Ein weiterer Überlebensberuf: «Fassschweisser» in Gaza
Noch ein Beruf, der aus dem Krieg hervorgegangen ist und eine neue Überlebenschance bietet. Unser Mitarbeiter aus Gaza berichtet über Herausforderungen und Überlebensstrategien im Alltag des Krieges.
Foto: Abdullah Younis
Foto: Abdullah Younis

Die Auswirkungen des anhaltenden Krieges Israels gegen den Gazastreifen beschränken sich nicht nur auf die Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur. Sie reichen bis in die Details des täglichen Lebens hinein, sogar bis zu scheinbar einfachen Dingen wie Wasserfässern.

Diese Fässer, auf die die Palästinenser für die Speicherung von Trinkwasser und Wasser für den Hausgebrauch angewiesen sind, sind zu neuen Opfern der Bombardierungen geworden. Granatsplitter haben sie durchlöchert und beschädigt, sodass die Bewohner Gazas vor einem schwierigen Dilemma stehen: Wie sollen sie Wasser aufbewahren?

Da Israel seit Beginn des Krieges am 7. Oktober 2023 weiterhin die Einfuhr solcher Ausrüstungsgegenstände in den Gazastreifen verhindert, haben die Bewohner alternative Methoden entwickelt, um diese Fässer zu reparieren. Damit zeigen sie ihre Entschlossenheit, trotz aller Hindernisse zu überleben.

Plastikteile und ein Schweissgerät

In den zerstörten Strassen von Gaza-Stadt streift Mohamed Al-Sayyed, 48, mit einem kleinen Jutesack umher, aus dem einfache Werkzeuge herausragen: Plastikteile und ein Schweissgerät, das mit Feuer betrieben wird. Er ruft laut: «Wer hat Fässer beschädigt?»

Vor dem Krieg arbeitete Al-Sayyed in einer Kunststofffabrik, verlor jedoch seinen Arbeitsplatz, als die Fabrik während des Krieges in Gaza vollständig zerstört wurde. «Dieser Beruf gab es vorher nicht, er ist aus der Not heraus entstanden. Die Menschen können sich keine neuen Fässer leisten, und die Preise sind unerschwinglich geworden, also mussten wir eine Lösung finden», sagt Al-Sayyed.

Er zündet mit einem kleinen Schweissgerät ein Feuer an und schmilzt dann Plastikstücke, die er sorgfältig nach Qualität und Typ des beschädigten Fasses auswählt. Nachdem er das Plastikstück erhitzt hat, drückt er es gegen das Loch, bis die Lücke vollständig verschlossen ist. All dies geschieht unter völlig unsicheren und unhygienischen Bedingungen. Doch die Not zwingt ihn dazu.

«Manche Löcher brauchen mehr als eine halbe Stunde, um sie zu verschliessen», erklärt Al-Sayyed und zieht ein schwarzes Plastikstück aus seinem Sack. »Das Wichtigste ist, dass das Fass wieder seine Funktion erfüllt: Wasser speichern.»

Das ist nicht nur ein Job, sondern eine dringende Notwendigkeit.

Eine neue Chance zum Überleben

Im Stadtteil Sheikh Radwan im Norden von Gaza-Stadt steht Umm Mohamed Shaqoura neben dem Wasserfass, das Al-Sayyed nur wenige Stunden zuvor repariert hatte. Mit einem zufriedenen Lächeln sagt sie: «Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr wir gelitten haben. Das Wasser lief ständig aus dem Fass, und wir haben alles versucht, um das wenige Wasser, das wir hatten, zu bewahren, aber das Fass hielt es nicht.»

Sie weist darauf hin, dass sie das Wasser, das sie aus nahe gelegenen Wasserstationen holte, dringend für später zum Baden, für die Körperpflege, zum Geschirrspülen, Wäschewaschen und für andere Hausarbeiten benötigte.

