Denn wir wissen, was wir tun
Der Klimawandel steht vor der Tür und trotzdem kommen wir nicht in die Gänge. Samanta Siegfried im Gespräch mit der Umweltpsychologin Karen Hamann
Die Gletscher schmelzen, die Meere versauern, die Erde vertrocknet. Trotzdem scheint der Klimawandel noch nicht in unserem Bewusstsein angekommen zu sein. Noch immer verbraucht jeder von uns mehr als doppelt soviel Ressourcen, wie ihm zustehen würden. Warum tun wir das? Und wer oder was könnte uns motivieren, nachhaltiger zu handeln? Genau damit beschäftigt sich die Umweltpsychologie. Die Initiative «Wandelwerk» aus Deutschland hat nun ein kostenloses Handbuch zum Thema veröffentlicht, das sich vor allem an Umweltorganisationen richtet.
Samanta Siegfried: Frau Hamann, Sie werben mit dem Slogan: Wir bringen Psychologie in den Umweltschutz. Was hat sie dort zu suchen?
Karen Hamann: Unser Anliegen ist es, herauszufinden, wie man das Verhalten der Bevölkerung umweltbewusster gestalten kann, auch ohne finanzielle Anreize. Wir untersuchen die Psyche der Menschen - wie ticken sie, worauf beruhen ihre Entscheidungen? Die Ergebnisse wollen wir Umweltorganisationen oder anderen Engagierten vermitteln, damit sie ihre Kampagnen besser planen können.
Dann wissen Sie also, warum wir unsere Lebensgrundlage zerstören, obwohl wir damit aufhören sollten?
Es wird oft von uns erwartet, eine einfache Antwort auf diese Frage zu kennen. Tatsächlich ist die menschliche Motivation aber sehr komplex. Das Wissen um die Zustände ist eine gute Basis, reicht aber noch nicht aus. Wir kennen alle die grosse Diskrepanz, uns der Tatsachen bewusst zu sein, aber nicht danach zu handeln.
Sie sprechen von der sogenannten kognitiven Dissonanz?
Auch. Die kognitive Dissonanz tritt dann ein, wenn ich mich entgegen meinen Werten und Überzeugungen verhalte. In diesem Fall habe ich eigentlich zwei Möglichkeiten: Entweder passe ich meine Werte an, oder ich ändere mein Verhalten.
Letzteres wäre ja wünschenswerter. Was motiviert uns zu umweltbewusstem Verhalten?
Es gibt eine Reihe von unterschiedlichen Faktoren, die das beeinflussen. Etwa, ob wir uns verantwortlich für eine Sache fühlen und ob wir denken, wir können etwas bewegen. Viele sind der Überzeugung, ihr Verhalten allein könne ohnehin nichts beeinflussen. Indem man das widerlegt, kann man sie motivieren. Wenn ich mir zum Beispiel einen Vortrag über die schlechten Bedingungen der Näherinnen in Bangladesh anhöre, sollte ich auch erfahren, welche Labels nicht ausbeuterisch arbeiten oder wo es überall Kleidertauschbörsen gibt.
Was sind denn die Ursachen für unser nicht-nachhaltiges Verhalten?
Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Eine grosse Rolle spielen sicher soziale Normen und die Menschen in unserem Umfeld. Die Macht der Masse darf man nicht unterschätzen. Aber auch Kosten-Nutzen-Berechnungen und die politischen Rahmenbedingungen sind Faktoren. Nicht zuletzt natürlich Gewohnheiten.
Die Rapper Deichkind haben eine einfachere Antwort darauf. In ihrem Song «Leider geil» besingen sie, dass es eben mehr Spass macht, sich unethisch zu verhalten. Zitat: «Schlecht für den Nachwuchs, schlecht für die Nordsee, schlecht für den Kopf – doch leider geil!» Hat Umweltbewusstsein noch immer ein unattraktives Image?
Was wir als Vergnügen empfinden, hat viel mit Psychologie zu tun. Ich beobachte, dass sich die Wahrnehmung davon verändert. Veganes Essen kann auch hip sein und Urlaub ohne Flugzeug abenteuerlich. In Deutschland entstehen gerade viele Projekte der kommunalen Stadtentwicklung, mit Repair-Cafes und Gemeinschaftsgärten. Das verspricht definitiv Nachhaltigkeit und Vergnügen.
Vielleicht wirkt es unattraktiver, weil für viele Nachhaltigkeit noch immer Verzicht bedeutet?
