Eklat bei den Verfassungsfreunden – ihr Ende naht
Die Kandidaten der Liste «Statuten plus» für die anstehenden Vorstandswahlen der Verfassungsfreunde werden die Wahl nicht annehmen. Dies erklärten sie dem erstaunten Publikum an einer Wahlveranstaltung von gestern Mittwoch in Seon. Sie erwarten juristische Verfahren gegen die Verfassungsfreunde im Zusammenhang mit ihrer Geschäftsführung.
Die Freunde der Verfassung waren ein politisches Phänomen. Seit Menschengedenken hat keine Bewegung in der Schweiz so schnell und so viel politische Potenz aufgebaut, wie der am 23. Juli 2020 gegründete Verein mit heute knapp 26’000 Mitgliedern.
Getragen vom Widerstand gegen die Corona-Massnahmen hat der Verein mehrere Referenden zustandegebracht – zum Teil in Rekordzeit –, die Abstimmungen jedoch verloren.
Die enorme Resonanz und die üppigen Spenden führten jedoch schon bald zu Machtkämpfen innerhalb der Führung der Verfassungsfreunde. Mir selber war das Hickhack bereits nach einem guten halben Jahr zu viel und trat am 27. Februar 2021 aus dem Vorstand zurück. Heute würde ich dem Frieden zuliebe allerdings nicht mehr schweigen.
Offen ausgebrochen ist der Konflikt mit dem erzwungenen Rücktritt von Michael Bubendorf, der Galionsfigur der Verfassungsfreunde, am 14. Dezember 2021. Er hatte eine Abstimmungskampagne zum Covid-19-Gesetz gefordert, die auch die geimpfte Mehrheit der Stimmbürger ins Boot geholt hätte, konnte sich aber gegen den Widerstand des Geschäftsführers Sandro Meier nicht durchsetzen.
Bubendorf zog sich auch die Gegnerschaft von Sandro Meier zu, indem er seinen Rücktritt aus dem Vorstand forderte, da seine Funktion als bezahlter Geschäftsführer mit der statutarischen Bestimmung unvereinbar sei, nach der die Organe ehrenamtlich tätig sein müssen.
Der mit einer fadenscheinigen Begründung breit kommunizierte Rücktritt von Michael Bubendorf entwickelte sich innert weniger Tage zum einem offenen Streit zwischen zwei Lagern:
Hier der autoritäre Vorstand mit einer hierarchischen Organisation des Vereins und undurchsichtigem Finanzgebahren,
dort eine Reihe von aufmüpfigen Regioleitern, die mehr Basisdemokratie forderten, unterstützt von den beiden Vorstandsmitgliedern Alec Gagneux und Markus Häni.
Durch Rücktritte aus dem Vorstand entstand anfangs Januar eine Patt-Situation: Auf der autoritären Seite Christina Rüdiger und die übriggebliebene Präsidentin Marion Russek, auf der Reform-Seite Alec Gagneux und Markus Häni, jeweils überstimmt durch den Stichentscheid der Präsidentin.
Zur Wiederherstellung klarer Verhältnisse beschloss der Vorstand Neuwahlen, allerdings nach einem viel kritisierten Reglement, das nur Einzelkandidaturen und Listen zulässt, die jedoch nicht verändert werden dürfen.
In dieser Richtungswahl stehen – oder vielmehr standen – sich nur zwei Listen gegenüber:
die Liste «Visionen» mit dem Geschäftsführer Sandro Meier und Christina Rüdiger als zentrale Figuren
und die Liste «Statuten plus» unter der Führung des Aarauer Rechtsanwalts und Mediators Andreas Röthlisberger. Dieser präsidierte die Arbeitsgruppe, die Ende 2021 im Auftrag des Vorstands neue Statuten erarbeitete, die dann aber zurückgestellt wurden.
In dieser für die Zukunft der Verfassungsfreunde entscheidenden Wahl standen sich also – bis gestern Abend – zwei Listen mit grundverschiedenen Zielsetzungen gegenüber.
Und dann die grosse Überraschung an der von rund 50 Leuten besuchten Wahlveranstaltung: Die Mitglieder der Liste «Statuten plus» werden die Wahl nicht annehmen. Sie befürchten, und dafür gibt es offenbar handfeste Hinweise, dass die Verfassungsfreunde aufgrund ihres Finanzgebahren in steuerliche und juristische Verfahren verwickelt werden dürften.
Würde die Liste «Statuten plus» die Wahl gewinnen und die Geschäfte der Verfassungsfreunde übernehmen, müsste sie sich evt. noch über Jahre mit den rechtlichen Folgen der Vergangenheit befassen, selbst wenn andere dafür gerade stehen müssen.
Wie berechtigt sind diese Befürchtungen? Das Vorstandsmitglied Alec Gagneux hat mit dem ehemaligen Buchprüfer einer Grossbank Einblick in die Bücher der Verfassungsfreunde bei der Buchhaltungsstelle der Verfassungsfreunde in Basel genommen.
