Die Hingabe an den Putzlappen
Putzarbeit ist für viele ein Graus. Kann man dabei aber auch Freude empfinden? Und wie, meint Putzexpertin Katharina Zaugg.
Es ist Samstagnachmittag in Basel, 30 Grad, wer kann, geht schwimmen. Katharina Zaugg geht Abfall sammeln. Bereits zum dritten Mal heute. Sie trägt dazu keinen orangen Overall und keine Handschuhe, sondern eine türkise Stoffhose und eine gehäkelte Bluse. Mit der einen Hand zieht sie einen Wagen mit einem Müllsack hinter sich her, in der anderen hält sie eine vergoldete Salatzange. «Immer mit der schwachen Hand arbeiten, das stimuliert die andere Gehirnhälfte», leitet Zaugg die Abfall-Tour im Kleinbasel an, die im Rahmen der Umwelttage Basel stattfindet. Ausser ihrer Tochter und ihren zwei Enkelkindern sind jedoch keine Teilnehmer erschienen. Wer will schon freiwillig die Strassen reinigen?
Fast niemand. Genau darin liegt der Kern von Katharina Zauggs Arbeit. Seit dreissig Jahren versucht die studierte Ethnologin, Putzen aus der Schmuddelecke zu holen und der Tätigkeit eine Würde zu geben. In den Medien wird sie als Expertin für Wellness-Putzen gefeiert, sie selbst spricht von «achtsamer Raumpflege» und schreibt Bücher, hält Vorträge und gibt Workshops zum Thema. Mit ihrer 1988 gegründeten Reinigungsfirma «Mitenand Putzen GmbH» in Basel rückt sie regelmässig alleine oder im Team aus und macht Wohnungen sauber.
Hinschauen, wo sich andere wegdrehen, das hat sie schon immer gerne gemacht.
Dabei hatte sie mit Putzen lange nichts am Hut. Zwar war ihre Mutter Hausfrau, doch für die Reinigungsarbeiten hatte die Familie eine Fachkraft angestellt. Später, während des Studiums, habe sie höchstens «Brösmeli unter dem Tisch hervorgewischt», so Zaugg. Das änderte sich erst, als sie schwanger wurde und ihre Tochter alleine grosszog. «Auf einmal war ich immer nur am Putzen», erinnert sie sich. «Im Austausch mit anderen Müttern ist mir aufgefallen, welch niederer Wert dieser Tätigkeit anhaftet.» Und da sie Ethnologin ist und gewohnt, jede Situation zu hinterfragen beschloss sie, sich unser Verhältnis zum Dreck etwas näher anzuschauen.
Hinschauen, wo sich andere wegdrehen, das habe sie schon immer gerne gemacht. Eine gute Übung, um die Blockaden vor dem Dreck abzubauen, sei Abfall einsammeln. «Indem ich mich dem Dreck hingebe, anstatt ihm auszuweichen, bleibe ich elastisch», sagt Zaugg, und greift mit der vergoldeten Zange nach Zigarettenstummeln, Melonenschnitzen, Bierdosen und Taschentüchern. «So gibt mir jeder eingesammelte Zigistummel einen Atemzug mehr in meinem Leben.» Dabei beugt sie die Knie sanft und dreht sich schwungvoll nach links und rechts.
Wer Katharina Zaugg beobachtet und ihr zuhört merkt schnell: Putzen hat für die 66-Jährige nichts mit mechanischem Geschrubbe zu tun. Sondern mit Flow und Sinnlichkeit, mit Energie und Präsenz. In ihren Workshops lernen die Teilnehmer etwa beim Staubsaugen die Hüfte zu schwingen, mit geschlossenen Augen Fenster zu wischen, mit offenen Händen abzustauben oder den Lappen mit dem richtigen Dreh auszuwinden. «Putzen ist Slow-Dance und fordert konstante Bewegung.»
Ein anderes Hilfsmittel für hingebungsvolles Putzen ist für Zaugg auch Singen. Denn wer singt, der atmet und wer atme, könne besser loslassen. Eine gute Übung sei es, summend zu Staubsaugen. Das hält dem Lärm entgegen und lässt die Atmung fliessen. Zaugg singt selbst leidenschaftlich gerne, am liebsten Jodel und Impro-Gesang. Seit bald zwei Jahren ist sie Mitglied im Surprise-Stras-senchor, ein Ort, an dem sie sich sehr zuhause fühle. «Die Chor-Mitglieder sind für mich mutige Menschen», sagt Zaugg. «In ihrem Alltag gehen sie einer Arbeit nach, die andere freiwillig nicht gerne tun. Wie das Putzen.» Ihrem Umfeld zu erklären, dass sie von nun an als Reinigungskraft arbeite, sei damals auf viel Unverständnis gestossen. Wenn sie heute wieder in die Schublade der armen Putzfrau gesteckt wird, nimmt sie sich das längst nicht mehr so zu Herzen. Dennoch: «Ich bin froh, wenn man mich als Handwerkerin sieht, nicht als arme Frau, die nichts erreicht hat.»
Zuhause kann Zaugg ihr Handwerk jedoch auch ruhen lassen. Sie sei keineswegs von einem Sauberkeitsfimmel getrieben. «Dreck ist etwas vom Lebendigsten», sagt sie und lässt den Staub in ihrer Wohnung zwischendurch auch liegen. Nur wenn Besuch kommt, lege sie sich so richtig ins Zeugs. «Am liebsten streiche ich mit verdünntem Rosenwasser über die Oberflächen», sagt sie und malt mit der Hand eine Kreisbewegung in die Luft. «Aber nur, wenn es sein muss.» Ein wichtiges Element ihrer Putzlehre ist die Ökologie, und das bedeutet für sie mehr als nur biologisch abbaubare Reinigungsmittel. Auch die richtige Dosierung, ein schöner Putzschrank und fair bezahlte Arbeitskräfte gehörten dazu. Vor allem aber die mentale Einstellung.
Denn Putzen reinige nicht nur das Haus, sondern auch den Geist. Ihr Konzept der «achtsamen Raumpflege» will in erster Linie der Tätigkeit die volle Aufmerksamkeit schenken, angelehnt an den Zen-Buddismus. «Zu Zen gehört auch die Pflege von sogenannten profanen Tätigkeiten», so Zaugg. «In der bürgerlichen Hierarchie kommt die Reinigung an unterster Stelle, die gerne delegiert wird. In der geistigen gibt es keine Entwicklung ohne Reinigung.» Das wusste schon Beppo der Strassenkehrer, die Figur aus Michael Endes Buch «Momo», der langsam, aber stetig die ganze Strasse kehrt: Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. «Nur wenn du deine Arbeit mit voller Präsenz ausführst, ist es eine gute Arbeit», ist die Essenz von Beppos Lehre, der sich auch Zaugg anschliesst. Trotz allem: «Putzen an sich ist nichts Tolles», sagt sie. Aber eben eine notwendige Tätigkeit, die sie «zivilisatorische Gartenarbeit» nennt. «Wer sich ihr verweigert, bleibt stehen. Nur wer sich ihr hingibt, kommt weiter.»
Nach einer halben Stunde endet die Abfalltour im Kleinbasel. In dieser Zeit hat die Putz-Equipe einen Sack mit Müll, einen mit Papier und einen mit Dosen gefüllt. Und das war nur der gröbste Dreck. Dann verabschieden sich auch Zauggs Enkelkinder eilig. Das Schwimmbad ruft.
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