns ein weiteres Stück ihres havarierten Gesichts, und hinter der Maske offenbart sich eine totalitäre Fratze, vor der wir uns in der Schweiz lange Zeit sicher fühlen konnten. Aber jetzt plötzlich nicht mehr.
In Zeiten der Maskierung und der Gesichtserkennung stehen wir erst recht hin und zeigen unser Gesicht.
Die Vorteile der Unsicherheit liegen damit eindeutig bei den politischen Behörden. Dies zeigt bereits Wirkung. Etliche Leute, die Mahnwache hielten, haben mir besorgte eMails geschrieben. Einige wurden verzeigt, weil ihre Namen im Zusammenhang mit Mahnwachen vom Zeitpunkt veröffentlich wurden. Unser Standpunkt war: Wir veröffentlichen Nachrichten von Menschen, die Mahnwache halten, nicht als Aufruf, sondern als Mitteilung – «ich bin dann mal da» – und unter Angabe von Zeit, Ort und mit Namen, also nicht anonym. In Zeiten der Maskierung und der Gesichtserkennung stehen wir erst recht hin und zeigen unser Gesicht.
Jetzt stehen wir als Bonsai-Verlag in der Verantwortung. Wir werden für juristische Verteidigung und einen Fonds sorgen, damit niemand wegen Bussen in Nöte kommt. Wir werden andrerseits angekündigte Mahnwachen nicht mehr mit Namen, aber nach wie vor nur aus zuverlässiger Quelle veröffentlichen.
Es ist anzunehmen, dass jetzt in den Sitzungsräumen von Polizeikommandanten und -direktoren und anderen Hinterzimmern über Strategien und Taktiken nachgedacht wird, wie der Gefahr des erwachenden Souveräns beizukommen ist. Zur Zeit herrscht noch bunte Vielfalt. In Bern wurde langsam, aber beharrlich geräumt, und zwar nicht nur der symbolträchtige Bundesplatz, sondern auch der direkt anschliessende Bärenplatz. In Luzern liess man die Mahnwachenden gewähren, pflückte sich aber anschliessend ein paar Leute zur Verzeigung heraus – vor dem Gesetz dürfen sich schliesslich nicht alle gleich fühlen. In St. Gallen wurden die Personalien von all denen zur Anzeige aufgenommen, die etwas Geschriebenes zeigten, selbst im Kleinformat A4. Zudem wurden sie angewiesen, den Platz innert 20 Minuten zu verlassen. In Kreuzlingen brachten sich acht Polizisten gegen zwölf Mahnwachende in Position und machten klar, jegliche Filmerei als Verstoss gegen die Persönlichkeitsrechte verletzte. Nur: Die Uniformierten standen nicht als Persönlichkeiten da, sondern als Vertreter eines Staates, der drauf und dran ist, sich gegen seinen eigenen Souverän zu erheben.
In den Hinterzimmern wird jetzt also darüber nachgedacht, wie der Keim der Souveränität zu ersticken ist. Das Problem: Niemand weiss, wie zahlreich die Keime schon sind. Sichtbar sind nur die zarten Sprossen auf vereinzelten Plätzen. Aber überall könnte es keimbereite Samen haben. Wehe, die kriegen ein bisschen Licht (in Form von Wahrheit) und Wasser (in Form einer Volksbewegung).
Die Bewegung für Souveränität ist also nicht nur ein Polizei-, sondern auch ein Kommunikationsproblem. Da liegt das Framing schon parat: In Deutschland sind es Impfgegner, 5G-Paranoiker und vor allem «Verschwörungstheoretiker», die sich gegen den Lockdown wehren. Ja, von all denen hat es auch an den Mahnwachen. In Bern hat ein Psychiatriepatient mit Hitlerschnäuzchen mit seinem Megaphon in die Stadt hinausposaunt: «Ihr werdet alle von Pädophilen regiert.» Das Fernsehen SRF hat den Mann vorsorglich interviewt, damit man jederzeit den passenden Clip mit dem ultimativen Beweis ausspielen kann.
Ob der «Verschwörungstheoretiker» – ein von der CIA in den 1960er Jahren propagierter Kampfbegriff – noch so gut funktioniert, ist allerdings zweifelhaft. Eine Tageszeitung hat letzthin herausgefunden, dass ich auch einer bin – es gab sofort Abobestellungen. Daniele Ganser, gewissermassen der VT vom Dienst, hat vor kurzem im renommierten Orell Füssli-Verlag sein neustes Buch herausgebracht: «Imperium USA – die skrupellose Weltmacht». Das Buch erklomm umgehend die Spiegel-Bestsellerliste.
Das lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder ist «Verschwörungstheoretiker» kein wirksames Schimpfwort mehr oder die Menschen interessieren sich tatsächlich für Verschwörungen. Sie sind ein Kontinuum der Geschichte, und mir ist kein Argument bekannt, warum wir gerade jetzt in der ersten verschwörungsfreien Epoche leben sollten.
Ein zuverlässigerer Weg, die Bewegung für Souveränität im Keim zu ersticken, wäre die zweite Welle. Da sie für die Verstetigung von Elementen des Lockdowns und für die Umwandlung von Notrecht in ordentliches Recht notwendig ist, wird bereits intensiv an ihr gearbeitet. Aber die Zeit drängt. Nachdem immer mehr Tatsachen ans Tageslicht kommen, dass die erste Welle statistisch gesehen nicht einmal die Höhe eines starken Grippejahres erreicht hat, muss der Angst-Level hochgehalten werden.