Über Ihre Erkenntnisse müssen sie unter Androhung einer Konventionalstrafe Stillschweigen bewahren. Zudem wurde ihnen die Einsicht in wichtige Konten verwehrt. Was sich aber zeigt, ist dies:
Die Wahrscheinlichkeit ist erheblich, dass die Geschäftsleitung der Verfassungsfreunde im Zusammenhang mit der Finanzierung der beiden Abstimmungskampagnen Transaktionen ausserhalb der Konten der Verfassungsfreunde durchgeführt hat – zu welchem Zweck auch immer. Es geht dabei um sechsstellige Beträge.
In einem Communiqué der Wahlliste «Statuten plus» heisst es:
«[Es] sind erschütternde Informationen an die Öffentlichkeit gelangt über die Art und Weise, wie der bisherige Vorstand gearbeitet hat. Aus diesen Informationen müssen wir schliessen, dass gegenüber dem Verein juristische Verfahren laufen werden, für welche zwar die bisherigen Vorstands-Mitglieder geradestehen müssen, die ganze Abarbeitung je- doch den neuen Vorstand nicht unwesentlich belasten dürfte.»
Die Strafanzeige eines Mitglieds (das nicht zur Wahl steht) ist bereits vorbereitet, wurde aber mit Rücksicht auf eine transparente, gütliche Regelung noch zurückgehalten. Es braut sich also etwas zusammen, das den Verein und den Namen «Verfassungsfreunde» definitiv beschädigen könnte.
Wie geht es jetzt weiter: Die Wahlliste «Statuten plus» hat sich am Dienstag als Verein konstituiert und hofft, dass die bestehenden Mitglieder der Verfassungsfreunde den Verein verlassen und sich der neuen Organisation anschliessen.
Nachdem dafür zuerst der Name «Neue Verfassungsfreunde» vorgesehen war, hat man sich wenige Stunden vor der Wahlveranstaltung für «Verfassungsbündnis Schweiz» entschieden. Einerseits befürchtete man eine superprovisorische Verfügung gegen die Verwendung der Bezeichnung «Neue Verfassungsfreunde».
Andrerseits dürfte der schöne Name «Verfassungsfreunde» schon bald nicht mehr zu verwenden sein, weil er nicht mehr für Freundschaft steht, sondern für Streit, Gegnerschaft und möglicherweise Schlimmeres,
Das «Verfassungsbündnis» steht vor einer dreifachen grossen Herausforderung:
- Erstens muss schnell eine handlungsfähige Organisation hochgefahren werden.
- Zweitens müssen die bestehenden Mitglieder zu einem Wechsel bewegt werden,
- Drittens – und das scheint im Moment am schwierigsten – braucht es eine glaubwürdige, inspirierende Strategie, wie der Souverän in der Schweiz wieder zu seiner verfassungsmässigen Stellung kommt und die Freiheit und Selbstbestimmung der Bürger im Lande in diesen schwierigen Zeiten gesichert werden können.
Wie kann sich das individuelle Mitglied der Verfassungsfreunde verhalten:
- Wenn es der bisherigen Geschäftsleitung vertraut, kann es die Liste Visionen wählen.
- Wenn es mehr Basisdemokratie innerhalb der Verfassungsfreunde will, kann es die Liste «Statuten plus» wählen und damit ein Zeichen (ohne konkrete Wirkung) setzen
- Wenn es an neuen politischen Projekten und Basisdemokratie interessiert ist, kann es Mitglied beim «Verfassungsbündnis» werden
- zuwarten.
Als Initiant der Verfassungsfreunde möchte ich die grundlegenden Ideen nochmals kurz in Erinnerung rufen:
- Den Widerstand gegen die Massnahmen von der Strasse in ein politisches Gefäss holen,
- Mit einem Referendum eine Mitgliedschaft aufbauen,
- Langfristige, konstruktive Ziele formulieren und verfolgen, um aus der Falle des Widerstands zu kommen.
Das dritte Ziel wurde leider von Anfang an vernachlässigt, was aus meiner Sicht massgeblich zum Scheitern der Verfassungsfreunde beigetragen hat. Die Verfassungsfreunde sind im Widerstand steckengeblieben und haben sich wie viele andere Widerstandsbewegungen zerstritten. Sie haben sich zum Teil die zweifelhaften Methoden des Gegners zu eigen gemacht, sind jetzt mit Selbstverteidigung beschäftigt und stehen faktisch mit dem Rücken zur Wand.
Der Übergang von der Corona-Krise zu den Bedrohungen durch Krieg und Wirtschaftskrieg ist anspruchsvoll. Ohne längerfristige Vorbereitung – die im Wesentlichen verpasst wurde – scheint es aus meiner Sicht keine Alternative zu einem Neuanfang zu geben. Dazu ist im Moment noch kein Leuchtturm sichtbar. Ein lohnendes Projekt könnte aber die Giacometti-Initiative sein, die ein obligatorisches Referendum für dringliche Bundesgesetze verlangt.
Aber, wie schon Hölderlin sagte: «In der Not wächst das Rettende auch.»
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