Dabei stellt sich die Frage, wie man Verzicht definiert, das ist wiederum Einstellungssache. Ist es Verzicht, weniger zu haben, dafür das, was ich habe, mehr zu nutzen? Wir sprechen lieber von Genügsamkeit. Man muss sich nicht Genügsamkeit vornehmen, um genügsam zu leben. Stattdessen reicht es, die Aufmerksamkeit auf die Alternativen zu richten. Noch fehlt in diesem Bereich jedoch fundierte wissenschaftliche Forschung.
Kommen wir noch zu den Gewohnheiten. Was für Tricks gibt es, sie zu ändern?
Wenn sich im Umfeld nichts ändert, ist die erste Voraussetzung dazu der Wille. Dann können wir in der Psychologie Aussagen darüber machen, welche Aktionen es begünstigen, dass jemand seine Gewohnheit ändert. Oder welche Lebensumstände. Wenn man sich in einer Umbruchphase befindet, etwa ein Studium anfängt, die Stadt wechselt oder ein Kind bekommt, ist das eine gute Chance, seine Gewohnheiten zu ändern.
Ihr Handbuch will ja Umweltorganisationen und engagierten Menschen helfen, ihre Kampagnen zu verbessern. Was machen die falsch, warum kommt die Botschaft oft nicht an?
Viele Kampagnen zeigen uns auf, was wir alles falsch machen. Erst in einem zweiten Schritt sagen sie, wie wir stattdessen handeln sollten. Das beinhaltet aber die Botschaft: Fast alle machen es falsch. Der durchschnittliche Betrachter identifiziert sich mit der Masse. Er denkt: Wenn alle es falsch machen, mache ich das auch. Das kommt unter anderem von unserem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Ein Beispiel: «Viele Menschen werfen ihren Müll auf den Gehweg – sei keiner davon.» Was bei uns hängen bleibt ist die Botschaft, dass die Mehrheit das tut. Daher müssen wir sehr vorsichtig sein mit der Kommunikation von sozialen Normen.
Was trägt also zu einer gelungenen Kampagne bei?
Ein zentraler Punkt ist, dass sie positiv aufgeladen sein sollte. Werden negative Punkte angesprochen, geht dies oft mit Schuldgefühlen einher, denen die Menschen lieber ausweichen. Wird hingegen die Selbstwirksamkeit angesprochen, löst das positive Emotionen aus. Ein gutes Instrument kann eine Feedback-Funktion sein, die den Verbrauchern direkt anzeigt, wieviel Energie oder Wasser sie zum Beispiel bisher gespart haben.
Aber die Zeit drängt. Müssen uns die Missstände nicht täglich vor Augen geführt werden, damit wir handeln?
Nein, das hat meist eher den gegenteiligen Effekt. Einzige Ausnahme bilden Menschen, die sich über die Missstände noch gar nicht bewusst sind. Bei ihnen kann ein Film, der etwa die grauenvollen Zustände der Massentierhaltung aufzeigt, etwas bewirken.
Sie erforschen, wie man Menschen dazu bringt, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten. Ist das nicht genau das, was die Werbeindustrie auch macht?
Zum Teil, aber die Absicht ist eine andere. Wir wollen nicht, dass sich die Konsumenten zwischen Produkt A oder B entscheiden, sondern untersuchen, wann sie ihr Verhalten ändern. Auch steht eine andere Ethik dahinter. Unser Ziel ist Umweltschutz, nicht Gewinnmaximierung. Persönlich finde ich es spannender, an Methoden zu forschen, die an die Selbstwirksamkeit appellieren.
Welche Rolle spielen staatliche Eingriffe, damit sich etwas ändert, Stichwort «Veggie-Day»?
Der Staat trägt auf jeden Fall eine grosse Verantwortung. Auch wenn der Veggie-Day aus psychologischer Sicht bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Jemandem das Fleisch zu verbieten, ruft eben andere Emotionen hervor, als wenn man gesagt hätte: Zwei von drei Gerichten in der Mensa müssen ab heute vegetarisch sein.
Wie kann ich als Einzelperson mein Umfeld zu umweltbewussterem Verhalten animieren?
Wichtig ist, nicht mit dem Moralzeigefinger zu argumentieren. Man kann zum Beispiel versuchen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Menschen um uns einfacher umweltbewusst handeln können. Oder man zeigt ihnen, wie es geht. Nimmt sie mit in einen Urlaub ohne Flieger. Als gutes Beispiel voranzugehen, erzeugt noch immer die grösste Wirkung.
Kostenloser Download des Handbuchs: www.wandel-werk.org
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