Shaqoura erklärt, dass ihr Fass etwa 15 Löcher hatte, die von Splittern israelischer Raketen und Bomben verursacht worden waren. «Es sah aus wie eine Leiche, aber wir haben es behalten, in der Hoffnung, eine Lösung zu finden, da keine neuen Fässer erhältlich sind.»

Sie fügt hinzu: »Die Arbeiter in diesem neuen Beruf tun mehr als nur kaputte Fässer zu reparieren; sie geben uns eine neue Chance zu überleben.»


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Wucherpreise

Aufgrund der anhaltenden Blockade werden Fässer, die früher zu erschwinglichen Preisen verkauft wurden, nun zu exorbitanten Preisen angeboten, die die finanziellen Möglichkeiten vieler Familien übersteigen. Fässer, die früher nicht mehr als 200 Schekel (40 US-Dollar) kosteten, liegen aufgrund ihrer Knappheit nun zwischen 1000 und 1200 Schekel (280–330 US-Dollar).

Dreizehn Monate – von Oktober 2023 bis Januar 2025 – war der 39-jährige Ahmad Al-Baz aus Gaza-Stdt vertrieben. Als er aus dem Süden Gazas in die Überreste seines Hauses im Stadtteil Al-Daraj im Zentrum von Gaza-Stadt zurückkommt, sucht er verzweifelt nach einem Wasserfass zu einem erschwinglichen Preis, jedoch ohne Erfolg. Er sieht sich aufgrund der steigenden Nachfrage immer wieder mit explodierenden Preisen für gebrauchte Fässer konfrontiert.

«Ich habe lange nach einem neuen oder sogar einem gebrauchten Fass gesucht, aber ich konnte kein einziges ohne Löcher finden. Alle Fässer, die ich gefunden habe, waren entweder unerschwinglich teuer, kaputt oder voller Löcher», sagt Al-Baz.

Er gibt zu, dass er immer an der Machbarkeit des Schweissens von Fässern gezweifelt hatte und es nicht für eine praktikable Lösung hielt, bis er es selbst ausprobierte. 

«Früher dachte ich, es sei unmöglich, ein durchlöchertes Fass wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, aber nachdem ich mein Fass von einem Fachmann reparieren liess, war ich begeistert. Er hat unglaubliche Arbeit geleistet und nicht nur die Löcher, sondern auch die Risse an den Seiten des Fasses repariert.»
Aussergewöhnliche Umstände

fassAhmad Al-Batniji, einer der «Fassschweisser», bestätigt, dass dieser Beruf aus aussergewöhnlichen Umständen entstanden ist. «Wir haben nicht die Ausrüstung, die für diese Arbeit erforderlich ist, aber wir lernen mit der Zeit, wie man alternative Materialien verwendet. Wir verwenden alten Kunststoff, den wir über die Löcher schmelzen, um sie zu verschliessen. Das Wichtigste ist, dass das Fass wieder Wasser halten kann, denn es gibt ganz einfach keine Alternative», sagt Al-Batniji.

Er fügt hinzu: «Das ist nicht nur ein Job, sondern eine dringende Notwendigkeit, um das Überleben der Menschen zu sichern. Das Reparieren von Fässern ist nicht nur Wartungsarbeit, sondern eine praktische Lösung in einer Zeit, in der es keine anderen Möglichkeiten gibt.»

 


 

Hinweis: Der Autor dieses Artikels hat eine Spendenkampagne gestartet, um die Kinder in Gaza mit Lebensmitteln zu versorgen. Bitte spenden Sie und teilen Sie den Link zur Kampagne mit anderen. Vielen Dank.

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Abdullah Younis

Abdullah Younis
Abdullah Younis

Ich bin Abdullah Younis, 37 Jahre alt und Journalist vom Gaza-Streifen. Ich arbeite seit 16 Jahren als Journalist. Derzeit tragen ich zu verschiedenen lokalen Onlineplattformen bei, einschliesslich der Libanesischen Organs Al-Akhbar, der Webseite Felesteen News, und The Electronic Intifada.

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