Die Rückeroberung der weisen, heilenden Frau

«Wir tragen die individuellen und kollektiven Wunden des Weiblichen in uns, die es zu heilen gilt», schreibt Jasmin Gonzalez in ihrem neuen Buch «Wir sind die Töchter der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet». Denn auch wenn es heute keine Hexenverbrennungen mehr gibt: Selbstbestimmte Frauen, die sich nicht um Konventionen kümmern, sind der Gesellschaft immer noch suspekt.

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Seit Jahrtausenden leben Frauen in patriarchalische Strukturen und Traditionen – meist ohne sich dessen richtig bewusst zu sein. Die während der Hexenverfolgung verbrannt wurden, waren oft nichts anderes als Frauen mit Kenntnissen in alternativer Medizin wie Heilpflanzen. Dabei handelte es sich um Wissen, das nicht in schriftlicher Form vorlag, sondern von Müttern an ihre Töchter weitergegeben wurde. Wissen, das nicht der Lehre der wissenschaftlichen Schulmedizin entsprach, welche eine Männerdomäne darstellte. Im Grunde ging es um einen Machtkampf zwischen verschiedenen Arten von Wissen und Weltanschauungen. Und um die Frage, wer die Norm definierte, an der sich die ganze Gesellschaft auszurichten hatte.

Dies ging weit über die richtige – oder gültige – Sicht auf Krankheit und Heilung hinaus. Auf dieses komplexe und bis heute kontroverse Thema geht Jasmin Gonzalez in ihrem neuen Buch «Wir sind die Töchter der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet» ein. «Über Jahrtausende wurde uns Frauen gesagt, wer wir sind, wie wir sind, wie wir auszusehen und zu fühlen haben», schreibt die Moderatorin und Fernsehredakteurin. Sie will die Kraft der Frauen entfesseln und in ein neues Licht rücken – denn selbstbestimmte, unabhängige Frauen sind der Gesellschaft seit langer Zeit suspekt. Heute gibt es zwar keine Hexenverbrennungen mehr, doch Frauen, die sich nicht um Konventionen scheren, werden trotzdem oft ausgegrenzt.

So will Gonzalez den Begriff der «Hexe» wieder zurückerobern – Hexe im Sinn einer weisen, heilenden Frau. Damit sollen wir ermutigt werden, zu uns selbst und unseren verschiedenen Seiten zu stehen und uns auf unsere Fähigkeiten zu verlassen. Dies bedeutet in einem gewissen Sinn auch, die Beziehung zu uns selbst heilen. «Wir tragen in uns die individuellen und kollektiven Wunden des Weiblichen, die es zu heilen gilt, ebenso wie  das Wissen und den Mut unser Ahninnen», schreibt Gonzalez.

«Wir sind die Töchter der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet» nimmt uns mit auf eine Reise durch die Vergangenheit – so lesen wir zum Beispiel die Geschichte der Patrizierin Katharina Henot, die 1627 in Köln erdrosselt und dann verbrannt wurde. Gleichzeitig analysiert das Buch jedoch auch die Situation der Frau im 21. Jahrhundert und gibt konkrete Tipps, um damit umzugehen. Nicht zuletzt ist es ein sehr persönliches Buch: Gonzalez erzählt von ihren eigenen Unsicherheiten in Bezug auf ihr Frausein, mit denen sich sicher viele identifizieren können:

«Ich habe mich dafür geschämt, ich zu sein. Ich habe mich dafür geschämt, eine Frau zu sein. Ein Mensch zu sein, mit all dem, was das Menschsein halt ausmacht. Ich habe mich mir selbst fremd gefühlt, denn als die Scham kam, verlor ich mich. Ich habe mich so oft selbst nicht verstanden, und deswegen manchmal vor mir selbst den Respekt verloren. Das hat dazu geführt, dass ich Jobs gemacht habe, die mich unterfordert haben, und dass ich immer viel zu niedriges Honorar verlangt habe oder gestattet habe, dass Menschen mich auf eine Art behandeln, die mir nicht gerecht wird. Dass ich mich mit Menschen umgeben habe, deren Energie ich gewohnt war, aber nicht schätzte.»

 

Cover Hexen

    Jasmin Gonzalez: «Wir sind die Töchter der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet».
    Goldegg Verlag 2021. ISBN: 978-3-99060-237-9.