Heini for President!

Österreich wählt am 9. Oktober einen neuen Bundespräsidenten, und Heini Staudinger – Poet, Schuhrebell, autodidaktischer Unternehmer im Waldviertel – stellt sich zur Wahl. Zwar ist er eigenen Angaben nach ohne Chance. Aber genau die nutzt er, um seinen Ansichten über Frieden, Mutter Erde, regionale Wirtschaft und Corona-Massnahmen Gehör zu verleihen.

Sie würden ihn mögen, lieber Zeitpunkt-Leser, das weiss ich genau! Geradeheraus, humorvoll, leidenschaftlich, genügsam, schlagfertig, ehrlich, systemzersetzend – eben gar nicht, wie man sich einen Unternehmer oder Präsidenten vorstellt. Als Student gründete der heute 69-Jährige die Waldviertler Schuhfabrik in Schrems, und das in einer Region, in der die Textil- und Schuhbranche gerade haufenweise pleite machte. Mit Erfolg: Mittlerweile gibt es in fast allen grösseren Städten Österreichs und Deutschlands GEA-Filialen. Die dort erhältlichen hochwertigen, handgefertigten Waldviertler-Schuhe sind nicht billig, halten aber auch ein Leben lang. Mindestens. Mit seiner Tatkraft kurbelte Staudinger die Wirtschaft der Region wieder an. In Schrems entstand dort eine Akademie und viele andere Arbeitsplätze. Doch das genügt ihm nicht. Er initiierte unzählige Aktionen zur Unterstützung von Biobauern, Künstlern, Selbsthilfeprojekten aus dem globalen Süden und der Region. Die Kandidatur zum Bundespräsidenten ist eine neue von seinen vielen Schnapsideen, die das Establishment genervt und vielen Menschen Mut gemacht haben. Und Mut machen, das gehört zu Staudingers wichtigsten Zielen.

 

«Alle Menschen glauben, irgendwelchen Sachzwängen folgen zu müssen, anstatt der Sehnsucht. Darum sieht die Welt so aus, wie sie aussieht. Wir sind zu sehr Teil einer schweigenden Masse, die alles erlaubt. Angst ist unser Hauptthema. Sie hindert uns daran, unsere Stimme zu erheben. Deswegen steht in der Bibel so häufig der Satz: ´Fürchtet euch nicht!` Dieser Satz gehört – ins Österreichische übersetzt – zu unserer Firmengrundlage: Scheiss di net an!»

 

Am 15. August überraschte Staudinger sein Netzwerk mit einer E-Mail und der Betreffzeile: «Jetzt wird’s ernst, ich kandidiere.» Darin hiess es: «So viele Menschen spüren es deutlich: Wir wollen so nicht weitermachen! Wir wollen weniger Zwang, weniger Angst – mehr Gerechtigkeit, mehr Miteinander, mehr Freiheit, mehr Frieden. Diese Stimmung ist weit verbreitet, doch sie findet in der Politik zwar viele Worte, aber zu wenig Taten. Ich möchte diesen Menschen eine Stimme geben und habe mich deshalb entschieden, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren.»

Und weiter: «Ich such’ den Kontakt zu allen, die mit mir schon einmal in Kontakt waren, denn ich möchte bei der Bundespräsidentenwahl kandidieren. Dafür brauche ich allerdings 6.000 unterschriebene Unterstützungserklärungen – und das bis zum 29.8.!! In Worten: sechstausend. Das ist kein Klax. Meine Aufgabe sehe ich darin, wichtigen Themen eine Stimme zu verleihen. Armut, Gerechtigkeit, Mutter Natur, Klima usw. brauchen neue Antworten und Wege. Albert Einstein soll gesagt haben: ´Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass es anders wird.`»

Heini vor der Wahlbehörde

Und es gelang. Am 1. September meldete er, die notwendigen Unterstützungsbriefe erhalten zu haben. Am Ende waren es über 9000. Und am Freitag, den 2. September, traf er – mit den Wählerbriefen in einem Leiterwagen – in der Wahlbehörde ein«Ich bin mit der U-Bahn dahergekommen. Oben wartete schon eine Gruppe von Helfern, Künstlern und Journalisten und nach einem herzerfrischenden Hallo ging s dann mit dem, mit 9.085 Unterstützungserklärungen beladenen Leiterwagen weiter zur Wahlbehörde. Überraschung: vor diesem Gebäude wartete eine grosse Gruppe von Journalisten. Ich bin das nicht gewohnt, doch gleich reckten sich mir die Mikrofone entgegen und schon ging´s los. Dies war der Auftakt zum Wahlkampf, in dem es mir um Gerechtigkeit, Fairness in der Wirtschaft, um Natur und Lebendigkeit geht, und ganz besonders geht s mir um die Menschlichkeit. Mein Wahlkampf hat das Ziel all jene zu ermutigen, die heute schon tun, was die Welt braucht.»