Zu allem Elend ist die wissenschaftliche Grundlage des Lockdowns – ein Szenario des britischen «Imperial College» – gerade in sich zusammengebrochen. (Mehr dazu) Nachdem der Quellcode der dahinter stehenden Software endlich veröffentlich wurde, zeigte sich, dass sie wissenschaftlich unbrauchbar ist.
Die Software produziert bei der Eingabe identischer Variablen unterschiedliche Resultate und verunmöglicht damit die Reproduzierbarkeit, das erste und wichtigste Gebot der Wissenschaft. Dass Sie von diesem Skandal von globaler Grössenordnung nichts erfahren haben, ist nicht meine Schuld. Aber vielleicht die eines Verlags oder einer Sendeanstalt, für die Sie immer noch Abogebühren bezahlen.
Der vierte Weg zur Erstickung der Souveränitätsbewegung – neben polizeilichen Massnahmen, Diskreditierung und zweiter Welle –, ist, sie als unnötig erscheinen zu lassen. Sobald die weitere Lockerung greift und man wieder einkaufen und sich vergnügen kann, werden sich vermutlich einige Leute sagen: Das war’s dann. Back to normal. Brot und Spiele funktioniert seit den Römerzeiten. Als Pandemieberater würde ich den Regierungen deshalb ans Herz legen, in Zusammenarbeit mit den ihnen ergebenen Kanälen die neue Normalität zu feiern. Minister sollen sich beim Kneipenbesuch fotografieren lassen, die Medien sollen die grosse Erleichterung in der Bevölkerung zelebrieren. Es soll wieder wohnlich wirken im potemkin’schen Dorf.
Alle Gegenmassnahmen stellen auf ihre eigene Weise die Souveränitätsbewegung vor Herausforderungen. Am heikelsten – für beide Seiten – ist aber der polizeiliche Druck. Es besteht die Gefahr der Eskalation, in der sich beide Seiten als Unterlegene fühlen und gewissermassen in Notwehr handeln. Das kommt selten gut.
Wie lässt sich diese Situation verhindern und trotzdem das Ziel nicht aufgeben? Man bedenke, die Bewegung ist nach wie vor nicht organisiert. Trotzdem ein paar Vorschläge zur Diskussion:
- Unterlegenheit akzeptieren und sich massenhaft anzeigen oder verhaften lassen? Nachteil: Einer genügt nicht.
- Sich in kleinen Gruppen aufs ganze Land verteilen? Nachteil: Viele Menschen fühlen sich erst in der Masse stark und werden das nicht mittragen.
- Sich organisieren, wirklich mobilisieren und zeigen, wer der Souverän im Lande ist? Verlockend, aber gefährlich: Je höher der Organisationsgrad, desto verletzlicher wird ein Gebilde. Wir sehen das gerade beispielhaft am Zerfall der hocheffizienten westlichen Gesellschaft und ihrer bestens organisierten Institutionen bis hin zu den grossen NGOs.
Und: Gibt es überhaupt noch genügend eidgenössischen Mut im Land?
Diese und ähnliche Fragen werden jetzt nicht vom Bundesrat über die Polizeikorps bis zu den sozialen Medien diskutiert. Darauf muss auch jeder mit einem Schweizerkreuz auf dem Pass eine Antwort finden. «Dann wird sich [mit Gottfried Keller] zeigen, ob der Faden und die Farbe gut sind an unserem Fahnentuch.»
Videobericht über die Mahnwachen in der Schweiz vom 9. Mai 2020:
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(Nachtrag 11.Mai mit Bericht aus St. Gallen:)
Unsere Erfahrung in St. Gallen um 10.30h auf dem Vadianplatz: kleine Menschenansammlung und Personenkontrolle von einigen Polizeibeamten.
Wir haben uns die Namen der Polizisten geben lassen, die unsere Personalien aufgenommen haben, wissen aber nicht, was für Folgen das haben wird. Der Beamte, der meine Personalien aufgenommen hat, klärte mich auf, dass in St.Gallen mein Auftritt mit einer Botschaft auf Papier „Kundgebung“ bedeute, was eben verboten sei. Wir haben uns lange unterhalten, auch über den Schutz von Menschen die für „freie
Meinungsäusserung“ einstehen und wie die Polizei fairer vorgehen könnte.
Um 14h wurde die Menschenmenge grösser, geschätzte 50 vielleicht, die anfänglichen 2 Polizisten vermehrten sich nach Drohneneinsatz in unserer Mitte bald auf mehrere Polizisten, die dann mit Megaphon zum Verlassen des Platzes aufriefen und auch die Bitte aussprachen, dass was aufgenommen worden sei, doch bitte nicht in den sozialen Medien verbreitet werden solle. Es gab auch lärmende provozierende Anwesende, die das zu übertönen versuchten. Mein Fazit: die St.Galler sind da wesentlich rigoroser!
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Abstandsregeln
Die Abstandsregeln waren vor allem dort schwer einzuhalten, wo die Polizei die Leute vor sich herschob. Im übrigen Bereich des Bären und des Waisenhausplatzes waren die Abstandsregeln leicht einzuhalten. Einige Pärchen oder kleine Gruppen von Freunden sind sich dann trotzdem näher gerückt. Umarmungen in einem nennenswerten Ausmass, abgesehen von Pärchen oder best friends wären mir nicht aufgefallen. Christoph Pfluger
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Es braucht vor allem Platz
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