 

Staudinger ist einer von sieben Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Seine Wahlprognose liegt bei etwas 1%. Es gilt als sicher, dass der grüne Amtsinhaber Alexander van der Bellen wiedergewählt wird. Doch als Medienliebling hat Staudinger die Bühne für die Themen, die ihm am Herzen liegen. Und falls er wider Erwarten gewählt würde – was ist sein Programm? 

Mein Ziel ist es, in die Stichwahl zu kommen, damit die vernachlässigten Themen öffentlich diskutiert werden.

«Ich will die Politiker an ihre Wahlversprechen erinnern und eine Art politisches Gewissen der Republik sein. Vor allem werde ich auch neue Initiativen ermutigen. Wir spüren immer deutlicher, dass wir nicht nur bei Öl und Gas von anderen Ländern abhängig sind, sondern auch bei Spielzeug, Fahrrädern, Photovoltaikpaneelen, Elektronik, Schuhen, Textilien und selbst bei wichtigen Medikamenten. Abhängig in fast allem, sogar bei den Lebensmitteln. Der ganze Wahnsinn findet nach dem immer gleichen Strickmuster statt: zum Nutzen Weniger, zum Schaden aller. Immer mehr Menschen geraten unter existenziellen Druck und in eine Angstspirale. Ihnen möchte ich eine Stimme geben und von der Politik mehr Taten einfordern. Mein Ziel ist es, in die Stichwahl zu kommen, damit die vernachlässigten Themen öffentlich diskutiert werden. Wir wollen gemeinsam entschlossen für den ´Wiederaufbau` kämpfen, unsere Unabhängigkeit zurückerobern und eine echte Demokratie entwickeln.»

 

Als jahrzehntelanger Geschäftsführer der Waldviertler Schuhfabrik hat er vielen gezeigt, wie erfolgreich Sturheit und Empörung sein können. Im Januar 2012 erhielt er einen Brief von der Finanzmarktaufsicht Österreichs (FMA). Diese beschuldigte ihn, illegale Bankgeschäfte zu betreiben. Was war geschehen? Die Banken hatten Staudinger keine Kredite für den Ausbau seiner Firma gewährt. Deshalb startete er ein «Crowdfunding» und sammelte erfolgreich private Darlehen. 
«Dafür behandelte mich wie einen Verbrecher. Ich wurde vor Gericht geladen und musste mich verteidigen. Das hat mich wahnsinnig wütend gemacht. Ich sah mich als unbescholtenen Bürger, der sich bemüht, Arbeitsplätze zu erhalten. Ein Fernsehbeitrag über unseren Streit endete mit den Worten: ´Eines ist klar. Strafe wird der Heini Staudinger ganz sicher nicht zahlen.` Mit diesem Signal der Aufsässigkeit begann dann der Medien-Hype. Ich wurde über Nacht berühmt. Die Volksstimmung war auf unserer Seite. Das gab schliesslich den Ausschlag dafür, dass es heute in Österreich ein das alternative Finanzierungsgesetz gibt. Damit wird allen erlaubt, was mir damals verboten war.»

 

Ein Nebeneffekt: Durch diese Öffentlichkeit wurde Staudingers Firma berühmt, und das Geschäft lief enorm viel besser. «Heute haben wir eine Warteliste von vielen Menschen, die uns Darlehen geben wollen, um unsere Firma weiter aufzubauen.»

Alles Geld, das ich besitze, habe ich hier in meiner Hosentasche in einer Plastiktüte.

An persönlicher Bereicherung oder einem aufwändigen Lebensstil hat Staudinger kein Interesse. Seit Jahrzehnten wohnt er in seinem Büro, fährt kein Auto, sondern Fahrrad. Alle Gewinne fliessen zurück in die Firma oder in gemeinnützige Zwecke. «Ich wollte mich nie von Geld abhängig machen, habe auch kein Bankkonto. Alles Geld, das ich besitze, habe ich hier in meiner Hosentasche in einer Plastiktüte. Die zeige ich gern, wenn ich Vorträge halte, denn sie ist transparent.»

 

Was hat ihn am meisten in seinem Leben geprägt? Seine Reise nach Afrika. «Mit 19 Jahren bin ich mit meinem besten Freund mit dem Moped bis Tansania gefahren, einen Monat waren wir im Kongo. Ich habe dort jeden Tag eine Gastfreundschaft erlebt, von der wir hier in Europa nur träumen können. Ich bekam immer genug zu essen, man bot mir immer einen Ort an, wo ich sicher übernachten konnte. So wurden die Afrikaner meine besten Lehrer. Sie haben mich gelehrt, dass das Wichtigste im Leben das Leben selbst ist. Dafür bin ich dankbar.»

29. September 2022
von: